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Gewalt der Welt und Friede des Waldes

Eine nicht ganz koschere Polizei-Einheit verstrickt sich in "Die Wütenden" in Straßenkämpfe. In "Jojo Rabbit" hat ein kleiner Hitler-Junge gleich zwei geheime und gegensätzliche Freunde. Und mit „Das geheime Leben der Bäume“ wurde ein Sachbuch-Bestseller verfilmt.

Von Hartwig Tegeler | 22.01.2020
Roman Griffin Davis als Jojo Betzler und Taika Waititi als Adolf Hitler sehen erstaunt in die Kamera
"Jojo Rabbit" mit Roman Griffin Davis und Taika Waititi (imago images / Prod.DB)
Wie nahe der Vulkan, auf dem alle in dieser Welt tanzen, vor der Explosion steht, macht deutlich, wenn wir hier hören, in was die Polizeistreife in den Banlieus von Montfermeil, 20 Kilometer östlich von Paris, da gerät. Die Wut, die Ladj Lys Film "Die Wütenden – Les Misérables" den Titel verleiht, ist sinnlich spürbar. Die Chefin des Polizisten Stéphane, der aus der Provinz kommt, bringt´s auf den Punkt:
"Ohne Team ist man allein. Allein im Kampf gegen die Brutalität der Welt."
Aber Chris und Gwada, mit denen Stéphane seinen ersten Tag Streife fährt, sind korrupt und besessen von der Macht als Polizisten.
"Was ist los? Das Gesetz bin ich!", brüllt Chris. Er wird aber erleben, dass das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ordnungsmacht, Clan-Chefs oder der muslimischen Clique äußerst fragil ist. Als die Polizisten bei der gewalttätigen Verhaftung eines Jugendlichen von einer Drohne gefilmt werden, eskaliert die Situation.
Ein Victor-Hugo-Update im 21. Jahrhundert
Regisseur Ladj Ly hat in jenem Montfermeil gedreht, das Victor Hugos Roman "Les Misérables" verewigte. "Die Wütenden" ist eine Art Hugo-Update im 21. Jahrhundert. Es geht um Gewalt, um soziale Konflikte auf engstem Raum.
Das Ende von "Die Wütenden" bleibt offen. Die Jungen im Viertel fegen zwar die alten Kräfte in einem brutalen Gewaltakt hinweg, aber vielleicht werden auch sie selbst Opfer ihres Ausbruchs werden. Dieser verstörende Spielfilm, der vor Energie und Dynamik selber fast zu explodieren scheint, wirkt wie dokumentarisch.
"Die Wütenden – Les Misérables" von Ladj Ly – herausragend.
Was dem Millionär Elwood alias James Stewart sein unsichtbarer Hasen-Freund Harvey war, das ist für zehnjährigen Jojo sein Adolf. Ja, Adolf Hitler. Der geheime Gefährte und Ratgeber, den natürlich kein anderer sieht außer Jojo – ein obszöner und absurder Vergleich? Ja, unbedingt. Und genau darauf legt es Taika Waititi in seinem Film "Jojo Rabbit" an.
"Hallo, Adolf."
"Willst du mir von dem Kaninchen-Vorfall erzählen. Was war denn da los?"
"Sie wollten, dass ich es töte. Es tut mir leid, ich konnte es nicht."
"Mach' dir keinen Kopf, das ist mir schnurzegal."
"Aber jetzt nennen sie mich einen Hasenfuß."
Eben "Jojo Rabbit". Nazi-Deutschland kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Amerikaner stehen vor der Tür. Jojo ist Hitlerjunge, der Vater tot, die Mutter liebevoll und, wie sich herausstellen wird, eine Widerstandskämpferin.
Das Grauen und der Witz
Jojo will einfach nur dazugehören, aber das mit dem Kaninchen macht ihn zum Außenseiter. Und dann entdeckt er noch in der Abstellkammer die junge Jüdin, die seine Mutter - gespielt von Scarlett Johansson - versteckt hat.
"Du weisst, was ich bin. Sag es."
"Ein Jude!"
"Halleluja."
Taika Waitits Satire "Jojo Rabbit" erzählt, wie Jojo, der überzeugte Hitlerjunge, in einen schweren Konflikt gerät, weil die Jüdin Elsa kein bisschen so ist, wie es Juden gemäß seiner Ausbildung als Judenhasser zu sein haben.
Immer wieder setzt der Film dem Grauen der Realität Witz und Absurdität entgegen. Dass dieses Verfahren im Film gelingen kann, bewies Roberto Benigni mit seiner Shoah-Komödie "Das Leben ist schön" von 1997. Da war der Horror der Vernichtung aber hinter jedem Lachen immer präsent. Dieses Kunststück gelingt "Jojo Rabbit" am Ende nicht. Es scheint so, als würde das Leiden in diesem Film, trotz des Schicksals von Jojo Mutter, zu sehr ausgeblendet, als dass die Satire durchweg funktionieren könnte.
"Jojo Rabbit" von Taika Waititi – empfehlenswert.
Peter Wohlleben ist ein äußerst sympathischer Mann. Das wird in Jörg Adolphs Verfilmung des Bestsellers "Das geheime Leben der Bäume" - Autor Peter Wohlleben - deutlich.
Wobei das mit dem Begriff "Verfilmung" an sich gar nicht stimmt, weil es sich hier um einen vermarktungsgerechten PR-Film handelt, der nicht mit Bildern des deutschen Waldes, sondern mit einem Auftritt des bekanntesten deutschen Försters in einem Rundfunkstudio beginnt, in dem er über sein Buch, das allein in Deutschland seit dem Erscheinen 2015 1,3 Millionen Leser gefunden hat, spricht.
Kommunizieren Bäume wie Menschen?
Ein bisschen gibt es dann aber doch noch was von dem, was im Buch über die Organisationsstrukturen des Waldes vermittelt wird. Wenn beispielsweise ein Baumstumpf nicht gänzlich abstirbt:
"Die umgebenden Buchen pumpten ihm Zuckerlösung hinüber, um ihn am Leben zu halten. Dass es wirklich ein verflochtenes System ist, das die meisten Individuen eines Bestandes und einer Art miteinander verbindet, haben Wissenschaftler im Harz herausgefunden."
Wohllebens verführerische Grundthese lautet, dass Bäume in gewisser Weise wie Menschen kommunizieren. Über solche Anthropomorphismen ließe sich kräftig streiten. Das ist aber nach diesem Film nicht möglich, weil er weniger von Wald und Bäumen handelt, sondern von einem Bestsellerautoren, der die ganze Zeit im Mittelpunkt geht. An das Niveau einer BBC-Doku wie "Unser Planet" reicht diese Mogelpackung nicht im entferntesten.
"Das geheime Leben der Bäume" von Jörg Adolph – ärgerlich.