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Post-Punk 2017
In der Tradition der Wut

Mit scharfkantigen Klängen und aufwühlenden Texten drücken die Bands Messer, Die Nerven und Drangsal ihre Unzufriedenheit mit der Welt aus. Das musikalische Spektrum reicht von hartem Noise-Rock mit heftigen Gitarren bis zu nervösem, dunkelromantischem Synthie-Pop: wütender Post-Punk aus Deutschland.

Von Andreas Dewald | 29.01.2017
    Die Post-Punk-Band "Messer"
    Unangepasst und literarisch: Die Post-Punk-Band "Messer" (Katja Ruge)
    Drei Bands:
    Messer.
    Die Nerven.
    Drangsal.
    Sie kommen aus verschiedenen Städten, haben aber eines gemeinsam:
    Sie spielen Post-Punk in der Tradition der frühen 1980er Jahre.
    Musik "Es gibt etwas" - Messer
    "Für mein Selbstverständnis als Künstler und Musiker der Gruppe Messer ist es auch auf jeden Fall so, dass ich mich getriebener und angestoßener denn je fühle, mich gerade deshalb auch einer Kunst zu verschreiben, die zumindest in einem ausgedrückten Gefühl da eine Opposition bietet."
    Musik "Dreck" – Die Nerven
    "Ich habe das immer eher als eine Reaktion auf das Internet gesehen, Die Nerven, als eine Reaktion auf Post-Punk oder etwas, das eben schon da gewesen ist."
    Musik "Will Ich nur Dich" – Drangsal
    "Ich habe das Gefühl, dass vielleicht bei mir noch eine krassere Affinität da ist zur Selbstinszenierung, zum Pop-Pomp. Und bei den anderen, ist es glaube ich einfach, die gehen da rein, nehmen’s Instrument und sind wütend und schlagen drauf ein. Und das kommt dabei raus."
    Musik "Die kapieren nicht" – Messer
    "Ich glaube, Bands, die ein radikales Gegenprogramm fahren, die dann vielleicht auch so ein Verhältnis von auf der einen Seite eine Rohheit ausdrücken wollen, eben aus dieser Gegenposition, dieser Opposition heraus, und gleichzeitig aber ein Interesse an einer irgendwie kunstvollen Ästhetik auch haben, die gibt’s schon immer. Das heißt, Post-Punk-Bands gibt’s nicht erst seit einigen Jahren. Diese Bands hat’s immer gegeben."
    Die Münsteraner Band Messer steht mit ihrem Stil und ihrem Sound nicht alleine da: Die Nerven, Karies, Pisse, Human Abfall, Candelilla oder Drangsal – all diese Formationen mit den sperrigen Namen bilden eine vitale, kreative Szene, die sich dem Wohlfühl-Pop des Mainstream entgegen stemmt. Mit scharfkantigen Klängen und aufwühlenden Texten zitieren diese Bands die Epoche des Post-Punk der 1980er Jahre. Mal direkter, mal versteckter.
    Musik "Love Will Tear Us Apart" – Joy Divison
    "I Should Have Known Better” - Wire
    "Boys Don’t Cry” – The Cure
    Vornehmlich britische Bands wie Joy Division, Wire, The Cure, The Fall, Gang Of Four folgten auf den Punk: In Deutschland taten das DAF, Fehlfarben, Malaria! oder Wirtschaftswunder. Die Punk-Losung No Future war für diese Künstler so gar keine Option. Und ähnlich einfallsreich und vorwärtsgewandt erscheinen auch die Musiker der heutigen Post-Punk-Szene. Sie führen eine Tradition der Wut weiter, die von Ton Steine Scherben, Fehlfarben, den Goldenen Zitronen bis ins Hier und Jetzt reicht. Messer waren von Anfang an dabei.
    "Ich würde sagen, dass wir auf gar keinen Fall eine Retro-Band sind. Aber ich würde sagen, wir befinden uns in einer gewissen Tradition. Ich finde, das Spannende an Post-Punk ist, dass es eben ein sehr loser Dachbegriff ist, der eigentlich als Etikett nur taugt, wenn man eine Verbindung von einer bestimmten Energie, aus dem Punk kommend, empfindet, mit dem Wunsch, auch Genre-Grenzen zu durchbrechen und eben mit viel Innovation und mit viel Experiment zu neuen Sounds aufzubrechen. Deshalb würde ich sagen, Post-Punk als etwas, dass man als einen Zeitraum bestimmt, der mal vor Jahrzehnten war, ja, auf jeden Fall. Aber ich denke, dass es zulässt, heute auch noch weiter gesponnen zu werden."
