Freitag, 29. März 2024

Archiv

Portugal
Zurück an den Finanzmarkt

Nach dem Vorbild Irlands soll nun auch Portugal möglichst bald wieder auf eigenen Beinen stehen. Die Experten der EU und des Internationalen Währungsfonds bereiten ihren Abzug vor. Bei den Portugiesen ist ihre Arbeit umstritten.

Von Tilo Wagner | 10.01.2014
    An der Börse in Lissabon herrscht ausgelassene Stimmung. Zum ersten Mal wird ein deutsches Unternehmen am portugiesischen Kapitalmarkt gelistet. Portugal scheint bei ausländischen Firmen und Investoren Vertrauen zurückzugewinnen. Die Analysten sind sich einig: Das sei ein gutes Zeichen für die kommenden Monate. Das Land will ab Juni finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen. Dann erhält Lissabon die letzte Rate aus dem 78 Milliarden Euro schweren Kredit-Paket, das im Mai 2011 aus Mitteln des europäischen Rettungsschirms und des Internationalen Währungsfonds geschnürt worden war.
    Neben dem Lissabonner Börsenchef steht Markus Beforth. Der deutsche Unternehmer will mit seiner Beteiligungsgesellschaft portugiesischen Start-up-Firmen unter die Arme greifen, denn er weiß, ...
    "... dass solche Notsituationen, dass die auch wirklich immer große Chancen für viele bereithalten. Und ich habe mit so vielen Leuten gesprochen. Jeder, jeder hatte im Endeffekt eine Idee im Kopf. Viele haben sogar, das muss man in Deutschland erst mal erklären, dass jeder Business-Ideen im Kopf hat, nämlich wenn er durch sein Tagesgeschäft so durchgeht und sagt, Mensch, eigentlich könnte man ja das besser machen, und eigentlich, darüber habe ich mich ja auch aufgeregt, das könnte man auch besser machen. Das ist hier schon in vielen Köpfen drinnen, eben weil ich den Eindruck habe, hier regen sich auch viele Leute über vieles auf."
    Positive Zeichen kommen nicht nur von der Börse. Nach über drei Jahren Rezession wächst die portugiesische Wirtschaft wieder. Die Exporte, insbesondere ins außereuropäische Ausland, nehmen kräftig zu und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes steigt. Zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten hat Portugal im vergangenen Jahr eine positive Handelsbilanz vorgelegt.
    Die Ungleichgewichte in der portugiesischen Wirtschaft hatten sich seit den 1990er Jahren immer weiter verschärft. Für Wirtschaftsprofessor João Ferreira do Amaral ist Portugals Eintritt in die Eurozone ein ganz entscheidender Grund, warum das Land in eine tiefe Krise geschlittert ist:
    "Unmittelbar vor der Einführung des Euro begannen die Verzerrungen. Die Investitionen flossen seitdem nur noch in die Produktion von nicht handelbaren Gütern, wie Immobilien, die vom Außenhandel geschützt waren. Das hat unserer Industrie geschadet. Der Industrialisierungsgrad liegt jetzt nur noch bei 13 Prozent des Bruttosozialproduktes."
    Keine billigen Kredite mehr
    Die portugiesische Wirtschaft befindet sich seit der Jahrtausendwende im Umbruch. Doch die Euro-Krise und die Troika-Jahre haben den Wandel beschleunigt. Die Zeit der billigen Kredite ist endgültig vorbei. Diese Entwicklung habe eine bereinigende Wirkung auf den portugiesischen Unternehmenspark, sagt der Wirtschaftswissenschaftler João César das Neves:
    "Viele Firmen lebten auf Pump. Entweder sie nahmen selbst Kredite auf, oder ihre Kunden waren überschuldet. Jetzt sind sie bankrott. Die Unternehmer sind ausgewandert, oder sie orientieren sich neu und versuchen sich in einem anderen Wirtschaftssektor. Deshalb entstehen ganz neue Bereiche. Glücklicherweise sind in jüngster Zeit die meisten Nachrichten positiv. Das Wirtschaftswachstum beschleunigt jetzt diesen Umbruch. Und das, was entsteht, ist kein Luftschloss mehr, sondern sehr rentabel. Die Firmen stehen auf eigenen Beinen. Denn es gibt keine Unterstützung vom Staat, weil der kein Geld hat. Und keine billigen Kredite, weil uns niemand etwas leiht."
