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Poß: Merkel hätte bereits "entscheiden lassen können"

Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel verlief, was ein neues Rettungspaket zur Bekämpfung der Schuldenkrise angeht, mehr oder weniger ergebnislos. Joachim Poß, Finanzfachmann der SPD, fordert vor derartigen Gipfeltreffen eine bessere Vorbereitung der teilnehmenden Regierungen.

Joachim Poß im Gespräch mit Martin Zagatta | 24.10.2011
    Martin Zagatta: Der Gipfelreigen geht weiter. Übermorgen, am Mittwoch, soll nun das nächste Paket geschnürt werden, um der Schuldenkrise zu begegnen, nach dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs gestern in Brüssel. Obwohl dort noch keine Beschlüsse getroffen wurden, ist das Treffen von Verantwortlichen als hilfreich bezeichnet worden. In der Presse ist dagegen von einem Gipfel der Ratlosigkeit die Rede. Mit uns zugehört hat Joachim Poß, der Finanzexperte der SPD und der stellvertretende Vorsitzende seiner Fraktion im Bundestag. Guten Tag, Herr Poß!

    Joachim Poß: Guten Tag.

    Zagatta: Herr Poß, der Haushaltsausschuss steht sozusagen Gewehr bei Fuß, das, was in Brüssel dann beschlossen wird, umgehend abzusegnen oder auch zu beraten. Von was gehen Sie da jetzt im Moment aus? Die Lage ist ja etwas unübersichtlich. Wird es da vor dem Mittwoch überhaupt etwas zu entscheiden geben?

    Poß: Ja, die Lage ist in der Tat unübersichtlich. Es wird, so wie ich die Dinge einschätze, nach den Fraktionssitzungen morgen dann zur Beratung im Haushaltsausschuss kommen können, und bisher sehe ich auch noch nach wie vor die Notwendigkeit, das gesamte Plenum eben in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das heißt, dass abgestimmt wird nach der Regierungserklärung am Mittwoch, weil doch die ganzen Fragen einen solchen Stellenwert inzwischen erlangt haben, also auch die Fragen, inwieweit diese Ertüchtigung gelingen kann des Rettungsschirms, dass man selbst bei unterschiedlicher juristischer Auffassung, glaube ich, klug beraten wäre, das vom Plenum absegnen zu lassen. Aber das sind die wenigen Punkte, die man sagen kann. Ansonsten ist ja in der Tat – das ist ja in Ihrem Vorbericht gesagt worden – alles offen, vom Schuldenschnitt über die Frage, wie eben die Schlagkraft des europäischen Rettungsfonds erhöht werden kann. Da sind in den Medien ganz verschiedene Modelle, neben dieser sogenannten Versicherungslösung ist von einem Fonds die Rede, aber des Rettungsschirms. Dann wird auch davon gesprochen, dass es noch einen Fonds beim Internationalen Währungsfonds geben könnte und so weiter. Das heißt, die Dinge gehen noch ganz schön lustig durcheinander und das alles muss jetzt geklärt werden, denn es ist klar: der Schuldenschnitt hat Voraussetzungen, die bestehen auch in der Rekapitalisierung dann der Banken, und auch da gibt es nicht die hinreichende Klarheit.

    Zagatta: Ist das überhaupt so zu machen, wenn alle Länder das ähnlich machen würden wie wir Deutschen? Da gibt es ja in anderen Ländern große Bedenken, dass Deutschland die Beteiligung des Parlaments übertreibt, dass man der Regierung da viel zu wenig Spielraum lässt und möglicherweise alles verzögert. Hören wir uns doch an, wie Jean Asselborn, Luxemburgs Außenminister, Deutschland deswegen kritisiert.

    O-Ton Jean Asselborn: "Es kann nicht sein, dass die innenpolitischen Überlegungen und die innenpolitischen Prozeduren auch des größten Landes in der Europäischen Union alles überwiegen."

    Zagatta: Herr Poß, sind diese Bedenken berechtigt? Sind die Deutschen da zu zögerlich, zu umständlich?

    Poß: Ja nun, es geht ja nicht um die Deutschen. Es geht darum, dass durch ein grottenschlechtes Management in den letzten eineinhalb Jahren das Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung gewachsen ist, und das nicht nur bei der Opposition, sondern in den eigenen Reihen, denn die Vorschläge über diese Parlamentsbeteiligung sind ja aus den Koalitionsfraktionen gekommen, und dieses Misstrauen ist ja überall mit Händen zu greifen. Wie soll man denn auch einer Regierung ein gutes europäisches Management zutrauen, wenn man sich nicht mal in einer Koalition über sechs oder sieben Milliarden Steuerentlastung einigen kann.

    Zagatta: Nun sagt aber das Regierungslager, dass für Maßnahmen wie etwa diesen Hebel, der da jetzt im Gespräch ist, dass da dann der Haushaltsausschuss vollkommen ausreicht.

