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Sonderwirtschaftszonen in Polen (3/5)
Von Vorteil für den Investor

Die Sonderwirtschaftszonen in Polen mit Steuerermäßigungen für ausländische Investoren wurden errichtet, bevor das Land der EU beitrat. Die PiS-Regierung unterstützt sie, obwohl sie sonst gegen internationale Konzerne wettert. Lokale Unternehmen haben es dagegen schwer, kritisieren Ökonomen.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster | 08.08.2018
    Viel Platz für Investoren: Die polnischen Sonderwirtschaftszonen und ihre Ableger locken mit Steuererleichterungen
    Viel Platz für Investoren: Die polnischen Sonderwirtschaftszonen und ihre Ableger locken mit Steuererleichterungen (Deutschlandradio/ Grenzgänger)
    Dr. Iwo Augustynski schiebt einen Stapel Papier auf seinem Schreibtisch zur Seite, zieht die Tastatur hervor, lässt Statistiken und Zahlen über den Computerbildschirm wandern: Wirtschaftsdaten aus einem knappen Vierteljahrhundert, die Entwicklung der Sonderwirtschaftszonen. Aufbereitet an der Universität Breslau von Augustynski und seinen Kollegen.
    1994 wurde in Polen das Gesetz über die Sonderwirtschaftszonen verabschiedet, erzählt der Ökonom, um internationale Investoren ins Land zu locken. Fünf Jahre nach der politischen Wende darbte die polnische Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit stieg. Die Regierung versprach Infrastruktur- und Investitionsbeihilfen für besonders betroffene Regionen. Obendrein noch Steuererleichterungen.
    "Wir haben 14 Sonderwirtschaftszonen, die wurden gegründet, bevor Polen der EU beitrat. Während der Beitritts-Verhandlungen wurde dann festgelegt, dass in Zukunft keine weiteren Zonen gegründet werden dürfen, da nach EU-Regeln staatliche Zuschüsse verboten sind."
    Zonen weiter ausgebaut - trotz Verbot
    Steuererleichterungen von bis zu 50 Prozent der Investitionssumme, fertig erschlossene Gewerbegebiete – ein attraktives Angebot für Investoren, das auch nach dem EU-Beitritt weiter ausgebaut wurde. Trotz Verbot:
    "In dieser Regelung gab es ein Schlupfloch: Die Größe der Zonen war nämlich nie festgelegt worden. Mit dem Resultat, dass zwar keine neuen Zonen gegründet wurden, die alten aber einfach weitergewachsen sind. Sie sind dabei noch nicht einmal auf einen Ort festgelegt. Sie verteilen sich über ganz Polen."
    An der Universität Breslau verfolgt der Ökonom Dr. Iwo Augustynski die Ausbreitung der Sonderwirtschaftszonen
    An der Universität Breslau verfolgt der Ökonom Dr. Iwo Augustynski die Ausbreitung der Sonderwirtschaftszonen (Deutschlandradio/ Grenzgänger)
    Der Investor bestimmt die Bedingungen
    Wundersames Zonenwachstum: Augustinski ruft auf seinem Rechner eine virtuelle Karte von Polen auf, erstellt mit Daten aus dem Wirtschaftsministerium. Kleine bunte Punkte dicht an dicht. Jeder steht für einen Ableger einer Sonderwirtschaftszone.
    "Es ist schwierig, die ganzen Unterzonen zu zählen, das sind Unmengen", sagt er. 14 Farben kennzeichnen auf der Karte die Kernzonen und die jeweils dazugehörigen Subzonen. Davon gibt es mittlerweile einige hundert. Insgesamt arbeiten dort rund 300.000 Menschen.
    Der Finger des Ökonoms zeigt auf Walbrzych, Waldenburg. Hier heißt die Sonderwirtschaftszone "Invest Park" und ist auf der Karte rot markiert. Augustynskis Finger gleitet nach Norden, 230 Kilometer bis hoch nach Poznan. Gleich neben der boomenden westpolnischen Metropole liegt eine Subzone des "Invest Parks" von Walbrzych:
    "Das geht so: Der Investor kommt zu einem Kommunalpolitiker und sagt: Ich möchte hier eine Fabrik bauen. Aber nur unter der Bedingung, dass Du für mich eine Subzone gründest. Dann setzt der lokale Vertreter alles dran, damit es klappt. Diese Karte zeigt uns, dass diese Subzonen bevorzugt an Schnellstraßen entstehen oder an Autobahnen. Alles Plätze, die für den Investor von Vorteil sind und nicht da, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist."
    Die Sonderwirtschaftszonen: ein gigantisches Förderprogramm für Großunternehmen - und einige wenige Mittelständler, die sich die nötigen Anfangsinvestitionen leisten können. Die meisten Anträge auf Ansiedlung werden vom Wirtschaftsministerium genehmigt, erzählt der Wissenschaftler. Nur in Ausnahmefällen müssen Unternehmen auf staatliche Unterstützung verzichten. Augustynski schüttelt den Kopf. Zonen und Subzonen haben das Land in zwei unterschiedliche Wirtschaftsräume geteilt und ein Machtgefälle zementiert:
    "Lokale Unternehmen haben es schwieriger, sie müssen nun mit internationalen Konzernen um Arbeitskräfte konkurrieren. Aber denen macht es nichts aus, woanders hinzuziehen, wenn die Konditionen ihnen nicht mehr passen."
    Sonder-Wirtschaft für alle
    Um weitere Investoren ins Land zu locken, wurde die Genehmigung für die Zonen seit 1994 von jeder polnischen Regierung verlängert. Das erste Mal 2006. Zuletzt 2017 - also auch von der nationalkonservativen PiS-Regierung, die sonst gerne gegen internationale Konzerne im Land Stimmung macht.
    "Das gilt bis 2026. Aber nun wurde ein neues Gesetz verabschiedet, mit dem wird quasi ganz Polen zu einer Sonderwirtschaftszone. Wir tun jetzt nicht mal mehr so, als ob wir bestehende Zonen erweitern. Jetzt kann jeder Investor dorthin, wo es ihm am besten passt."
    Sonder-Wirtschaft für alle. Steuerermäßigungen. Lokale Unterstützung für die Infrastruktur. Je höher die Arbeitslosenzahl, desto höher die Förderung - das ist die Idee. Im Spätherbst sind in Polen Kommunalwahlen. Die letzten gingen schlecht aus für PiS. Die Städte und Gemeinden sind die letzte Bastion der Opposition. Da will sich die amtierende Regierung als Förderer der Regionen präsentieren. Und nicht als Subventionsbeschaffer für Großkonzerne. Doch vergraulen will man die Unternehmen auch nicht. Also wird ein ganzes Land zur Sonderwirtschaftszone. Iwo Augustyski schüttelt den Kopf. "Eigentlich", sagt er, "ist das ein Fall für die Brüsseler Wettbewerbshüter".
    "Ich glaube, das hat auch wieder mit Politik zu tun, dass die EU-Kommission wegschaut, was hier passiert, dass hier europäische Regelungen verletzt werden. Diese Zurückhaltung, die muss politische Gründe haben, ansonsten gibt es dafür keine Erklärung."