Donnerstag, 28. März 2024

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Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, welche Freude, diese Läufe zu spielen"

Wir verdanken Beethoven mit der "Ode an die Freude" eine der schönsten Melodien, schreibt Terézia Mora in ihrem Brief an den berühmten Komponisten. Die Schriftstellerin erinnert sich an ihre unangenehm strenge Klavierlehrerin - und dass sie dennoch sehr gerne "Für Elise" gespielt habe.

Von Terézia Mora | 18.05.2020
27.10.2018, Hessen, Darmstadt: Die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora steht auf der Terrasse des Darmstädter Staatstheaters, wo sie später mit dem Georg-Büchner-Preis 2018 ausgezeichnet wird.
Was Beethoven wohl von heutigem Espresso gehalten hätte, fragt sich Terézia Mora - für seinen Kaffee mussten es genau 60 Bohnen sein (picture alliance / Frank Rumpenhorst)
Lieber Ludwig,
ich schreibe Dir, während ich einen Espresso trinke - ich kann allerdings nicht beschwören, ob er aus 60 Kaffeebohnen gemacht wurde, wie es, seitdem Du damit angefangen hast, der Richtwert für einen Espresso sein soll. Der Grund dafür ist, dass er von einer Maschine gemacht wird, einem sogenannten Vollautomaten, und ich es nicht nachprüfen kann, was dieser genau macht, wenn er die Bohnen frisch mahlt. Würdest Du heute leben, hättest du zweifellos eine Meinung dazu, wie heutzutage Kaffee zubereitet werden sollte. Ich gehe von 60 abgezählten Bohnen einer gewissen von Dir auserwählten Region mit einer von Dir auserwählten Röstung und einer mechanischen Mühle aus, mit der diese frisch zu mahlen wären. Wie viele Durchgänge bis zu welcher Feinheit? Und ob Du mit Wasser oder eher mit Dampf arbeiten würdest?
Technikaffin - und vom Vater brutal behandelt
Meine Freundin, eine Pianistin, votiert für Dampf, was interessante Möglichkeiten für die dafür eingesetzte Apparatur eröffnet. Du habest nicht nur die Entwicklung des Klaviers vorangetrieben, wie sie mir schreibt, indem deine Sonaten aus dem 5-6-7- Oktaven-Rahmen ausbrechen, Du seist außerdem technikaffin gewesen. Wir haben Dir Denkanstöße auf dem Gebiete der Hörgeräte zu verdanken - aus dem bekannten, traurigen Grund. Aber, verzeih, was mich anbelangt, die ich keine Profimusikerin bin, muss ich immer nur an eine Sache denken, wenn ich den Namen Beethoven höre. Wie uns unsere Lehrer, die Musiklehrer in der Schule ebenso wie die Klavierlehrerin und auch der prügelnde Horterzieher wenigstens einmal die Geschichte erzählt haben, wie Du von deinem Vater während deiner Ausbildung brutal behandelt worden seist.
Ein ganz in schwarz gekleideter Mann sitzt im Schneidersitz auf einem Holzboden und blickt zur Seite. Seine Hände liegen locker auf seinem linken Bein.
Briefe an Beethoven - "Lieber Ludwig, welch ein großer Irrtum!"
"Ich habe es bewundert, aber nicht geliebt", gesteht Matthias Kirschnereit in seinem Brief an Beethoven in Bezug auf dessen fünftes Klavierkonzert. Doch inzwischen hat der Pianist seine Haltung dazu verändert: Er entdecke ständig Neues und staune über die Schönheit des Werks.
Das schrieb sich mir deswegen so tief ein, weil die gleichen Lehrer (siehe das Adjektiv des Horterziehers) selbst nicht gerade durch gewaltfreie Pädagogik glänzten. Sie erzählten uns auch sehr gerne darüber, wie sie selbst als Schüler von ihren Lehrern systematisch misshandelt worden seien, was es für Methoden gab, die gewohnheitsmäßig eingesetzt wurden. Und wir saßen da und fragten uns: Ob sie uns das erzählen, damit wir sehen, dass es uns doch wesentlich besser geht (während es uns nicht besonders gut geht)?
Eine Weile brachte ich meiner Klavierlehrerin, die nicht körperlich, nur verbal übergriffig war, zu jeder Stunde einen Bonbon mit. Während sie den Bonbon lutschte, redete sie nicht und der Zucker hob ihre Laune auch ein wenig, so dass man zwar ohne viel Rücksicht, aber wenigstens nicht offensiv beleidigend kritisiert wurde. (Ich verachtete mich für die Bonbon-Aktion, während ich mir gleichzeitig auch gratulierte. Wir lernen fürs Leben. Wir lernen, dass man sehen muss, wie man durchkommt.)
"Für Elise" zwischen Freude und Verachtung
Interessant im Zusammenhang mit der Bedeutung von Motivation ist, dass ich meine Lehrer nicht mochte, aber ich mochte trotzdem die Fächer, weil ich eins nicht mit dem anderen gleichsetzte. Es wäre besser gewesen, nettere Lehrer zu haben, aber wenn nicht, dann eben nicht. Ich mochte Literatur, also beschäftigte ich mich ungebrochen weiter mit Literatur, ich mochte einfache Mathematik und Biologie, also beschäftigte ich mich weiter mit einfacher Mathematik und Biologie, ich mochte das Klavier, also spielte ich weiter Klavier, auch wenn ich natürlich niemals in den Bereich jenseits des 5-6-7-Oktaven-Rahmens vordringen konnte. Bei weitem nicht.
Wie jeder Klavierschüler spielte ich gerne "Für Elise". Selbstverständlich verachteten all unsere Lehrer "Für Elise", oder die Tatsache, dass wir das alle spielen wollten. Und dennoch konnte das die Freude, diese Läufe zu spielen, nicht trüben. Weil diese unvermeidbar während des Spielens entsteht, so schön wie F= m (mal) a oder Adenin zu Thymin, Guanin zu Cytosin oder wenn man die "Ode an die Freude" singt. Meine Freundin schreibt, Du seist nicht gerade für singbare Melodien bekannt und dennoch verdanken wir Dir eine der schönsten Melodien, für die "uns" jeder kennt. Das ist doch was.
In diesem Sinne, alles wird gut lieber Ludwig!
Deine
Terézia Mora