    "Zu neuen Sounds aufbrechen"
    Hendrik Otremba ist 32 Jahre alt und ein jungenhafter, schlaksiger Typ. Er arbeitet als Musiker, Journalist, Dozent, bildender Künstler und Schriftsteller. Und er ist Sänger von Messer aus Münster. Hier kommen die H-Blockx und die Donots her, Götz Alsmann und Ute Lemper, Unterhaltungskünstler, aber kaum welche, die in ihrer Musik so viel Zorn und Unzufriedenheit mit der Welt zum Ausdruck gebracht haben wie Messer:
    "Für uns haben von Anfang an auch eher so Bands wie Sonic Youth oder The Fall eine Rolle gespielt. Ich persönlich bin ein sehr großer Fan von Throbbing Gristle und Psychic TV und Gruppen aus diesem Kontext. Da geht’s mir aber auch mehr um einen Mut zu einer bestimmten Drastik und um sozusagen den Wunsch, Dinge zu zeigen, die man sonst in einem Gespräch vielleicht gar nicht darstellen würde. Also Kunst und Musik auch als Form von Kommunikation zu begreifen, die einem eben zu einer Sprache verhelfen."
    Musik "Der Mann, der zweimal lebte" – Messer
    Auf ihrem neuen, dem dritten Album "Jalousie" haben Hendrik Otremba und Messer ihren wilden Post-Punk auf sehr kunstvolle Weise weiter entwickelt. Einige Mitglieder der Gruppe leben heute in Berlin und in Hamburg, haben sich neuen Einflüssen und Lebensumständen ausgesetzt, und so wirken Messer auf "Jalousie" weniger gehetzt, subtiler, verspielter. Auch wegen einer Reihe prominenter Gäste: Micha Acher von The Notwist steuerte eine Trompete bei, Jochen Arbeit von den Einstürzenden Neubauten spielte Perkussionsinstrumente und Stella Sommer von der Band Die Heiterkeit hat gesungen. So sind auf "Jalousie" nicht nur typische Elemente des Post-Punk zu hören, sondern auch Reminiszenzen an die frühen U2. Dazu Verweise auf den Krautrock von Can, die Elektronik von DAF, die Avantgarde-Klänge der Einstürzenden Neubauten oder filmreife Noir-Atmosphären. Und Hendrik Otremba ist in seinen bewegend poetischen Texten vor allem zeitbezogener geworden.
    "Ich glaube, jeder Moment hat seine Dramen, jeder Moment hat seine Krisen, jeder Moment hat seine schrecklichen politischen Bedingungen. Das heißt, dieses Früher-war-alles-besser oder so, das gilt nicht. Für mein Selbstverständnis als Künstler und Musiker der Gruppe Messer ist es auch auf jeden Fall so, dass ich mich getriebener und angestoßener denn je fühle, mich gerade deshalb auch einer Kunst zu verschreiben, die zumindest in einem ausgedrückten Gefühl da eine Opposition bietet."
    Musik "Schwarzer Qualm" – Messer
    "Für den Text dieses Stückes habe ich mich wirklich hingesetzt und habe überlegt, wie kann ich mich in meiner Kunstsprache dazu verhalten, was gerade in Europa, um Europa herum geschieht? Das Stichwort sind Menschen, die ertrinken. Wie verhalte ich mich eigentlich als Künstler dazu? Ich würde sagen, es gab immer Stücke, die durchaus politisch waren. Hier gab’s aber einen konkreten, definierteren Anlass und auch ein konkretes, definierteres Schreiben."
    Politische Stücke
    Den Umgang mit der Flüchtlingskrise hierzulande haben Messer im Song "Schwarzer Qualm" verarbeitet. Aber es gibt neben den lauten, aggressiven Songs bei Messer auch die feinsinnigeren. Vor einiger Zeit haben Messer die Tagebücher von Romy Schneider vertont und lassen auch sonst immer wieder andere Kunstformen in ihre Musik einfließen, so Hendrik Otremba.