    In Absprache mit der Troika hat die konservative Regierung eine Arbeitsmarktreform umgesetzt, die es vielen Firmen langfristig erleichtern soll, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Doch zunächst kam der große Schock. Seit dem Beginn des Reform- und Sparprogramms erhöhte sich die Arbeitslosigkeit von 12 auf zwischenzeitlich fast 18 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit stieg sogar auf bis zu 40 Prozent. Und es wären noch viel mehr Portugiesen ohne Arbeit, wenn viele nicht ihrer Heimat den Rücken gekehrt hätten. Allein im Jahr 2012 wanderten über 120.000 Portugiesen aus – so viele wie seit den 1960er Jahren nicht mehr. Insbesondere gut ausgebildete Absolventen der Universitäten und Fachhochschulen haben große Probleme, in ihrer Heimat einen angemessenenJob zu bekommen. Für den Politologen José Maltez ist dies das wahre Drama der Troika-Jahre:
    "Uns fehlt eine Wirtschaft, die das ganze Land trägt. Unsere Jugend hat deshalb kaum Hoffnung, dass sie hier bleiben kann. Sie glaubt, dass das System ungerecht ist. Und das ist wirklich schrecklich. Wir haben es nicht verstanden, die Erwartungen unserer Jugend zu erfüllen. Das hat Folgen für die Entwicklung der Bevölkerung, es schafft ein Gefühl von großer Instabilität innerhalb der Jugend und es macht jedes Gespräch, das wir mit jungen Portugiesen führen, zu einer Unterhaltung ohne Hoffnung auf die Zukunft."
    Célia Sanches besucht über die Weihnachtsfeiertage ihre Familie in der Nähe von Castelo Branco im strukturschwachen ländlichen Portugal. Vor ein paar Monaten ist die Übersetzerin nach Frankreich ausgewandert. Sanches arbeitete bis vor einem Jahr als Personalchefin in einem Informationszentrum der portugiesischen Sozialversicherungsanstalt. Das Projekt war vom ehemaligen sozialistischen Premierminister José Sócrates angestoßen worden, der mit der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung begonnen hatte. Im Sommer 2012 drehte die jetzige Regierung den Geldhahn zu. Sanches fand keinen Job, der ihren Qualifikationen entsprach:
    "Unsere Situation hat sich in den vergangenen Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die Menschen leiden jeden Tag ein Stückchen mehr. Ich glaube, wir haben in Portugal eigentlich alles, was wir brauchen. Aber das Land scheint daraus kein Kapital schlagen zu können. Das ist sehr schade. Portugal hat mir nicht die Chance geboten, die mir Frankreich jetzt bietet. In Frankreich haben mein Studium und meine beruflichen Kenntnisse einen viel höheren Wert."
    Keine Perspektiven für die junge Generation
    Die Emigration der jungen Portugiesen ist häufig ein persönliches Drama, aber muss gesamtwirtschaftlich gesehen keine Katastrophe sein. Im Gegenteil: Die Mobilität von Arbeitskräften bringt zunächst positive Ergebnisse auf allen Seiten: Célia Sanches hat in Frankreich einen guten Job gefunden. Portugal muss die sozialen Kosten ihrer Arbeitslosigkeit nicht übernehmen. Und Frankreich freut sich über den Beitrag einer qualifizierten Übersetzerin. Langfristig gesehen stellt sich jedoch die Frage, welche Zukunft ein Land hat, das die junge Generation nicht binden kann. Der Soziologe Manuel Villaverde Cabral vermutet, dass die Emigration aus Portugal noch viel größer sein würde, wenn die portugiesische Gesellschaft nicht einen uralten Reflex zeigen würde:
    "Das Generationsproblem wird auch auf eine katholische Art und Weise gelöst, die uns eigen ist: das heißt, im Schoße der Familie. Die Väter freuen sich, dass sie ihren Söhnen helfen können, um sie enger an die Familie binden zu können. Das ist eine passive Lösung des Problems, die der Gesellschaft aber keinerlei neuen Input bringt."
