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Prävention von Radikalismus
Vertrauen gewinnen, Anerkennung geben, Ansprechpartner sein

Konkrete Indikatoren, um radikale Tendenzen bei Jugendlichen zu erkennen, habe er nicht, sagte der Islamwissenschaftler und Realschullehrer, Aziz Fooladvand, im DLF. Er plädiert dafür, einen persönlichen Kontakt mit Schülern zu führen, um Vertrauen zu gewinnen. Deswegen könne er aktuelle Probleme der Schüler erkennen und den Unterricht dementsprechend gestalten.

Aziz Fooladvand im Gespräch mit Michael Böddeker | 21.07.2016
    Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
    Der Umgang mit Radikalisierungstendenzen ist für viele Lehrerinnen und Lehrer eine Herausforderung geworden, sagt der Lehrer und Islamwissenschaftler Aziz Fooladvand. (dpa / Oliver Berg)
    Michael Böddeker: Nach dem Attentat am Montagabend in einem Regionalzug bei Würzburg wird wieder darüber diskutiert, inwiefern Schulen dazu beitragen können, Extremismus bei Jugendlichen zu erkennen und auch zu verhindern. Als Reaktion darauf haben zum Beispiel die deutschen Kommunen eine flächendeckende Einführung von Islamunterricht an Schulen gefordert. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes sagte, dadurch gewinne der Staat mehr Kontrolle über die Erziehung muslimischer Jugendlicher. Über die Rolle der Schulen bei der Extremismusprävention habe ich mich mit Aziz Fooladvand gesprochen, er ist Islamwissenschaftler und Islamkundelehrer an einer Bonner Realschule. Ihn habe ich zunächst gefragt, wie können Lehrer denn erkennen, ob es in ihrer Klasse vielleicht Jugendliche gibt, die sich radikalisieren?
    Aziz Fooladvand: Das ist wirklich eine sehr schwierige Frage. Darauf kann ich keine adäquat konkrete Antwort geben. Es gibt natürlich viele Erscheinungsformen. Ich habe keine konkreten Indikatoren oder kein Raster, mit dem wir die radikalen Tendenzen erkennen können, aber wichtig ist natürlich, wenn die Jugendlichen anfangen, sehr stark zu polarisieren, wenn sie diskriminierende Äußerungen machen, wenn sie sehr stark buchstabenorientiert sind, wenn sie Prädestinationslehre vertreten, das heißt Vorbestimmung, wenn sie auf ein sehr stark restriktives Gottesbild setzen, ein Gott, der böse ist, ein Gott, der Diktator ist, ein Gott, der bestraft die Menschen allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, ein Gott, der schwarz-weiß malt und die Christen oder die Juden in die Hölle schicken würde und nur die guten Muslimen ins Paradies, dann kann ich erkennen, okay, hier, das ist ein Fall für mich, und ich kann aus vielen diesen Themen, die ich jetzt benannt habe, kann ich ein Unterrichtsthema machen und mit Schülern und Schülerinnen in ein sehr konstruktives Gespräch einsteigen. Natürlich, mein Thema oder mein Konzept ist mehr aufnehmen als ablehnen. Ich nehme diese Fragen sehr, sehr ernst und da kann ich natürlich mit diesem Thema sehr vernunftorientiert mit den Schülern und Schülerinnen diskutieren.
    Böddeker: Das heißt, Ihr Rat wäre, tatsächlich diese Äußerung aufzugreifen und im Unterricht zu behandeln?
    Fooladvand: Ja, genau. Wie gesagt, das kommt auch oft vor natürlich in einem normalen Gespräch auf dem Schulhof oder in Eins-zu-eins-Gesprächen, die ich mit meinen Schülern und Schülerinnen auch führe. Die haben meine Telefonnummer, wenn sie Fragen haben, rufen sie mich an. Ich sage auch, ein Lehrer sollte auch in dieser Funktion, besonders islamische Religionslehrer einen sehr persönlichen Kontakt auch mit den Schülern und Schülerinnen auch führen. Das hilft auch, da schafft man es, Vertrauen zu gewinnen, Anerkennung zu geben, und wir sind Ansprechpartner. Aus diesen Gesprächen dann erkenne ich auch die aktuellen Probleme, die die Jugendlichen betreffen, und daraus natürlich entwickle ich auch meine eigenen Unterrichtsthemen.