    "Es gibt immer wieder Bücher, die ich lese, die mich begeistern. Und die dann in bestimmter Form auch Eingang in meine Texte finden. Also die Strugatzki-Brüder zum Beispiel, die haben die literarische Vorlage für den Tarkowski-Film ‚Stalker’ entwickelt. Dann gibt’s Stücke wie "Es gibt etwas" mit Verweis auf Boris Vian, der eine große Rolle in der Zeit vor unserer Aufnahme gespielt hat, weil wir Texte von ihm vertont haben für die Ruhrfestspiele in Recklinghausen, für Kampnagel in Hamburg und für die Volksbühne in Berlin. Und weil das für uns eine Möglichkeit war, uns auch noch mal freizumachen und auch noch mal Dinge auszuprobieren, die man sonst vielleicht nicht ausprobiert musikalisch."
    Positive Gefühle
    Und schließlich findet man auf "Jalousie" auch unvermutet sanfte Liebeslieder, in denen Hendrik Otremba und Messer nicht ganz so schwarz in die Zukunft sehen.
    "Ich habe früher immer gedacht, dass doch die Herausforderung eigentlich ist, über das Dämonische und Abgründige und Kaputte zu texten. Und dass doch irgendwie über Glück und positive Gefühle, was soll man da viel sagen, außer dass das eben so ist. Das war immer so meine Perspektive und zur neuen Platte habe ich irgendwie bemerkt, dass die größere Herausforderung eigentlich ist, eine Form für Glück und positive Gefühle zu finden, aber eben nicht dabei in ein verkitschtes Liebeslied zu gehen, sondern zu sagen: Ich empfinde Glück in der Welt, so schrecklich, wie sie ist."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Die Nerven (Die Nerven)
    Musik "Barfuß durch die Scherben" – Die Nerven
    "Das war schon irgendwie ein Nichteinverstandsein. Aber es war irgendwie aus einer anderen, also aus so etwas Intuitivem heraus. Gar nicht, dass wir irgendwie jetzt politisch radikal oder so was gewesen wären. Irgendwas stimmte nicht bei uns in den Gefühlen, die man so hatte, und das haben wir eben verarbeitet. Es gab keinen Masterplan oder so etwas.Und ich kann nicht sagen, woher das alles kommt. Es war einfach da alles."
    Max Rieger ist ein sehr großer, schlanker, ruhiger Mann. Im Gespräch wirkt er gelassener, abgeklärter als seine 23 Jahre das vermuten lassen. Er ist Gitarrist, Sänger und Songschreiber der Band Die Nerven, 2010 hat er sie in Stuttgart gegründet. Mit Julian Knoth am Bass und inzwischen Kevin Kuhn am Schlagzeug. Das Trio startete in bester Punk-Manier mit krachigem LoFi und wollte möglichst viel Lärm machen. 2014 veröffentlichten Die Nerven ihr Debütalbum "Fun", das Feuilleton war begeistert. Kein Wunder, überraschten die Schwaben doch mit britischem und deutschem Post-Punk, dazu aber auch wuchtiger amerikanischer Hardcore, Grunge und Noise-Rock. Bewusst wollten Die Nerven diese Stilelemente jedoch nicht wieder aufgreifen, meint Max Rieger:
    Reaktion auf das Internet
    "Ich finde es immer schade, ein bisschen, wenn man uns irgendwie immer in so eine Schublade reinpackt. Weil ich der Meinung bin, dass wir in einer komplett anderen Zeit leben. Wir sind nicht in den 70ern oder 80ern. Wir sind im Jahr 2016, und was passiert, ist noch nie passiert. Keine Ahnung, zum Beispiel wegen dem Internet und so was. Ich sehe Die Nerven auch wirklich stark verbunden mit dem Internet und mit den Facetten des Internets. Und glaube, allein deswegen, dass es auf jeden Fall was anderes ist. Ich habe das immer eher als eine Reaktion auf das Internet gesehen, Die Nerven, als eine Reaktion auf Post-Punk oder etwas, das eben schon da gewesen ist."
    Bleischwere Riffs von Black Sabbath
    Max Rieger spielt sehr eigensinnig elektrische Gitarre, sein Stil macht die Band unverwechselbar. Rieger arbeitet mit extremen Dynamik-Sprüngen, mit kreischenden Rückkopplungen und Störgeräuschen. Er zehrt in seiner markanten Spielweise von den suggestiven Akkordmustern von Sonic Youth, den Eruptionen von Nirvana und den bleischweren Riffs von Black Sabbath.
