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Posttraumatische Verbitterungsstörung

Manche Menschen reagieren auf einschneidende Ereignisse wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder des Lebenspartners nicht nur vorrübergehend sondern dauerhaft. Sie erholen sich nicht mehr, reagieren mit einer ganzen Reihe psychosomatischer Beschwerden und Verhaltensauffälligkeiten. Der Psychiater Michael Linden von der Charité Berlin hat in einer Studie festgestellt, dass sich die Beschwerden und Auffälligkeiten dieser Patienten über ein Gefühl erfassen und damit auch behandeln lassen. Bei diesen Patienten herrscht Verbitterung über alle anderen Gefühle.

Monika Wimmer | 19.08.2003
    Die Posttraumatische Verbitterungsstörung ist eine sehr ausgeprägte Psychoreaktion auf einschneidende Lebensereignisse mit denen die Menschen nicht fertig werden. Leitsymptom ist die Verbitterung. Es kommen dazu Schlafstörungen, Appetitverlust, Rückzug von sozialen Aktivitäten und dergleichen mehr.

    Zum Beispiel Depressionen, Lustlosigkeit und manchmal sogar Selbstmordgedanken. Michael Linden ist Psychiater an der Berliner Charité und leitet die Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik in der Rehabilitationsklinik Seehof in Teltow. Er hat das Krankheitsbild der Posttraumatischen Verbitterungsstörung kürzlich erstmalig beschrieben. Und er hat nach den Ursachen geforscht.

    Linden fand heraus, dass die Betroffenen seit ihrer Kindheit in einem engen Korsett aus Normen und Werten leben. Grundsätze wie "Erst die Arbeit und dann das Vergnügen" bestimmen ihre Existenz. Solange bis diese durch ein traumatisierendes Ereignis erschüttert werden.

    Entscheidend ist, dass die Patienten durch ein Lebensereignis in zentralen Werten verletzt werden, auf die sie ihr Leben aufgebaut haben. Wenn das ganze Leben auf einer Karte aufgebaut ist und an dieser Stelle kommt ein Ereignis, das die Werteordnung verletzt kann es zu einer solchen Verbitterungsstörung kommen. Wenn zum Beispiel im Berufsleben jemand die Lebensmaxime hat, der Beruf ist das Wichtigste und der deswegen sein ganzes Leben am Beruf orientiert, sich z.B. für die Firma einsetzt, als sei es seine eigene und der dann bei Reorganisation feststellen muss, dass er der erste ist, der entlassen wird, obwohl er dachte, er sei unverzichtbar und der sich dann plötzlich sagen muss , dass sein Einsatz über all die Jahre umsonst war und nicht gewürdigt wird, dann kann es zu solchen Reaktionen kommen.

    Welche Ereignisse können die Posttraumatische Verbitterungsstörung auslösen? Michael Linden hat Patienten der Rehabilitationsklinik Seehof in Teltow befragt. 38 Prozent der Befragten waren nach einer Kündigung erkrankt, 24 Prozent infolge von Konflikten am Arbeitsplatz, 14 Prozent hatten den Tod eines nahestehenden Menschen nicht verkraftet. Die anderen mussten mit dem Scheitern Ihrer Ehe oder anderen familiären Problemen fertig werden.

    Langfristig kann die posttraumatische Verbitterungsstörung zu dauerhafter Arbeitsunfähigkeit führen. Aber den Betroffenen zu helfen, ist kein leichtes Unterfangen.

    Diese Patienten sind schwer zu behandeln, weil Verbitterung n ganz furchtbarer Affekt ist, schlimmer als Angst und Depression, Verbitterung ist eine Mischung aus Angst, Hilflosigkeit, Aggressivität, Selbstherabwürdigung und man hat den Eindruck, dass diese Patienten im eigenen Leid baden. Die Welt soll sehen, wie schlecht es ihnen geht, man möchte den ehemaligen Arbeitgeber fast dadurch bestrafen, dass man selbst in so einem desolaten Zustand ist. Das bedeutet, dass sie nicht ohne weiteres Hilfe suchen, und wenn man Hilfe anbietet wird man sogar zurückgewiesen.

    Dass Menschen, die unter dem Posttraumtischen Belastungsstörung leiden Rachepläne schmieden, ist keine Seltenheit. Sie kennen keine anderen Strategien um mit Schmach, Mobbing, Kündigung oder Verlassenwerden umzugehen.

    Erst in einer mehrstündigen Psychotherapie lernen sie mit solchen Kränkungen fertig zu werden Michael Lindner und seine Kollegen arbeiten derzeit an einem Therapiekonzept, das auf die Verbitterungsstörung zugeschnitten sind. Grundlage dafür ist die so genannte Weisheitspsychologie. Das heißt, die Patienten sollen lernen, mit komplexen Lebenssituationen fertig zu werden. Zum Beispiel, indem sie in Rollenspielen üben, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen und so ihre Probleme aus einer neuen Perspektive zu sehen.

    Da ist es nicht getan mit, jetzt versetz dich mal in die Position deines Chefs, sondern diese Fähigkeiten müssen systematisch aufgebaut werden. Wir üben zum Beispiel auch an Lebensproblemen, die gar nichts mit den eigenen Problemen zu tun haben, z. B. wir geben den Patienten so standardisierte Lebensprobleme, etwa der Art, Sie sind verurteilt zu ner Gefängnisstrafe, nach nem halben Jahr stellt sich ihre Unschuld raus. Ihre Frau hat sie mittlerweile verlassen und sie sind gekündigt. Dann wird der Patient angehalten das aus der Situation des Inhaftierten und später Rehabilitierten zu kommentieren. Nachdem er das gemacht hat, wird er noch mal gebeten, die Situation noch mal zu kommentieren – als Richter. Und dann das Ganze noch mal, um die Fähigkeit zu üben, komplexe Probleme von mehreren Seiten betrachten zu können und damit auch die Fähigkeit zur Entwicklung differenzierterer Lösungswege zu fördern.

    Noch steckt die Therapie der Verbitterungsstörung in den Kinderschuhen. Das soll sich jedoch bald ändern. Michael Linden geht es nicht darum eine neue Krankheit zu erfinden sondern neue Möglichkeiten zu finden, die posttraumatische Verbitterungsstörung präziser zu beschreiben und zu behandeln.

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