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Praktika im Sozialwesen
Viel Arbeit und kein Geld

Kranken helfen, Senioren betreuen, Familien unterstützen: Studierende des Sozialwesens übernehmen bereits im Praktikum eine hohe Verantwortung. Entlohnt werden sie dafür in der Regel nicht. Studierende dreier Berliner Hochschulen haben sich nun zusammengetan, um auf ihre prekäre finanzielle Lage aufmerksam zu machen.

Von Christian Find | 16.06.2014
    Blick in einen Krankenhausflur.
    Studierende im Sozialwesen fordern eine gerechte Entlohnung während ihrer Praktika. (dpa / Christian Charisius)
    "Wunderbar, dass so was hier organisiert wird. Öffentlichkeit zu schaffen für so ein Thema ist enorm wichtig, und wir freuen uns sehr, Teil davon sein zu dürfen. Ich kann nur ich sein, wenn ich für das, was ich tue, genügend Anerkennung, finanziell, monetär kriege, und dieses Stück heißt "Ich will Ich sein"."
    "Lari und die Pausenmusik" auf der Soli-Party für das Berliner Netzwerk Prekäres Praktikum. Die Studierenden feiern auch ihre Arbeit, die sie seit Gründung des Netzwerks im Februar 2013 geleistet haben. Sie haben ihre KommilitonInnen an den drei Hochschulen befragt, wie diese mit unbezahlten Praktika klarkommen und 1.800 Antworten bekommen.
    Ein Ergebnis: Erwerbstätigkeit ist neben dem BAföG die wichtigste Einnahmequelle, und das 40-Stunden-Pflichtpraktikum ist meist unbezahlt. Swenja Ketelsen von der Alice-Salomon-Hochschule schreibt ihre Masterarbeit über die Studie:
    "Das heißt, dass halt manche Menschen 50 bis 60 Stunden in der Woche arbeiten und trotz allem nur 400 oder 450 Euro zur Verfügung haben, oder auf jeden Fall unterhalb des Existenzminimums leben. Also die Befragung hat halt auch ergeben, dass 75 Prozent der Studierenden unterhalb des Existenzminimums leben."
    Neben dem Ergebnis, dass durch unbezahlte Praktika viele Studierende in prekäre Lebenssituationen geraten, hat die Studie noch ein Zweites deutlich gemacht:
    "40 Prozent der Studierenden haben mehr Verantwortung übernommen im Praktikum als sie eigentlich dürfen als Praktikant. Das heißt im Praktikum im sozialen Bereich darfst du eigentlich keine Verantwortung für deine KlientInnen übernehmen. Das heißt, das ist schon so eine Tendenz dahin, dass Studierende Fachkräfte ersetzen und billige Arbeitskräfte sind in dem Moment. Nicht tatsächlich nur lernen dort, sondern auch richtig arbeiten."
    Gerade deshalb wird die Forderung der Studierenden nach bezahlten Praktika vonseiten der Hochschulen eher zurückhaltend betrachtet. Im Vordergrund stehe die Prüfung einer Praktikumsstelle auf ihre Eignung als Ausbildungsplatz, sagt Anette Reck, die Leiterin des Praxisreferats an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen.
    "Wir sehen eben die Gratwanderung an der Stelle. Ich überspitz das mal: je höher die Vergütung, desto höher die Weisungsbindung für die Studierenden. Und damit hätte ich eigentlich die Befürchtung, dass wir eher in eine doppelte Ausbeutung kommen, nämlich dass die Studierenden nicht mehr gut angeleitet werden, sondern als Arbeitskraft eingesetzt werden und dafür noch schlechter bezahlt sind als Sozialarbeiter überhaupt bezahlt sind. Und das ist genau das, was wir vermeiden möchten."
    Dennoch wird die Forderung, eine Praktikantentätigkeit angemessen zu vergüten, vonseiten aller drei Hochschulen unterstützt. So gab es im April vom Studiengang Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule schon eine offizielle Solidaritätserklärung. Und auch das Praxisreferat der Katholischen Hochschule prüft, ob das Praktikum bezahlt wird.
    "Die Reaktion der Einrichtung ist verhalten, möchte ich mal sagen, ja? Also teilweise wird es kategorisch ausgeschlossen. Wir erfragen das im Rahmen der Evaluation am Ende des Praxiseinsatzes von den Studierenden, ob sie eine Vergütung erhalten haben und wenn ja, in welcher Höhe, der Prozentanteil ist schon sehr geringer."
    Das Netzwerk "Prekäres Praktikum" hat deshalb inzwischen auf seiner Internetseite eine Positiv-Liste erstellt, auf der alle Einrichtungen aufgeführt werden, die schon jetzt ihre PraktikantInnen bezahlen. Diese Liste wird ständig erweitert.
    "Die haben wir zusammen mit den Praxisämtern erstellt. Also da haben wir schon eine große Unterstützung bekommen, und die Praxisämter bewerben diese auch, diese Liste. Damit die Studierenden, die wirklich drauf angewiesen sind, sich an diese Liste mal wenden können und gucken können, was da für die dabei ist."
    Das Problem, dass Praktika nicht mehr bezahlt werden, ist besonders mit der Verkürzung des Studiums nach Einführung der Bologna-Reform aufgetreten. Denn das praktische Anerkennungsjahr, das im Diplom-Studiengang noch aus öffentlicher Hand subventioniert wurde, ist für den Bachelor in Berlin gestrichen worden. Die Netzwerkerinnen und -werker wollen deshalb vor allem die Bildungspolitik für das Problem sensibilisieren.
    "Wir fordern ja nur, dass den Studierenden die Möglichkeit gegeben wird, das Existenzminimum zu erreichen. Also dass sie zumindest sich auf das Praktikum konzentrieren können und wirklich dort lernen können und nicht dann denken, ich muss heute noch in die Nachtschicht gehen und dann nach der Nachtschicht dann gleich wieder zum Praktikum."