    Der Rückhalt der portugiesischen Familien ist ein Grund, warum in den Troika-Jahren trotz tiefer Einschnitte im Sozialsystem der Anteil der Bevölkerung, der an der Armutsgrenze lebt, nicht wesentlich zugenommen hat. Doch es bleibt fraglich, wie lange die ältere Generation den Jungen noch unter die Arme greifen kann. Die Rentner sind zusammen mit den Staatsbediensteten die Bevölkerungsschicht, die die tiefsten Einschnitte haben hinnehmen müssen.
    Die Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank hat Portugal immer wieder gedrängt, die Staatsausgaben zu senken, um das Defizit unter die Grenze von drei Prozent zu drücken. Eine groß angelegte Staatsreform sollte die öffentliche Verwaltung effizienter machen, den Wildwuchs an staatlichen Institutionen beenden und Stellen auf lokaler und zentraler Ebene abbauen. Die Reformbereitschaft der Portugiesen war zu Beginn der Troika-Jahre sogar relativ hoch, sagt der Politologe Pedro Adão e Silva:
    "Das Image der EU war in Portugal so gut wie in fast keinem anderen EU-Land. Die Portugiesen haben es begrüßt, dass die Troika nach Portugal kommt. Es bestand die Hoffnung, dass die internationalen Institutionen die Schwächen der portugiesischen Politik wettmachen würden. Es schien auch eine institutionelle Rettung zu sein."
    "Eine richtige Reform dauert ihre Zeit"
    Hinzu kam, dass durch einen politischen Zufall Vertreter der beiden großen Volksparteien das Memorandum mit der Troika unterschrieben hatten. Die Sozialisten zum Ende ihrer Legislaturperiode im Mai 2011, und die konservative PSD nach dem Wahlsieg bei den Parlamentswahlen einige Wochen später. Doch die Regierung um Premierminister Pedro Passos Coelho schaffte es trotzdem nicht, den nötigen Konsens für eine Staatsreform zu bilden. Adão e Silva bezweifelt deshalb, dass die Regierung und die Troika tatsächlich Interesse an einem langwierigen Reformprozess gehabt hätten, der sich nicht sofort positiv auf die Staatsfinanzen ausgewirkt hätte:
    "Eine richtige Reform dauert ihre Zeit, und sie muss Stück für Stück diskutiert und verhandelt werden. Sie kann sich über mehrere Legislaturperioden erstrecken und muss deshalb unabhängig von einem möglichen Regierungswechsel sein. Radikale Positionen werden einer Reform schaden. Doch das Memorandum und das, was die Regierung aus den Vorgaben der Troika gemacht hat, waren radikal. Es schien so, als ob alles, was wir in den vergangenen 30 Jahren gemacht haben, falsch gewesen sei. Und jetzt kam auf einmal diese revolutionäre Elite-Brigade und sollte alle unsere Probleme auf einen Schlag lösen. Das ist natürlich nicht passiert."
    Die Regierung reformierte nicht. Sie erhöhte Einnahmen und kürzte Ausgaben. Die massiven Steuererhöhungen und Gehalts- und Rentenkürzungen brachten dem Staat zwischen 2011 und 2013 rund 24 Milliarden Euro Mehreinnahmen ein. Doch das Staatsdefizit konnte im gleichen Zeitraum nur um 6,6 Milliarden Euro gesenkt werden. Der Rest verpuffte in der schweren Wirtschaftskrise.
    Die Einkommensverluste für die Portugiesen wären noch viel größer gewesen, wenn das portugiesische Verfassungsgericht nicht einige Sparmaßnahmen gekippt hätte. Die Regierung und Vertreter der internationalen Institutionen haben in den vergangenen Jahren einen enormen Druck auf das Gericht aufgebaut. Der Politikprofessor José Maltez wehrt sich jedoch gegen die Einschätzung, dass die portugiesische Verfassung eine Blockadekraft im Reformprozess sei:
    "Diese Verfassung hat uns zum ersten Mal in der portugiesischen Geschichte einen langen Zeitraum von politischer Stabilität geschenkt. Dank dieser Verfassung ist das Vertrauen in die politischen Institutionen in Portugal gewachsen. Wir können doch jetzt nicht einfach alles ändern, nur weil irgend so ein Berater einer internationalen Bank sagt, wir alle wären ein Haufen wilder Linksradikaler. Das ist eine Lüge."
