Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Präsidentschaftswahlen in Frankreich
Kulturtod mit Ansage

Eine kleine Provinzstadt, 800 Kilometer von Paris entfernt. Ein Tanzfestival, ein Filmkunstkino, ein Musikfestival und ein Verein, der Theateraufführungen in die Stadt holt. All das wäre tot, sollte Marine le Pen Präsidentin werden. Der Front National ist der Schreck der gesamten Kulturszene.

Von Eberhard Spreng | 21.04.2017
    Das Rathaus von Uzès
    "Unter einer Präsidentin Le Pen würde aus der Kulturlandschaft Frankreich eine Wüste." Das befürchtet die Leiterein des Arthouse-Kinos im südfranzösischen Uzès. (Eberhard Spreng, DLF)
    Seit 20 Jahren haben einige Kommunen vor allem im Süden Frankreichs Erfahrungen mit Front-National-Bürgermeistern gemacht. Die Einschnitte in die Kultur waren verheerend, kommunale Einrichtungen wurden geschlossen, ihre Arbeit zensiert, ihre Leiter durch Linientreue ersetzt, während staatliche Kulturprogramme in ihrer Arbeit behindert wurden. Das südfranzösische Uzès mit seinen 8500 Einwohnern und einer in Anbetracht seiner kleinen Größe erstaunlich lebendigen Kulturszene ist von dieser Erfahrung verschont geblieben.
    Sollte allerdings im 800 Kilometer entfernten Paris Marine Le Pen den Präsidentschaftswahlkampf für sich entscheiden, wäre dies das Aus für die lokale Kultur. Michèle Berrebi, Leiterein des örtlichen Filmkunstkinos, erlebt die Tage vor der Wahl im Zustand permanenter Angst. "Um das Kind beim Namen zu nennen: Es wäre ein Drama! Für uns alle! Die schlimmste Form der Diktatur! Paris würde mit Sicherheit Weisungen an die Kommunen ausgeben, und die Subvention für mein Kino bliebe nicht, wie sie ist. Unter einer Präsidentin Le Pen würde aus der Kulturlandschaft Frankreich eine Wüste."
    Michèle Berrebis Kino ist ein kleines Wunder: Es hatte Regisseure wie Costa-Gavras, Theo Angelopoulos und Bertrand Tavernier zu Gast, aber auch den weltberühmten Linguisten Noam Chomsky. Und es sorgt mit seinen Veranstaltungen für eine anspruchsvolle kulturelle Bespielung das ganze Jahr über.
    FN will nationales Kulturerbe schützen, nicht die zeitgenössische Kultur
    Dass der Front National sich nur für Kunst mit nationalfeierlicher und identitätsstiftender Aussage interessiert, haben die Kulturbeauftragten der Partei wiederholt erklärt. Außerdem halten sie Kulturförderung nicht für eine zentrale Aufgabe des Staates. Das beunruhigt die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Association Théâtre Populaire, kurz ATP, die gelegentlich Theatergruppen für Aufführungen in die kleine Stadt holen. Die Präsidentin der ATP, Claude Nuel, erklärt warum.
    "Wenn der Staat in die Hände des Front National fiele, würde sich hier alles sehr schnell verändern. Würde der Staat kein Geld für Theater mehr ausgeben, dann würde das Departement seine Gelder auch stoppen. Wenn dann die Region auch noch aussteigt, bliebe nur noch die kleine Subvention der Kommune. Aber da die Kultur für sie keine Pflichtaufgabe ist, sähe ich für die ATP von Uzès keine Chance mehr."
    Kultursubvention ist Staatssache
    Die Compétence Culturelle, die kulturelle Daseinseinsvorsorge ist in der Kulturnation Frankreich traditionell eine Staatsaufgabe. Liliane Schaus, die Leiterin des örtlichen Tanzzentrums und eines Festivals mit überregionaler Ausstrahlung, hatte zuvor in Deutschland gearbeitet. Sie erklärt die französische Besonderheit in Fragen der Kultursubvention.
    "Die Struktur unseres Zentrums für Choreografie ist zum Beispiel mit der vom Tanzhaus NRW vergleichbar. Aber dort kommen die Subventionen vor allem vom Land. Hier, in Frankreich, organisiert der Staat die Kultur. Er ist der Garant für die Künste. Auf regionaler Ebene agiert die regionale Kulturdirektion, die sogenannte DRAC; sie finanziert uns. Aber das Geld kommt von oben, vom Staat."
    Das ist der Grund, warum Uzès dank seiner sehr engagierten Propagandisten eine lebendige Kulturszene hat, obwohl der Bürgermeister keinerlei kulturelle Ambitionen zeigt. Es ist aber auch der Grund, warum ein Politikwechsel im 800 Kilometer entfernten Paris so bedrohliche Auswirkungen hätte. Das Tanzfestival wird zu 50 Prozent von Paris subventioniert, den Rest teilen sich Region, Departement und Kommune. Ähnliches gilt für das Musikfestival im Sommer.
    Le Pen will das Volk zum Mäzen machen
    Aber unter Le Pen? Sie will die Kultur einem so genannten Mécénat Populaire überlassen. Das Volk als Mäzen: Wer Kunst will, soll sie selbst zahlen. In Uzès hält das keiner für praktikabel. Liliane Schaus: "In Frankreich hat das Mäzenatentum keine Tradition. Es ist hier schwer, Mäzene zu finden. Nur einige wenige Stiftungen, von Banken etwa, engagieren sich ein wenig für Musik und bildende Kunst, aber kaum für Dinge, die auf der Bühne passieren. Also sind jetzt vor allem die Bühnenkünste in Gefahr."
    Viel Arbeit hat der Front National in eine gewisse Normalisierung und Verbürgerlichung seines Images investiert, aber seine Vertreter lassen kaum eine Gelegenheit aus, zeitgenössische Künstler aller Gattungen als Zuwendungsjunkies zu diffamieren. Deshalb wird die Eventualität eines Wahlsiegs von Marine Le Pen in Uzès am liebsten verdrängt. Und keiner hat einen Plan B, wenn genau das einträte.