Freitag, 19. April 2024

Archiv


Praktikum in Palästina

Ein Praktikum in den Palästinenser-Gebieten? Für viele undenkbar, weil gefährlich. Es gibt aber Studierende, die das tun. Islamwissenschaften in der Theorie begreifen, ist das eine – alles in der Praxis zu erleben, das andere, sagen zwei junge Frauen.

Von Blanka Weber | 19.02.2010
    Gemüsemarkt in Ramallah. Nicht nur die Kräuter türmen sich hier. Stapelweise ist Obst und Gemüse zu kleinen Kunstwerken arrangiert. Sandra Jörges stammt aus Thüringen. In Jena studiert sie Islamwissenschaften. In Ramallah: das Leben.

    Auf Arabisch verständigt sich die 31-Jährige problemlos. Sie ist nicht zum ersten Mal hier. Und auch nicht zum letzen Mal, sagt sie und weiß schon jetzt, was ihr zu Hause fehlen wird:

    "Die Menschen, das Leben, das Pulsieren, die Freundlichkeit der Menschen, die Kultur, wenn du über die Straße gehst, dass dich die Leute ansprechen und fragen: Wo bist du her, so wie die uns jetzt gerade angucken ... das wird mir fehlen."

    Angst habe sie nicht, im Gegenteil – es sei ein großes Vertrauen und eine Freude, die Menschen hier kennenzulernen.

    Drei Monate arbeitet sie als Praktikantin im Goethe-Institut, hilft Konferenzen und Kontakte zu organisieren. Sie kennt die Region und die Alltagssorgen der Palästinenser: die Angst vor ultraorthodoxen israelischen Siedlern und die Angst vor der Willkür israelischer Soldaten.

    Vor einem Jahr hat sie sich für das Praktikum beworben. Jetzt betreut sie hier – unter anderem- die Bibliothek des Hauses. In einem großen hellen Raum stehen reihenweise deutschsprachige Bücher und Zeitungen. Leise geht es hier zu. Das Angebot für die Leser ist groß:

    "Wenn ein Palästinenser hier hereinkommt, dann will er natürlich alles sehen, also nicht nur den Spiegel – etwas Politisches – da hat er hier die Info zur politischen Bildung, da hat er hier auch die neueste Mode in der Brigitte, alles!"

    Drei junge Palästinenserinnen kommen aus einem Sprachkurs nebenan, Sandra reicht ihnen die Bücher über den Tisch.

    "Ich möchte gerne auswärts studieren und dann zurückkommen und Ärztin werden."

    "Auswärts studieren" – das kann Sandra Jörges nur zu gut verstehen. Auch sie möchte ihre Praxis-Erfahrung von "Auswärts" in ihre Uni-Abschlussarbeit einfließen lassen. Ob es klappt, wird der Professor zu Hause entscheiden. Die drei Monate hier hat sie zunächst aus freien Stücken investiert. So wie Rebekka aus Potsdam. Die 27-Jährige arbeitet als Praktikantin der Friedrich-Ebert-Stiftung. Beide teilen sich eine kleine schlichte Wohnung im Zentrum von Ramallah.

    "Also wenn man sagt, man geht wirklich in die palästinensischen Gebiete, dann ist meistens die Frage: wieso? Also, weniger Respekt zollen, sondern einfach Unverständnis, weil man sich quasi den Terroristen aussetzt, dem Krieg, dem Unfrieden, und man eigentlich wahnsinnig sein muss, wenn man das tut."
    Rebekka studiert Volkswirtschaftslehre an der Uni Potsdam. Auch sie ist hier, weil sie wissen wollte, wie der Alltag funktioniert. Täglich pendelt sie nach Ostjerusalem – in den arabischen Teil der multi-religiösen Stadt, das heißt: Zwei Mal muss sie durch die israelischen Checkpoints, wo Einheimische oft stundenlang warten:

    "Ja, das einfach mal mitzuerleben am eigenen Leib, das war mir wichtig, dass ich das hier mitbekomme."

    Die junge Frau hat im Studium den Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten gewählt. Irgendwann wollte sie sich ihr eigenes Bild machen, erzählt sie.
    Das Goethe-Institut wird ab Mai einen Bücherbus durch die palästinensischen Gebiete schicken, erklärt Institutsleiter Jörg Schumacher:

    "Mit dem wir planen, die Schulen in der Westbank, vielleicht auch in Gaza, anzufahren. 1500 Medien sind es."

    Dann sind Sandra und Rebekka schon wieder zu Hause, zurück in den Hörsälen in Potsdam und Jena und pauken die Theorie der arabischen Welt.