    Forderung nach Verfassungsänderung
    Dennoch glaubt José Maltez, dass die Verfassung keineswegs unantastbar sei. Es reiche, zwei Prinzipien zu verankern, die in der gegenwärtigen Schuldenkrise eine große Bedeutung gewonnen haben.
    "Ich glaube, wie viele andere, dass die Verfassung tatsächlich ergänzt werden sollte, wenn es eine politische Mehrheit dafür gibt. Wir müssen sie nicht von Grund auf ändern. Sie kann auch ihren romantischen Charakter behalten. Es reicht, wenn wir zwei Prinzipien verankern, die bereits in den jüngsten europäischen Verträgen festgehalten wurden. Zum einen ein Verweis auf ausgeglichene Haushalte, zum anderen eine Schuldenbremse. Das würde reichen, damit das Verfassungsgericht seine Entscheidungen im Licht der Zeit fällt."
    Für eine Verfassungsänderung braucht die Mitte-rechts-Koalition die Unterstützung der Sozialisten. Das zerrüttete Verhältnis zwischen der Regierung und der größten Oppositionspartei lässt ein solches gemeinsames Projekt momentan nicht zu. Der Politologe Maltez glaubt aber, dass sich die Mehrheit der Portugiesen eine engere Zusammenarbeit wünschen würde, um die anstehenden Probleme Portugals in den Griff zu bekommen:
    "Warum sollten wir nicht das deutsche Lösungsmodell übernehmen: eine große Koalition zwischen Konservativen und Sozialisten. Das Land fordert das. Müssen wir uns von einer Handvoll sturer Parteifunktionäre aufhalten lassen? Und das Land will noch viel mehr: Es will eine Einigung mit den von den Kommunisten kontrollierten Gewerkschaften. Selbst die Arbeitgeber haben eine Vereinbarung mit den Kommunisten geschlossen. Die Politik scheint hinter der Entwicklung der Gesellschaft hinterher zu hinken. Natürlich stellt sich die konservative Regierung stur. Sie will bis zum Ende regieren und am Tag, wenn die Troika das Land verlässt, sich selbst feiern. Die Troika verlässt vielleicht das Land, aber damit gehen ja nicht die Verpflichtungen zu Ende, die wir gegenüber Europa getroffen haben."
    Fünf Monate vor dem Ende des Spar- und Reformprogramms wird in Portugal darüber diskutiert, was passiert, wenn die Kontrolleure der Troika Lissabon endgültig verlassen. Das Land muss dann finanziell auf eigenen Beinen stehen, das heißt, es muss sich über die internationalen Finanzmärkte selbstständig finanzieren können. Zurzeit sind die Aussichten gut. Die Zinsen auf Staatsanleihen sind so niedrig wie seit über drei Jahren nicht mehr. Doch die Märkte reagieren gewöhnlich nervös auf kleinste Veränderungen. Deshalb versucht die Regierung, den Finanzierungsbedarf des Staates in der zweiten Jahreshälfte so gering wie möglich zu halten. Staatsanleihen, die im Juni und Oktober 2014 auslaufen sollten, wurden erfolgreich gegen Papiere mit längeren Laufzeiten getauscht. Doch Portugal hat sich noch lange nicht ein ähnlich dickes Geld-Polster zugelegt wie Irland, das als erster EU-Schuldenstaat das Programm mit den internationalen Institutionen Mitte Dezember erfolgreich abgeschlossen hat. Dublin bestand darauf, den Schritt ohne ein Übergangsprogramm zu wagen, das die EU, der IWF und die Europäische Zentralbank den Iren nahegelegt hatten, um den Ausstieg abzufedern und notfalls mit Finanzspritzen bereitzustehen.
    Die portugiesische Regierung hat immer wieder betont, dass es bisher nicht sicher sei, ob Portugal ein derartiges Übergangsprogramm brauchen werde. Doch Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, äußerte sich jüngst sehr viel eindeutiger:
    "In der Übergangsphase wird es ein Programm geben, das sich an den Notwendigkeiten Portugals orientiert. Wir wissen aber noch nicht, wie es konkret aussehen wird."