    Poß: Ja das ist deren Rechtsauffassung, weil sie sagen, dass sich letzten Endes an der Haftungssumme von 211 Milliarden Euro nichts ändert. Aber auch da gibt es ja wesentliche Einwände, und zwar auch von Ökonomen aus sogenannter bürgerlicher Presse. Das heißt, auch das wird bestritten. Es wird ja das Ausfallrisiko größer, dadurch, dass mehr Staatsanleihen zum Beispiel bei einer Versicherungslösung vergeben werden, und anderes mehr. Es wird hier die Frage erörtert, inwieweit all diese schlimmen akrobatischen Geschichten, die wir erlebt haben und die es ja nach wie vor gibt, inwieweit da Produkte zurechtgeschnitten werden auf der Grundlage solcher Vereinbarungen. All das spielt eine Rolle. Da gibt es überhaupt keine hinreichende Klarheit. Und selbst wenn im Zweifelsfall in der juristischen Auseinandersetzung man der Regierung Recht geben würde, politisch hat das einen solchen Stellenwert in der deutschen Öffentlichkeit und für die Bürgerinnen und Bürger, dass es allemal gerechtfertigt ist, dass das deutsche Parlament in Gänze damit beschäftigt wird.

    Zagatta: Was heißt das in der Praxis jetzt? Morgen dann wahrscheinlich, wenn die Regierung davon ausgeht oder das dem Haushaltsausschuss überlassen will, dann erheben Sie Einspruch und fordern eine Sondersitzung und eine Entscheidung des Bundestages?

    Poß: Nein. Es ist ja angekündigt die Regierungserklärung. Und wir bleiben bei unserer Auffassung, dass der Bundestag eben diese Entscheidung treffen sollte, es sei denn, es ergeben sich in der Zwischenzeit – das bleibt ja abzuwarten, was den Fraktionschefs und Parteivorsitzenden mitgeteilt wird, was es an Informationen gibt -, es ergibt sich eine neue Lage. Das ist natürlich der Vorbehalt, den ich machen muss. Nach der bisherigen Lage hat sich an unserer Auffassung, auf der Grundlage der bisherigen oder uns bekannten Überlegungen hat sich an unserer Auffassung bisher nichts geändert.

    Zagatta: Wäre das ein Problem, den Bundestag so kurzfristig einzubeziehen, denn am Mittwoch soll da ja auf EU-Ebene entschieden werden? Da bliebe ja kaum Zeit für eine ausreichende Beratung.

    Poß: Also Frau Merkel hätte ja auch jetzt am Wochenende, oder hätte ja am Freitag auch schon, wenn die Voraussetzungen gegeben gewesen wären, entscheiden lassen können, den Deutschen Bundestag oder den Haushaltsausschuss, oder vielmehr sie hätte in den Gipfel gehen können und hätte dann das Ergebnis vorlegen können. Es kommt entscheidend darauf an, dass letzten Endes natürlich das Ergebnis mit unseren gesetzlichen Vorgaben übereinstimmt, was die Beteiligung angeht. Darauf muss man schon abstellen. Das Ergebnis dessen, was denn letztlich vereinbart wird, muss sozusagen unter Beteiligung des Deutschen Bundestages oder einer seiner Ausschüsse zu Stande gekommen sein.

    Zagatta: Herr Poß, noch kurz zum Schluss. Kann das jetzt ewig so weitergehen? Wir hangeln uns da ja von einem Krisengipfel zum anderen. Müssen da nicht andere Formen gefunden werden und notfalls auch EU-Verträge und –Verfahren geändert werden?

    Poß: Ja, das wird ja alles auch überlegt, und man muss ja über vieles nachdenken, was mit der Überschrift versehen ist, wir brauchen eine viel engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, wir brauchen eine bessere Kontrolle, man muss den anderen eben viel besser sozusagen in die Bücher gucken können, jedenfalls die europäische Kommission, und anderes mehr. Das alles ist ja teilweise angesprochen und läuft schon. Ob man ein anderes Format bekommt bei solch großen Aufgaben als diese Gipfel, um dann alle Partner der Euro-Zone zusammenzubringen, dessen bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dieses Format, das ist vielleicht schon irgendwie ausgeleiert, aber dass man letzten Endes bei den Fragen dieser Bedeutung nicht darum herum kommt. Aber eine bessere Vorbereitung, eine bessere Abstimmung im Vorfeld, eine klarere Meinung zum Beispiel der eigenen Regierung zu wichtigen Fragen wie der Finanztransaktionssteuer, da könnte ja beschlossen werden auf dem Gipfel, jawohl, das wollen wir in der Euro-Zone, und dann könnte man das umsetzen. Was ist mit der Frage der Wachstumsstrategie? Die tritt gänzlich in den Hintergrund und die ist natürlich für die Frage, was geschieht da in Griechenland und bis wann, von entscheidender Bedeutung.

    Zagatta: Herr Poß, jede Menge noch ungelöste Fragen. Die nächsten Stunden, die nächsten Tage werden spannend. Danke schön für dieses Gespräch. Das war Joachim Poß, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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