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Portugal
Wie ein Waffenraub zum Skandal wurde

Granatwerfer, Munition und Sprengstoff wurden vor einem Jahr aus einem Lager des portugiesischen Militärs gestohlen. Die Waffen sind wieder aufgetaucht, aber die Hintergründe des Falls sind dubios. Die Spuren führen in die höchsten Kreise von Politik und Militär.

Von Tilo Wagner | 14.11.2018
    Der ehemalige Generaldirektor der Militärischen Justizpolizei, Oberst Luis Vieira am 23. Oktober 2018 in Lissabon.
    Der ehemalige Generaldirektor der Militärischen Justizpolizei, Oberst Luis Vieira, auf dem Weg zu seiner Anhörung am 23. Oktober 2018 wegen des Waffendiebstahls (imago stock&people / Alvaro Isidoro)
    Ob in Talkshows, Leitartikeln oder im Parlament - "Tancos" ist in Portugal seit eineinhalb Jahren das Schlagwort für eine tiefe, sicherheitspolitische Krise. In dem kleinen Ort, rund 130 Kilometer nordöstlich von Lissabon, wurden im Juni 2017 Munitionen, Granatwerfer, Granaten und Sprengstoff entwendet - aus Lagerhallen der Armee.
    Die Medien sprachen vom "Raub des Jahrhunderts". Die Angst war groß, dass islamistische Terroristen die Waffen in die Hände bekommen könnten. Die portugiesische Staatsanwaltschaft vermutet aber mittlerweile, dass sich unter den Tätern ehemalige Soldaten mit Insiderwissen befanden.
    Eine chronisch unterfinanzierte Armee
    Der Sicherheits- und Terrorismusexperte Felipe Pathé Duarte schließt nicht aus, dass der Raub vom Militär selbst inszeniert wurde, um auf die Folgen einer chronisch unterfinanzierten Armee hinzuweisen:
    "Der Fall 'Tancos' macht zwei Entwicklungen deutlich. Wir sprechen hier einerseits von einer schwerwiegenden Sicherheitslücke im Militär, weil aufgrund fehlender Investitionen keine adäquate Videoüberwachung existierte. Andererseits zeigt der Fall, wie anfällig bestimmte Kreise im Militär sind. Wenn vor Gericht bewiesen wird, dass der Raub von Militärs oder Ex-Militärs durchgeführt wurde, wirft das kein gutes Licht auf den Zustand der Streitkräfte."
    Der Fall "Tancos" hat aber noch eine zweite, politische Dimension. Im Oktober 2017, einige Monate nach dem Vorfall, fand die militärische Kriminalpolizei nach einem angeblich anonymen Anruf große Teile des gestohlenen Materials wieder. Doch was die Fündigen nicht wussten: Die zivile Kriminalpolizei hatte die Militärpolizisten heimlich überwacht und so ein Spiel mit doppeltem Boden aufgedeckt.
    Die Militärpolizei hat den Täter offenbar gedeckt
    Die militärische Kriminalpolizei soll nämlich einem ehemaligen Soldaten, der als einer der Täter gilt, Straffreiheit und Anonymität versprochen haben, wenn dieser die Waffen zurückgeben würde. Über die zwielichtige Vereinbarung sollen auch die militärische Führungsspitze und das Verteidigungsministerium informiert worden sein. Vor ein paar Wochen hat die Staatsanwaltschaft deswegen Haftbefehl gegen führende Militärpolizisten erlassen. Der Generalstabschef und der Verteidigungsminister mussten zurücktreten.
    Der Politologe António Costa Pinto von der Universität Lissabon erinnert daran, dass die Institution der militärischen Kriminalpolizei schon vor Jahren hätte reformiert werden müssen.
    "Der Waffenraub von Tancos hat einen enormen Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden. Es geht dabei um das gestörte Verhältnis zwischen der zivilen und der militärischen Kriminalpolizei. Und es geht darum herauszufinden, wer im Militär und in der Politik davon wusste. Angesichts dieser kritischen Gemengelage resignieren die Politiker in Portugal. Anstatt das eigene Verhalten und die betroffenen Institutionen skrupellos zu überprüfen, legen sie die Hände in den Schoss und verweisen auf die Zuständigkeit der Justiz."
    Parlament untersucht nun den Diebstahl
    Es bleibt abzuwarten, ob die parlamentarische Untersuchungskommission, die nun ihre Arbeit aufnimmt, klären kann, wer für den Fall "Tancos" politische Verantwortung übernehmen muss. Portugiesische Medien fragen sich, ob der Premierminister und der Staatspräsident eventuell von der umstrittenen Rückholaktion wussten. Unabhängig vom Ausgang der Untersuchungen weist der Politikwissenschaftler Costa Pinto auf mögliche politische Konsequenzen hin.
    "In Portugal gibt es bei Verteidigungsfragen zwischen Regierung und Staatspräsident traditionell keine Streitpunkte. Die Zusammenarbeit zwischen dem jetzigen konservativen Staatspräsidenten und der Linksregierung hat bisher überraschend gut funktioniert. Es wäre fast tragisch, wenn dieses Verhältnis nun ausgerechnet wegen einem sicherheits- und verteidigungspolitischem Thema Schaden tragen würde."