    "Ich bin nicht nur einfach der Gitarrespieler. Ich erfülle ganz viele Funktionen gleichzeitig als Gitarrist. Weil es gibt sozusagen Schlagzeug und Bass, und die Funktionen von Schlagzeug und Bass sind eben hauptsächlich rhythmischer Natur. Und ich muss sozusagen nicht nur die Rhythmusgitarre, sondern auch die Lead-Gitarre und dazu noch ein Streichorchester und dazu noch den Synthesizerspieler, ich muss alles abdecken letztendlich. Und irgendwie in der Überforderung davon, dass ich all das auf die Reihe kriegen muss, spiele ich eben so Gitarre, wie ich Gitarre spiele. Als ich das erste Mal Sonic Youth gehört habe, da war tatsächlich mein erster Gedanke: Die spielen Gitarre wie ich."
    Musik "iPhone" - Die Nerven
    "Ich glaube, ich habe mit dem Text versucht, so eine Art Paranoia, die ich habe, so ein bisschen zu kontextualisieren. Die irgendwie mit dem Digitalen in Verbindung steht, weil ich habe manchmal den Eindruck, es ist wie eine zusätzliche Dimension, die durch das Digitale dazu gekommen ist. Einfach eine neue Ebene von nicht nur Kommunikation, sondern auch von Wahrnehmung, die viel tiefer ins Leben eingreift, als man das vielleicht möchte, oder als man sich das vielleicht zugestehen will. Also es gibt dieses Drinnen und dieses Draußen nicht mehr, es gibt bloß noch was Verwobenes. Und wenn man sich heute 14-jährige Mädchen auf Instagram anguckt, ich habe den Eindruck, für die gibt es wirklich kein Drinnen und Draußen mehr."
    Der Song "iPhone" vom 2015 erschienenen Album "Out". Auch hier beziehen Die Nerven kritisch Stellung zu den Auswirkungen von Digitalisierung und sozialen Medien. "Bist Dir selbst die größte Lüge", singt Max Rieger da, "das alles ist nicht echt." In vielen Songs auf "Out" kommen dunkle Seelenzustände von Angst, Sprachlosigkeit, Zweifel und Verzweiflung zur Sprache, aber auch Momente von Hoffnung und Selbstbehauptung. Die Texte der Nerven sind auch von großer Literatur inspiriert.
    Inspiration durch Literatur
    "Es hat sich so über die letzten Jahre herausgestellt, dass ich, glaube ich, am meisten mich konnekten konnte mit Thomas Bernard, interessanterweise. Ich mag die Art, wie Thomas Bernard schreibt und ich mag seinen Fatalismus und seine Ausweglosigkeit, die so in jedem Satz mitschwingt. Auch wenn die Sätze zwei Seiten lang sind und in den Sätzen bloß diese Worte und immer wieder und immer wieder, ist das, glaube ich, immer noch das, was ich am ehesten sage, das ist es für mich."
    Im Herbst 2016 haben Die Nerven in Berlin viermal live Theater-Musik gespielt. In dem Stück "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" nach dem Roman von Frank Witzel. Eine ungewöhnliche Erfahrung für Band, die damit von der Untergrund- zur Kunst-Rock-Band avancierte.
    Die Band "Die Nerven" wird am 24.09.2015 in Hamburg beim VIA! VUT Indie-Award 2015 als bester Act ausgezeichnet (v.l. Kevin Kuhn, Julian Knoth, Max Rieger)
    Die Band "Die Nerven" wird 2015 mit dem VIA! VUT Indie-Award 2015 als bester Act ausgezeichnet. (picture alliance / dpa / Henrik Josef Boerger)
    "Jeden Morgen aufstehen und dann zehn Stunden kreativ sein auf Abruf, war schon auf jeden Fall eine neue Erfahrung. Aber es war auf jeden Fall auch eine gute Erfahrung. Wir behaupten beispielsweise, dass wir gelernt haben, dynamisch zu spielen. Oder eben tatsächlich das zu leisten, wenn es heißt, wir brauchen jetzt für diese Stelle Musik, dass wir dann innerhalb von zehn Minuten irgendwie auf irgendwas kommen können, was sich da eignet."
