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Präsidentschaftswahlen in Italien
Schwierige Nachfolge von Napolitano

Das politische System Italiens ist schwach: Seit 2011 sind Regierungen an der Macht, die keine Wahl gewonnen haben. Deshalb wird auch der neue Staatspräsident großes Gewicht haben - doch einen offiziellen Kandidaten für die Nachfolge von Giorgio Napolitano gab es am Morgen vor dem ersten Wahlgang noch nicht.

Von Jan-Christoph Kitzler | 29.01.2015
    Giogio Napolitano
    Der langjährige Staatspräsident Italiens, Giorgio Napolitano, hatte seinen Rücktritt in der Neujahrsansprache angekündigt. (Imago / Insidefoto / Samantha Zucchi)
    Giorgio Napolitano hatte eigentlich andere Pläne: Der damals 86-Jährige hatte 2013 schon seinen Umzug aus dem Quirinalspalast vorbereitet. Aber die politischen Parteien zerfleischten sich mal wieder und konnten sich nicht auf einen Nachfolger einigen. Am 20. April 2013 also trat der greise Staatspräsident noch einmal an, wurde der erste, der im Amt wiedergewählt wurde – und war hörbar auch von sich selbst gerührt:
    "Ich weiß, dass in all diesem sich etwas zeigt, was mich noch tiefer berührt: das wachsende Vertrauen und die Zuneigung, die mir und dem Amt entgegengebracht worden sind."
    Doch die Tränen des Präsidenten, für den nun wieder ein Nachfolger gesucht wird, können nicht verschleiern, dass es auch viel Kritik daran gibt, wie Napolitano sein Amt ausgefüllt hat. Trotz seines hohen Alters war er ein starker Präsident, stärker wohl, als Italiens Verfassung das vorsieht. Giorgio Napolitano tastete sich heran an die Grenzen der Macht seines Amtes. Manche sagen, er habe diese Grenzen in den letzten Jahren immer wieder überschritten.
    Stark konnte – oder musste – er nur sein, weil es die Politik in dieser Zeit nicht war, sagt Gino Scaccia, der als Verfassungsrechtler an der renommierten LUISS-Universität in Rom lehrt:
    "In diesen Jahren ist das politische System schwach geworden, und so ist die Stärke des Präsidenten gewachsen. Das ist also keine rein repräsentative, zeremonielle Macht, eine Zierde der Republik, sondern ein entscheidender politischer Akteur. Und deshalb ist es wichtig, gut zu wählen. Alle wissen, dass der Präsident, der jetzt gewählt wird, auch über das Schicksal der Legislaturperiode entscheiden wird."
    Alles andere als eine überparteiliche Figur
    Im politischen Chaos Italiens, das seit Ende 2011 mit Regierungen lebt, die keine Wahlen gewonnen haben, scheint der Staatspräsident der einzige Garant von Stabilität zu sein. Dabei war Napolitano alles andere als eine überparteiliche Figur: Er war es, der über der letzten Regierung von Silvio Berlusconi den Daumen senkte. Er setzte danach neue Regierungen ein, ohne Neuwahlen – denn die brächten nur Instabilität, sagte er Ende 2011:
    "In diesem Moment war es nötig, Neuwahlen und damit ein Machtvakuum zu vermeiden. Das müssen alle politischen und sozialen Kräfte einsehen, denen das Schicksal des Landes am Herzen liegt."
    Und so musste im politischen Chaos ohne klare Mehrheiten Giorgio Napolitano ein gestaltender Staatspräsident sein – und hat damit das Amt auch für seine Nachfolger geprägt. Gino Scaccia:
    "In einigen Situationen wurden Gepflogenheiten geschaffen, die keine Grundlage in der Verfassung haben, und die von der politischen Klasse und der Lehre akzeptiert wurden, teils aus Schwäche, teils aus Opportunismus. Das könnte aber von den Nachfolgern negativ eingesetzt werden. All diese kleinen Eingriffe verschieben den Einflussbereich des Präsidenten gegenüber der Regierung."
    Mehr Verantwortung für den Präsidenten
    Wie gesagt, vorgesehen ist das nicht. Aber mit der politischen Stabilität in Italien ist es ohnehin nicht weit her. 1993, 2005 und jetzt wieder wurde zum Beispiel das Wahlrecht geändert. Man muss den Eindruck haben: Grundlegende Regeln des demokratischen Systems sind ein Spielball wechselnder Mehrheiten.
    Dem Präsidenten wächst schon deshalb mehr Verantwortung bei der Gesetzgebung zu, weil Gesetze im Parlament oft handwerklich schlecht gemacht sind. Eine gemeinsame Verantwortung der Parteien, über die politische Auseinandersetzung hinaus, gibt es meist nicht:
    "In Italien erleben wir den täglichen Guerilla-Krieg, weil Regeln dafür fehlen, wie man die politische Auseinandersetzung so organisiert, dass sie nicht auf den Institutionen abgeladen wird. Der Blitzableiter ist bisher vielleicht der Präsident gewesen, und man muss sehen, bis zu welchem Punkt sie ihn weiter als Blitzableiter wollen. Oder ob sie ihn nicht zu einem Teil des Spiels machen wollen, um einen Vorteil zu haben. Ob sie also einen Mittelstürmer wollen und keinen Schiedsrichter."
    Sicher scheint nur: Solange das politische System Italiens schwach und instabil ist, so lange hat der Staatspräsident wohl oder übel großes Gewicht. Und da ist es am Ende fast egal, wer Nachfolger von Giorgio Napolitano wird.