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Präsidentenwahl Tunesien
Favorit Essebsi gefällt sich als Vaterfigur

Tunesien wählt an diesem Sonntag (21.12.14) seinen Präsidenten. Zum ersten Mal in einer wirklich freien Wahl. Es ist bereits eine Stichwahl. Moncef Marzouki will Präsident bleiben. Er war vor 3 Jahren von der verfassunggebenden Versammlung als Übergangspräsident gewählt worden. Béji Caid Essebsi von der Partei Nida Tunis will Präsident werden und gilt als Favorit.

Von Jens Borchers | 20.12.2014
    Beji Caid Essebsi hält eine Rede, im Hintergrund ist ein Frauengesicht in Übergröße auf einer Leinwand zu sehen
    Die säkuläre Partei Nida Tunis hat im November 2014 die tunesische Parlamentswahl für sich entschieden (AFP/ Fethi Belaid)
    Wahlkampf ist Tunesien eine lautstarke Angelegenheit. Als Beji Caid Essebsi auf einem Markt um Stimmen wirbt, da geht ihn ein junger Obsthändler ziemlich rau an. Aber der 88-jährige Präsidentschaftskandidat ist gut bei Stimme. Er kann mithalten. Und gegenhalten.
    Beji Caid Essebsi ist bekannt in Tunesien. Essebsi ist nicht einfach ein Name, er ist eine Marke. BCE nennen sie diesen Veteran der Politik. BCE porträtiert sich als politischer Erbe des tunesischen Unabhängigkeitsidols Bourguiba. Er wird weniger gern daran erinnert, dass er auch zu Zeiten von Diktator Ben Ali politisch aktiv war. Viel lieber sieht er sich in der Rolle eines erfahrenen, ausgleichenden Polit-Vaters, der nach der Revolution von 2011 das Land als Übergangs-Regierungschef zusammen hielt.
    Aber die "Vaterfigur" kann ganz schön ausfallend werden, wenn etwas nicht nach ihrem Gusto geht. Als Essebsi im November eine längliche Presseerklärung abgibt und dabei aus dem Koran zitiert, stellt ein Journalist eine Zwischenfrage. Und Essebsi wird sofort grob.
    Präsident Marzouki werde von Salafisten unterstützt
    Die Wortwahl liegt deutlich unter der Gürtellinie, der Ton spricht für sich. Beji Caid Essebsi kann herrisch und autoritär auftreten. Immerhin entschuldigte sich der Gründer der Partei "Nidaa Tounés" später für diese Entgleisung.
    Aber in seinem Präsidentschaftswahlkampf hat er durchaus die derben Argumente bemüht. Sein Konkurrent, der amtierende Präsidenten Marzouki, werde von Salafisten und Islamisten unterstützt, sagte Essebsi mehrmals, auch im Interview beim französischen Sender France 24:
    "In seinem Wahlkampf hat er beispielsweise auf die Liga zum Schutz der Revolution zurückgegriffen. Das sind Gewalttätige. Und er hat, so heißt es, zu seinen Veranstaltungen auch gewisse Salafisten eingeladen."
    Essebi als väterlicher Patriarch
    Er hat seinen Gegner sogar selbst als "Extremisten" bezeichnet. Eine Fernsehdebatte mit Marzouki die wollte er allerdings nicht. Essebsi hat seine Wahlstrategie durchgezogen. Die suggeriert den Tunesiern: Marzouki, wird von Islamisten unterstützt – das ist gefährlich. Ich, Beji Caid Essebsi, verteidige die neu gewonnenen Freiheiten und halte Tunesien zusammen. "Wir machen keinen Unterschied zwischen Norden, Süden und Zentrum. Tunesien ist für alle da und der Staat soll alle seine Kinder gleich behandeln", so sagt es Essebsi. Der Staat und seine "Kinder" – da klingt wieder der väterliche Patriarch durch.
    Seine Partei Nidaa Tounés, übersetzt: Der Ruf Tunesiens, hatte im Oktober die Parlamentswahlen gewonnen. Aber sie hat noch keine Regierung gebildet. Denn nach Nidaa Tounés war die Partei Ennahda zweitstärkste Fraktion im neuen Parlament geworden. Und obwohl Beji Caid Essebsi seinem Gegner Marzouki vorwirft, der lasse sich von Ennahda, also von Islamisten, unterstützen – es könnte sehr gut sein, dass dieser selbe Essebsi die Ennahda an der Regierungsbildung beteiligen muss. Darüber spricht er jetzt, kurz vor der Präsidentschaftswahl, allerdings nur sehr vage:
    „Was diese andere politische Bewegung anbetrifft: Das muss ja nicht heißen, dass sie IN der Regierung wären. Eine Regierung unterstützen oder an einer Regierung beteiligt sein – das ist ein Unterschied."
    Er könnte viel bewegen
    Beji Caid Essebsi ist für viele Tunesier ein Kandidat, der etwas bewegen kann. Einer mit Einfluss und Autorität, auch bei den Reichen, bei den Unternehmern. Und manche Experten warnen: Wenn Essebsis Nidaa-Tounés-Partei die Regierung bildet, im Präsidentenpalast aber ein Mann anderer politischer Couleur sitzt – dann könnte Tunesien gelähmt werden. Das Land könnte dann im politischen Klein-Krieg aufgerieben werden. Genau das, sagt Beji Caid Essebsi, genannt BCE, wolle er verhindern. Als väterlicher Versöhner im Präsidentenpalast, der der Regierung seiner Nidaa-Tounés-Partei keine Steine in den Weg legt.
    Und Beji Caid Essebsi ist sich natürlich auch seines Alters bewusst. Der 88-jährige Politiker greift auch das immer wieder auf und wischt es scherzhaft beiseite: Alter, das sei keine Frage des Körpers, sondern vielmehr eine der Mentalität. Sein Versprechen an die junge Generation lautet:
    "Wir mussten in den letzten Jahren feststellen, dass der Staat nicht präsent ist. Da ist Chaos entstanden, weil der Staat fehlte! Wir werden ihn zurückbringen! Und es wird ein moderner Staat sein. Wer wird ihn aufbauen? Nicht wir, wir übernehmen nur in einer kritischen Übergangsphase die Verantwortung, und dann werden, so Gott will, die jungen Leute diesen Staat voranbringen."
    Vorerst aber will Beji Caid Essebsi daran mitarbeiten, den tunesischen Staat voranzubringen. Da gibt es reichlich zu tun. Vor allem, was die Wirtschaft anbetrifft. Aber auch, um die Sicherheitslage im Griff zu behalten. Islamistische Extremisten drohen im Inneren Tunesiens. Das wäre dann Sache der Regierung. Aus den Nachbarländern Libyen und Algerien kommen aber auch immer wieder Radikale über die Grenzen. Und die neue tunesische Verfassung räumt dem Staatspräsidenten eine wichtige Mitsprache ein, in der Außen- und Verteidigungspolitik.