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Postkoloniale Allmachtsfantasien in zentraleuropäischer Familienstruktur

Die zentraleuropäische Familienstruktur, mit ernährendem Vater und sorgender Mutter, hilflosen Kindern, also Helfern und Geholfenen sei auch das Muster für humanitäre Hilfe in der Dritten Welt. So die These des Theaterstücks "We love Africa and Africa loves us".

Von Michael Laages | 06.10.2012
    Ob das Ensemble sich wohl wirklich entschieden hat, wovon es erzählen will? Es sieht nicht wirklich danach aus: Über 2,5 pausenlos zermürbende Stunden hinweg zeigen Markus Öhrns Protagonisten Elmer Bäck und Anders Carlsson, Jakob Öhrman und Rasmus Slätis vor allem die Rituale einer Familie.

    Vater und Mutter und die beiden Söhne sind dabei im Wesentlichen damit beschäftigt, die sexuellen Begehrlichkeiten des tumbem Machovaters zu befriedigen und nebenbei den älteren Sohn zu erniedrigen, der offenbar als schwul gilt. Und nur gelegentlich klettern sie in den Keller des zweigeschossigen Wohnbunkers hinab. Dort lebt und lauert "Afrika" - oder besser: Das, was sich die europäisch-beschränkte Zwergenfantasie dieser Familie darunter vorstellen kann. Dunkle Triebe, tiefe Armut, tote Kinder. Als Vater zum finalen Exzess ansetzt, kippt er in einer vom vielen Proben schon tiefrot gefärbten Kellerecke ein Fläschchen Kunstblut über sich und einem Haufen schwarzer Puppen aus. Retten will und muss er sie (sagt der Gutmensch in ihm) – tatsächlich suhlt er sich rotbeschmiert im schwarzen Elend.

    Das wäre ein schlüssiges Finale. Aber gleich darauf will es der schwule Sohn im gleich tun: Nun aber wird der, Kinder hin, Rettung her, zur Zielscheibe für den versammelten Familienhass. Es ging halt nie um Afrika oder bestenfalls um das Klischee vom dunklen Kontinent, der so bedrohlich nah gekommen ist. Das Familiendrama siegt immer.

    Immerhin hält Öhrn diese Familientiere, Ekel Alfred und die Seinen, halbwegs auf Distanz. Denn alles, was wir real zu sehen bekommen im stark vernebelten Ballhaus Ost, ist eine Videoproduktion außen auf dem Kubus, der die Wohnwelt der Monstren ist. Sie spielen drinnen, hocken mit Glubschaugenmasken vor den Gesichtern zu viert auf dem Sofa und starren lange bewegungslos in die Kamera. Wie sie sich quasi in Zeitlupe in Bewegung setzen und zu agieren beginnen: Das gehört zu den wenig eindrucksvollen Momenten des Spiels.

    Was sie dann tun, ist Klischee pur, abgeschmackt und ziemlich blöde, in Text und Aktion. Und auch, dass wir genötigt sind, 150 Minuten auf das Livevideobild auf der Kubusaußenhaut zu starren, reduziert den Eindruck beträchtlich – wer Fernsehen, Film oder Video sehen will, hat dazu reichlich und immerzu im Leben Gelegenheit. Wer für eine Vorstellung im Theater bezahlt, erwartet normalerweise so etwas wie Theater.

    Und das hat in erster Linie und existenziell mit lebendigen Menschen zu tun: Diese vier hier sind lebendig nur, weil wir uns darauf einlassen, an die reale Aktion im Würfel zu glauben.

    Aber das ist nicht das Schlimmste an diesem ermürbenden Abend: Auch der musikalische Lärm ist es nicht, auch nicht die nervenden Grobschlächtigkeit in den Klischees, nicht der fürchterlich banale Text und die Blödelei im Spiel.

    Ärgerlich ist die Beiläufigkeit, die Beliebigkeit sogar, mit der Öhrn und "Nya Rampen" den Weltkonflikt Afrika herunternivellieren zur eigentlich nur spekulativ benutzten Nebensache.