    Nach wütenden Protesten aus Lissabon musste Draghi seine Worte relativieren. Mit seiner Einschätzung steht der EZB-Präsident aber nicht allein da. Die überwiegende Mehrheit der portugiesischen Ökonomen glaubt, dass Portugal ein Übergangsprogramm brauchen werde. So auch der Wirtschaftsprofessor João César das Neves:
    "Ich bin überzeugt, dass die Troika nur offiziell Portugal wirklich verlassen wird. Ich bin mir sicher, im Sommer wird es heißen: Portugal geht es gut. Wir brauchen kein zweites Rettungspaket. Warum? Weil alle wollen, dass es Portugal gut geht. Europa, Deutschland, die Kommission, alle brauchen diesen Erfolg. Mit Blick auf die Katastrophe, die sich in Griechenland abspielt, muss nun auch das zweite Land, also wir, Erfolg haben. Irland ist draußen und es läuft gut. Und wir werden auch rausgehen. Doch Portugal kann natürlich nicht wie Irland aus dem Programm aussteigen. Also brauchen wir eine andere Art der Kontrolle: Denn wir Portugiesen sind die Ersten, die sich selbst nicht über den Weg trauen und fürchten, dass wieder alles schiefläuft. Schließlich würden wir unter den Konsequenzen viel mehr leiden als unsere Gläubiger."
    Politiker wollen Erfolge melden
    Unabhängig davon, wie Portugal nach dem Ende des Spar- und Reformprogramms seine Glaubwürdigkeit auf den Finanzmärkten zurückgewinnen kann, steht dem Land ein schwieriger Weg bevor. Kurz bevor der portugiesische Finanzminister im Juni 2013 seinen Rücktritt einreichte, gab er eine Prognose ab: Selbst bei kontinuierlichem Schuldenabbau werde Portugal erst im Jahr 2040 wieder auf einen Schuldenstand kommen, der unter den im Maastricht-Vertrag geforderten 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liege.
    Die langfristigen Konsequenzen aus der Staatsschuldenkrise lassen sich freilich nicht vorhersagen. Entscheidend wird die Frage sein, ob es Portugal schafft, die Verlierer aus den Troika-Jahren wieder für sich zu gewinnen. Der Politikwissenschaftler Pedro Adão e Silva hat große Bedenken:
    "Das Schlimmste steht uns noch bevor. Die Wunden verheilen nur sehr schwer. Und das hat Auswirkungen auf die politische Gemeinschaft. Wie können wir eine Gemeinschaft im Sinne der Polis aufbauen, wenn es so viele Verlierer gibt? Die ältere Generation, die mehr Einschnitte hat hinnehmen müssen als jede andere Gruppe. Die Arbeitslosen. Und die jungen Mitte-Zwanzigjährigen, die studiert haben und gut qualifiziert sind, keinen Job finden und schließlich auswandern müssen. Diese politischen Wunden werden wir in zehn Jahren viel eher spüren als die wirtschaftlichen Einbußen, die wir jetzt hinnehmen müssen."
    Der große portugiesische Dichter und Seefahrer Luís de Camões hat in seinem Epos "Die Lusiaden" im 16. Jahrhundert eine Figur geschaffen, die in den Wendejahren der portugiesischen Geschichte immer wiederbelebt wird: Der Alte vom Restelo.
    "Dieser Alte steht im Lissabonner Vorort Restelo und sieht zu, wie der Seefahrer Vasco da Gama zu seiner berühmten Entdeckungsreise nach Indien aufbricht. Und er sagt: Wären wir doch nicht losgefahren! Wir werden alles verlieren. Und das ist genau das, was viele heute sagen. Wären wir doch nicht der Eurozone beigetreten, dann ginge es uns jetzt besser."
    Der Soziologe Manuel Villaverde Cabral glaubt, dass die Zukunft Portugals auch davon abhängt, ob die Zweifler und Nörgler, die Pessimisten und die Alten vom Restelo Oberwasser gewinnen oder nicht.