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Filmfestival Havanna
Kino mit Selbstironie und Leidenschaft

Beim 39. Internationalen Festival des neuen lateinamerikanischen Kinos in Havanna herrscht großer Andrang. Für die Kubaner sind die Filme ein Fenster zur Welt und gleichzeitig ein kritischer Blick hinter die Fassade des eigenen Landes.

Von Burkhard Birke | 17.12.2017
    Hunderte Menschen stehen vor der Eröffnung des 33. Festivals des Lateinamerikanischen Films in Havanna vor dem Kino "Karl Marx".
    Jedes Jahr aufs neue: gespannte Erwartung auf die Kinohiglights beim Filmfestival Havanna - hier im Jahr 2011 (picture alliance / dpa / EPA)
    Schier endlos scheint die Schlange, nicht aber die Geduld der Wartenden vorm Kino. Sogar die Polizei wird gerufen, um die Masse zu bändigen, die nicht aufhört zu drängeln, um einen Platz zu ergattern.
    Gezeigt wird: "Porque mis amigas lloran?" - "Warum meine Freundinnen weinen"- ein komplexes Frauendrama. In ihrem ersten Kinofeature lässt Regisseurin Magda Gonzalez Grau das Wiedersehen von vier Internatsfreundinnen nach mehr als 20 Jahren zu einer Abrechnung mit Vergangenheit und Gegenwart werden - ohne Scheu, Tabus aufzubrechen.
    Magda Gonzalez Grau - die Regisseurin von "Porque mis amigas lloran?"
    Magda Gonzalez Grau - die Regisseurin von "Porque mis amigas lloran?" (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    "Im Gegensatz zur männlichen wurde die weibliche Homosexualität bisher filmisch in Kuba nicht aufgegriffen. Mir war das nicht klar, bis mir jemand nach dem Lesen des Drehbuchs sagte: Das ist das erste Mal, dass das Thema in einem kubanischen Film zur Sprache kommt - und zwar als echte Liebe."
    Ewige Korrektur fehlgeleiteter Politik
    Auch den Umgang mit AIDS, Gefängnis wegen Diebstahl aus Not in der Krisenzeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und übereifrigen Kommunismus greift Magda Gonzalez Grau in dem durch Dialoge überzeugenden Drama auf - stets mit der nötigen Prise Humor zum Beispiel, wenn vom Land der ewigen Korrektur fehlgeleiteter Politik die Rede ist.
    "Nach diesem Satz haben die Leute auch bei einer anderen Vorführung applaudiert. Fidel Castro sagt ja zu seiner Revolution, dass man ändern muss, was geändert werden muss, aber oft werden zu viele Fehler gemacht, die sich auf den Alltag der Menschen in Kuba auswirken."
    Besonders krass war die Situation nach 1989 während der sogenannten Periodo Especial: 85 Prozent des kubanischen Handels mit dem Ostblock fielen weg. Es mangelte an allem, vor allem auch wegen des bis heute existierenden US-Embargos. Viele Leute konnten sich nur mit halblegalen und illegalen Aktivitäten wie heimischem Schnapsbrennen oder Zigarrendrehen über Wasser halten - was unter anderem die erste US-amerikanisch-kubanische Koproduktion seit der Revolution aufgreift.
    Wahre Umstände als Inspiration
    In "Sergio und Sergei" wird die kleine Tochter des in Russland ausgebildeten Marxismusdozenten Sergio zum Schweigen darüber und über das Funkgerät ihres Vaters verdonnert. Es stammt von einem amerikanischen Journalisten aus New York und ermöglicht Sergio Kontakt zu Sergei, dem aus Sowjetzeit übrig geblieben Kosmonauten auf der Raumstation Mir.
    "Du hast gerade Kontakt mit der Raumstation Mir aufgenommen?" Fragt Schauspieler Ron Perlman in der Rolle des Peter in New York seinen kubanischen Funkerfreund Sergio.
    "Sergio verkörpert diesen Träumer, der sich durch die Umstände gezwungen sieht dafür zu sorgen, dass etwas zu essen auf den Tisch kommt. Und das zwingt ihn zu einer ziemlich harten Landung im Film", sagt Regisseur Ernesto Daránas.
    Die Dreiecksgeschichte zwischen USA, Kuba und der gerade verblichenen Sowjetunion wirkt zwar etwas konstruiert, mit einem tollpatschigen Staatssicherheitsagenten, der auf dem Fahrrad Strom erzeugen muss und Sergio nicht so richtig auf die Schliche kommt. Durch wahre Umstände inspiriert, stieß die Komödie beim kubanischen Publikum jedoch auf helle Begeisterung und könnte auch Zuschauern jenseits des Atlantiks den ein oder anderen Lacher entreißen.
    Geld verdirbt den Charakter
    Vor Humor, und zwar schwarzem, trieft Altmeister Gerardo Chijonas Oeuvre "Los buenos demonios" - "Die guten Dämonen". Ein Taxifahrer tötet Touristen, was ihm Devisen und damit Freundinnen sowie Beteiligung an einem Paladar - einem Privatrestaurant beschert.
    Vor einem Kino in der kubanischen Hauptstadt Havanna fährt ein alter grüner Straßenkreuzer.
    Kino in der kubanischen Hauptstadt Havanna (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Korruption, Versorgungsengpässe, Leidenschaft im täglichen Überlebenskampf - die Thematik, dass Geld den Charakter verderben kann, gerade auf Kuba, wo längst nicht jeder Zugang zu überlebenswichtigen Devisen hat, greifen auch Jungfilmer wie Daniel Chile auf. Für seinen Kurzfilm "atrapado" – "gefangen", bekam er eine Sonderauszeichnung. Chile gehört zur neuen realitätsnäheren Generation, auch was die Finanzierung angeht:
    "Einen Teil der Finanzierung haben wir übers Internet durch Crowdfunding aufgetrieben, auch eine kubanische Produzentin und eine spanische Bank haben sich beteiligt. Manchmal suchst Du aber sechs Monate lang das Geld, und das verzögert die Produktion eines Films. Die dauert dann zwei, drei Jahre."
    Seltener lateinamerikanischer Austausch
    Crowdfunding, US-kubanische Koproduktion, Aufbrechen von Tabuthemen: Vor allem die jungen kubanischen Regisseure hoffen. Für sie, aber auch für die Großen des lateinamerikanischen Films ist das Festival in Havanna als Publikumsveranstaltung speziell, wie der in Cannes für "las hijas de Abril" - "Die Töchter von April" ausgezeichnete Mexikaner Michel Franco meint:
    "Diesen Austausch zwischen lateinamerikanischen Ländern kenne ich sonst nur vom Festival in San Sebastian. Havanna ist ein Festival mit einer langen Tradition und hoher Glaubwürdigkeit. Vor allem ist das Publikum hier sehr gut."
    Ein Publikum, das sich seltsamerweise mehr für die nationalen Produktionen als für die sonst eher seltenen internationalen Filme interessiert, die nicht selten vor halb leeren Sälen gezeigt wurden.