    Am liebsten aber sitzt der umtriebige Max Rieger zur Zeit in seinem neuen Studio, das er sich wegen der günstigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Leipzig eingerichtet hat. Dort hat er auch "Welt in Klammern" aufgenommen, das zweite Album seines Soloprojektes All Diese Gewalt. Im Alleingang hat er darauf tausend Spuren mit verrückten Geräuschen und funkelnde Melodien zu seltsam betörenden Klangbildern geformt. Und in diesem Studio wird Max Rieger jetzt auch das zweite Album einer befreundeten Band produzieren, nämlich das von Drangsal.
    Musik "Allan Align" – Drangsal
    "Ich habe das Gefühl, dass vielleicht bei mir noch eine krassere Affinität da ist zur Selbstinszenierung, zum Pop-Pomp. Und bei den anderen ist es, glaube ich, einfach, die gehen da rein, nehmen’s Instrument und sind wütend und schlagen drauf ein. Und das kommt dabei raus. Und die Musikalität kam erst später dazu. Und später heißt, als die schon super waren, habe ich noch daheim gesessen und in meinem Computer Songs geschrieben."
    Der Multiinstrumentalist Max Gruber alias Drangsal landete mit seinem überschwänglichen, bittersüßen Synthi- und Gitarren-Pop 2016 überraschend in den Charts. Kaum jemand klang so sehr nach den 1980er Jahren, nach The Cure, Depeche Mode und Joy Division, wie dieser Wunderknabe der Post-Punk-Szene. Max Gruber ist gerade erst 23, schlank, smart, trägt kurze schwarze zurückgegelte Haare, Seite und Nacken ausrasiert. Schwarzer Blouson, schwarze Jeans, durchdringender Blick und leicht glamouröse Aura des Stars in spe. Aber im Interview zeigt er sich zugänglich und mitteilungsfreudig, geistreich und selbstironisch. Max Gruber stammt aus einem kleinen Dorf bei Landau in der Pfalz: Herxheim, das im Mittelalter "Härrieschaim" hieß. Genau wie das Debütalbum von Drangsal, auf dem Gruber zwar sehr größstädtisch wirkende Musik macht, sich in vielen Texten und Songtiteln jedoch auf seine dörfliche Heimat bezieht.
    Kleinstadt-Langeweile und Außenseiter-Einsamkeit
    "Ich habe absolut positive Erinnerungen an meine Kindheit. Es war natürlich, wie das im Dorf oft so ist, relativ behütet. Man kriegt einfach nichts mit. Weil es zählt nur das, was da passiert, und da passiert halt nicht viel. Und ich hatte sehr offene Eltern, die mich vielleicht auch zu oft haben machen lassen, was ich will. Aber Herxheim an sich hat schon einen besonderen Stellenwert für mich. Das ist halt das, was ich unter Heimat verstehe, und ich weiß, das das mittlerweile ein sehr negativ konnotierter Begriff ist."
    Kleinstadt-Langeweile und Außenseiter-Einsamkeit, die Provinz als Nährboden für gute Popmusik. Grubers Vater ist beinharter AC/DC-Fan, die Mutter liebt Genesis und The Cure, und der kleine Max entdeckt schon als Kind den verwirrenden Schock-Rocker Marilyn Manson. In der Dorf-Disco tanzt der Teenager Gruber gern zu Depeche Mode, The Cure, Echo & The Bunnymen oder Anne Clark. Und dann stößt er eines Nachts bei MTV auf The Smiths mit dem exzentrischen Sänger und Songpoeten Morrissey: Sie beflügeln ihn und seinen Wunsch, selbst Musiker zu werden, am meisten.
    Emotionalität und Simplizität
    "Das hat mir so eine Ohrfeige gegeben, weil der Sound, das war so überkandidelt, so rein und so. Ich weiß, irgendwas ist da mit mir passiert. Und, wie das bei vielen Leuten so ist, entdeckt man dann diesen Charakter Morrissey hinter The Smiths. Und dann verfällt man dem entweder komplett oder es tangiert einen eben einfach nicht. Und bei mir war es ersteres so.
    Ich weiß nicht, was mich daran so angezogen hat. Die Art und Weise, wie er die Welt gesehen hat."
    Musik "Love Me Or Leave Me Alone" - Drangsal
    Drangsal mit "Love Me Or Leave Me Alone", vom Debütalbum "Härrieshaim".
