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Power-to-Heat
Heizen mit überschüssigem Strom

Wohin mit überschüssiger Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne? Anstatt den zuviel produzierten Strom einfach abzuleiten, könnte man ihn auch in Fernwärmenetze einspeisen. Die Idee hat einen Namen: Power-to-Heat.

Von Sönke Gäthke | 05.11.2014
    Eine Windkraftanlage in Alsleben in Sachsen-Anhalt
    Wenn viel Wind weht, aber kaum Stom verbraucht wird, könnte man damit auch heizen (picture alliance / dpa / Revierfoto )
    Ein Wochenende in Deutschland, im Mai 2020 - die Industrie läuft auf Sparflamme, die Geschäfte sind geschlossen, Handel und Transport ruhen - kaum jemand verbraucht Strom. Doch ausgerechnet jetzt kann das passieren: Die Windräder an der Küste Norddeutschlands laufen hoch, erzeugen innerhalb weniger Minuten bis zu 40 Gigawatt Strom. Fast genauso viel liefern die Kohlekraftwerke. Und gleichzeitig steigt auch noch die Stromerzeugung der Solarzellen - dabei ist der Bedarf Deutschlands schon längst mehr als gedeckt. Die Folge: Die Stromnetze überlasten, laufen heiß, die Strompreise an der Börse fallen ins Negative. Kraftwerksbetreiber zahlen jetzt Geld, damit Verbraucher Geräte einschalten, Windräder werden abgeschaltet. Nun schlägt die Stunde für Power-to-Heat - Strom zu Wärme - die elektrische Heizung für Fernwärmenetze.
    "Power-to-Heat kann [...] Strom aus erneuerbaren Energien, der sonst abgeregelt werden würde, für den Wärmesektor nutzen", hält zum Beispiel der Thinktank Agora Energiewende im Bericht "Power-to-Heat zur Integration von ansonsten abgeregeltem Strom aus Erneuerbaren Energien" fest. Viele Experten halten die Idee für so überzeugend, dass auch die Große Koalition der elektrischen Heizung von Fernwärmenetzen eine wichtige Rolle zubilligt.
    "In einem Strommarkt mit einem weiter zunehmenden Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien werden wir Strom, der sonst abgeregelt werden müsste [...] im Wärmebereich nutzen."
    Tatsächlich hat die Technik einige Vorzüge: Sie ist einfach. Im Prinzip braucht man nur einen riesigen Durchlauferhitzer. Sie ist effizient, denn sie nutzt bereits vorhandene Infrastruktur für die Stabilisierung der Stromnetze. Und sie ist klimaschonend, weil natürlich Heizkraftwerke gedrosselt werden können, wenn die Wärme aus regenerativ erzeugtem Strom gewonnen wird. 13 Fernwärmeversorger in Deutschland haben daher schon elektrische Kessel installiert, zwei sind im Bau, acht in Planung. Sie sollen erst einmal kleinere Schwankungen im Netz ausbalancieren.
    Die Experten der Agora wollen die Rolle noch stärken:
    "Erneuerbarer Strom, der in Zeiten von negativen Börsenpreisen abgeregelt wird, sollte künftig für Power-to-Heat genutzt werden können."
    Mit Strom heizen - wirklich gut fürs Klima?
    Doch es lohnt sich, erst einmal genauer hinzuschauen, welche Rolle die Stromheizung für den Klimaschutz tatsächlich spielen kann.
    Offen ist nämlich, ob sich durch den Kauf von überschüssigem Strom an der Börse wirklich CO2 einsparen lässt. Das liegt daran, dass ins Stromnetz auch Kohlekraftwerke einspeisen. Kommt es nun zu einem massiven Stromüberangebot, wäre es logisch, diese zu drosseln. Das unterbleibt jedoch oft. Mit Blick auf das Ziel einer CO2-freien Stromversorgung kann man daher eher von einem Kohlestromüberschuss sprechen. Experten des Instituts für Zukunftsenergiesysteme IZES in Saabrücken sehen daher in negativen Strompreisen "ein Indiz für die Zahlungsbereitschaft dieser konventionellen Kraftwerke für die Nichtabschaltung."
    Nach dieser Lesart ist es für die Kraftwerksbetreiber langfristig billiger, ein paar Stunden lang Kunden dafür zu bezahlen, Strom zu verbrauchen, als die Kohlekraftwerke zu drosseln. Das bedeutet dann aber, dass in die Fernwärmenetze keineswegs grüner Strom geleitet wird.
    "Strom-Wärme-Anwendungen [...] nehmen keinen (fluktuierenden Erneuerbaren) Strom auf, sondern den in dieser Stunde vorhandenen Strommix."
    "Grauen Strom" nennen Experten diesen Mix aus Wind-, Solar-, Atom- und Kohlestrom. Und jetzt kommt es darauf an, welches Heizkraftwerk gedrosselt wird. Erzeugt es mehr CO2 als die Kraftwerke im Strommix, geht die Rechnung fürs Klima auf, sonst nicht.