    "Isis hat er es geschafft, sich als Projektionsfläche zu etablieren"
    Böddeker: Was macht denn eigentlich für manche Jugendliche den radikalen Islam überhaupt so attraktiv?
    Fooladvand: Diese Frage beschäftigt Politik, beschäftigt die Wirtschaft, beschäftigt Islamwissenschaftler. Warum ist das wirklich so attraktiv. Ich habe heute einen Zeitungsartikel gelesen, wo der junge Mann in Würzburg, warum er sich radikalisiert hat. Interessant ist in diesem Video, das angeblich erschienen ist, das kann ich jetzt nicht sagen, aber wie er argumentiert hatte, seine Argumentation war nicht theologisch-islamisch, sondern das war politisch. Er hatte gesagt, ja, die "Ungläubige" – in Anführungszeichen – haben unsere Kinder, unsere Eltern, unsere Schwestern getötet, unser Land zerstört und so weiter und so fort. Das heißt, ich glaube, dass mehr die politischen Ereignisse in den letzten 20 Jahren haben diese Auslegung des Islam, diesen radikalen Islam attraktiv gemacht für die Jugendlichen. Abgesehen davon, wie Isis hat er es geschafft, sich als Projektionsfläche zu etablieren. Die Jugendlichen identifizieren sich mit dieser extremen Ideologie, da sie Anerkennung vielleicht suchen.
    "Ich versuche mit denen, in eine realistische Diskussion zu kommen"
    Böddeker: Mehr Islamkundeunterricht an den Schulen, das ist jetzt der Vorschlag des Städte- und Gemeindebundes. Könnte das denn helfen, um gefährdeten Jugendlichen ein anderes Bild des Islam zu vermitteln?
    Fooladvand: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass der Umgang mit Radikalisierungstendenzen ist für viele Lehrerinnen und Lehrer eine Herausforderung geworden, da die Jugendlichen mit einem Islambild aufgewachsen sind, das sehr buchstabenorientiert ist, aber in meinem Unterricht, in meinem Konzept sind sie plötzlich mit einem Erklärungsmodell konfrontiert, das sehr soziologisch, pädagogisch, politisch und vernunftorientiert konzipiert ist. Das heißt, ich akzeptiere nicht jede Aussage. Ich möchte, dass meine Schüler und Schülerinnen das begründen, und gib mir aber bitte nicht koranische, nicht hadithorientierte Aussagen, sondern sag mir, was du selbst persönlich davon hältst. Zum Beispiel nennen wir mal Homosexualität, das ist ein Problem – wir sagen, nach der Scharia müssen die ermordet werden, alle getötet werden. Okay, kein Problem, ich akzeptiere das, schreibe ich seine Antwort, seine Meinung auf die Tafel. Dann konfrontiere ich die Klasse mit der harten Realität zum Beispiel in der Türkei. Okay, da haben wir eine Million in Istanbul oder 200.000, sage ich mal, Menschen, die diese Neigung haben. Könntest du dir vorstellen, dass wir 50.000, 100.000 Menschen umbringen. Könntest du dir vorstellen, dass der Staat auf einmal so viele Menschen hinrichtet. Natürlich sagen die, nein, natürlich nicht. Also okay, was können wir machen, also realpolitisch, sagen wir mal. Welche Lösungen gibt es. Ich versuche mit denen, in eine realistische Diskussion zu kommen. Am Ende natürlich werde ich auch meine Meinung, meine Position koranisch belegen, dass Koran überhaupt sowas nicht fördert, sowas nicht bevorzugt, sowas überhaupt nicht vorschreibt. Koran beinhaltet tiefe humanistische Werte. Das heißt, die Kinder einerseits werden mit der harten Realität konfrontiert, andererseits natürlich mit einem Islamverständnis, das auf Barmherzigkeit, Toleranz, Liebe Fuß fasst.
    Böddeker: Sagt Aziz Fooladvand, er ist Islamwissenschaftler und Islamkundelehrer an einer Bonner Realschule. Mit ihm habe ich über die Frage gesprochen, inwiefern Schulen zur Prävention von Extremismus beitragen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.