    "Ich hatte einfach das Gefühl gehabt, dass ich da irgendwas gefunden habe, dass ich auch kann. Und dass ich da was gefunden habe, was all die Sachen vereint, die ich einfach gut finde: Emotionalität, aber auch eine gewisse Simplizität. Dass man mitsingen kann, dass man Sachen schön hören kann. Dass man aber trotzdem auf seine eigene Anweisung auch komplex sein kann und verschachtelt und irgendwie übergroß."
    Spiel mit Geschlechterrollen und religiösen Symbolen
    Max Gruber alias Drangsal spielt seinen Post-Punk-Pop auf dem Einstandsalbum mit nervöser Euphorie und mitreißendem Überschwang. Das Leidenspathos, das viele Künstler jener Zeit und Stilrichtung kultivierten, hat er nicht übernommen. Stattdessen betreibt er ein ironisches Spiel mit Geschlechterrollen und religiösen Symbolen und baut ironische Brechungen und Doppeldeutigkeiten ein. In den Songs von Drangsal geht es um universelle Themen des Heranwachsens und der Selbstfindung.
    "Unverständnis dem Verhalten von anderen Menschen gegenüber. Aber gleichzeitig auch eine Ablehnung dessen. Auf der anderen Seite auch eine Sehnsucht danach und der Konflikt, der daraus entsteht, wenn man etwas ablehnt, weil man gerne Teil von etwas sein möchte, aber es nicht mit sich selbst vereinbaren kann, auf gewisse Weise Teil von etwas zu sein. Von irgendeiner Bewegung oder irgendeiner Art und Weise, die Dinge anzugehen, diesen Verhaltensmustern von anderen Zeitgenossen. Und diese Bi-Polarität und Allgemein-Bipolarität, sich nicht sicher sein, ob man etwas gut oder schlecht findet. Oder sich allgemein nicht sicher sein, wo man und wie man zu bestimmten Sachen steht und vor allem zu seinen Mitmenschen und sich selber."
    Provokative Pop-Manöver
    In seinem ersten Musikvideo "Allan Align" küsst Max Gruber die Boulevard-Prominente Jenny Elvers. Ein provokatives Popmanöver, das vor allem die "verstockte Indie-Geschmackspolizei vor den Kopf stoßen sollte, sagt Gruber. Er kennt keine Berührungsängste gegenüber dem Mainstream. Das hat ihm auch Spott und Kritik vonseiten der Fachpresse und des Feuilletons eingebracht: "Joy Division fürs Kirmeszelt" oder "dreiste Kopie des Achzigerjahre-Sounds" hieß es bei der Zeit online oder im SPIEGEL.
    "Da fühle ich mich, auch wenn es so gemeint war, nicht beleidigt, weil es stimmt. Es ist genau das: ‚De Sade aus Zuckerguss’, gab es auch, sowas ähnliches. Finde ich auch gut. Wie ‚Falco ohne Koks’. Sind immer so Sachen, wo noch was dazukommt. Wie Falco. Ohne Koks. Okay. Wie Joy Division. Fürs Kirmeszelt."
    Aber Max Gruber ist ein Überzeugungstäter, er hat Blut geleckt. Das ganze Jahr 2016 war Drangsal nonstop auf Tour. Und dabei sprudelten die Ideen für neue Songs und Stücke nur so aus ihm heraus, freut er sich. Er kann es kaum erwarten, sie für sein nächstes Album einzuspielen. Wie ein Besessener.
    "Ein bisschen Angst zu sterben gehört dazu"
    "An den Punkt muss man kommen, wo es manisch wird und wo es wehtut. Jede Sekunde, in der man nicht etwas für den Song macht und wo man nicht weiter geht Richtung Fertigstellung, jede Sekunde davon muss unfassbar schmerzhaft sein. Und jeder Tag, an dem man keine Musik schreibt, muss auch Panik machen. Sonst macht es keinen Spaß. Ein bisschen Angst zu sterben gehört dazu."
    Drangsal. Die Nerven. Messer: All diese Bands führen den Post-Punk der 1980er Jahre innovativ weiter. Jede Band hat ihre eigene Klangsprache und Ästhetik entwickelt. In ihren Texten und in ihrer Musik stellen sie mehr Fragen nach Gegenwart und Zukunft, als sie beantworten. Man sollte ihnen auch in Zukunft zuhören.
    Musik "Der Ingrimm" - Drangsal
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage nachhören.