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Preisgekrönt

Der Cellist Nicolas Altstaedt hat für die "Laureate Series" des Labels NAXOS französische Kammermusik eingespielt, darunter Raritäten von den Komponisten Nadia Boulanger, Gabriel Pierné und Vincent d'Indy.

Moderation: Maja Ellmenreich | 21.03.2010
    Die Vermarktungsexperten großer Plattenfirmen hätten nicht viel Arbeit mit Nicolas Altstaedt. Dunkler Lockenkopf, ein freundliches, offenes Gesicht, im Interview zugewandt und unkompliziert - ein netter Kerl, dieser 28-jährige, hochbegabte Cellist. Kurzerhand könnten die Marketingstrategen aus Nicolas Altstaedt den perfekten Publikumsliebling zaubern und den einen oder anderen Euro mit ihm verdienen.

    Doch er möchte das gar nicht. Wie er kürzlich im Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte, gehe es ihm nicht ums Geldmachen. Der Fokus liege bei ihm auf der Kunst. Nicolas Altstaedt möchte "nicht seine Seele verkaufen". Und das klingt aus seinem Mund weder altklug noch weltfremd, sondern unmissverständlich und zielstrebig. Altstaedt weiß, was er will. Und er weiß, dass er sich für den - wie er sagt - nicht ganz leichten Weg entschieden hat.

    Für seine jüngst bei NAXOS erschienene CD hat Nicolas Altstaedt denn auch keine Publikumskracher ausgewählt, sondern weitgehend unbekanntes, französisches Repertoire. Mit dem Pianisten José Gallardo
    spielt er Musik von Nadia Boulanger, Vincent d'Indy und Gabriel Pierné.

    1. Musik - Track 10
    Gabriel Pierné: Expansion, op. 21


    "Expansion" aus dem Jahr 1888. Ein kurzes, charmantes Stück von Gabriel Pierné, einem Schüler von César Franck und Jules Massenet. Nicht mehr als zwei Minuten Musik, in denen es Nicolas Altstaedt gelingt, eine seiner Hauptqualitäten zu zeigen: Er erreicht mit reduzierten Mitteln größtmöglichen Ausdruck. Man könnte es schließlich auch ganz anders machen und diese kurze Romanze überladen und regelrecht triefen lassen. Doch Nicolas Altstaedt weiß sich zu mäßigen. Er hält den sprichwörtlichen Ball flach.

    Sicher kommt ihm dabei auch sein Instrument zugute, das ihm - wie er selbst sagt - immer alles gegeben hat, was er brauchte. Ein Violoncello von dem französischen Instrumentenbauer Nicolas Lupot, entstanden 1824 in Paris. Robust und zuverlässig, warm und dunkel im Klang. Die Deutsche Stiftung Musikleben stellt es Nicolas Altstaedt leihweise zur Verfügung. Dieses Instrument, das in Altstaedts Händen nie zu näseln beginnt, dessen Stimme nicht belegt klingt wie die so vieler anderer Celli.

    Der Vergleich mit der menschlichen Stimme drängt sich förmlich auf, denn das spätromantische Repertoire der neuen CD verlangt immer wieder, dass das Cello singt und bisweilen sogar deklamiert. Zum Beispiel in Gabriel Piernés Sonate in fis-moll.

    2. Musik - Track 1
    Gabriel Pierné: Sonate für Violoncello und Klavier fis-moll, op. 46


    Ganz anders als der Pierné der zu Beginn gehörten Romanze ist der der Cellosonate. Ein Spätwerk ist dieses einsätzige Stück, das zunächst dahinfließt, sich dann in einem lebhaften Abschnitt aufbäumt, um sich zum Schluss hin wieder zu entspannen. Das Thema, das eine geheimnisvolle Geschichte zu erzählen scheint, ist zwar motivisches Zentrum der Sonate, doch im Laufe der gut 20 Minuten kommen auf geradezu rhapsodische Art und Weise auch ganz andere Farben, Tempi, Klänge und Rhythmen ins Spiel. Gelegenheit für Nicolas Altstaedt und José Gallardo, ganz unterschiedliche Facetten ihres Zusammenspiels zu zeigen.

    3. Musik - Track 1
    Gabriel Pierné: Sonate für Violoncello und Klavier fis-moll, op. 46


    Pierné, Boulanger, d'Indy - Nicolas Altstaedt und José Gallardo geben mit den Werken ihrer neuen CD einen reizvollen Überblick über die Vielfalt der französischen Kammermusik im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.
    Und gleichzeitig zeigen sie auch Gemeinsamkeiten und Parallelen auf: die Fähigkeit zur Leichtigkeit, zum Verspielten und Flüchtigen etwa, die besitzen alle drei Komponisten - typisch französisch.

    Pierné, Boulanger, d'Indy - drei zwar bekannte, aber nicht wirklich vertraute Komponisten bringen uns Altstaedt und Gallardo mit ihrer CD näher. Ein anspruchsvolles Programm - durchdacht, aber nicht kopflastig. Damit bleibt Nicolas Altstaedt seiner bisherigen Aufnahmephilosophie treu: Auch auf dem CD-Markt präsentiert er sich eben nicht so wie alle anderen.

    Vor knapp zwei Jahren zum Beispiel erschien eine CD von Altstaedt und seiner Duopartnerin Elsbeth Moser, einer gefeierten Bajan-Virtuosin. Der Klang dieses russischen Knopfakkordeons und der des Cellos sind einander näher, als man zunächst vermuten mag, und sie ergeben eine faszinierende Mischung.

    Oder Altstaedts erste Platte mit Orchester: Da nahm er mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz nicht nur Schumann und Tschaikowsky auf, sondern auch das außergewöhnliche Konzert für Violoncello und Bläser von dem musikalischen Grenzgänger Friedrich Gulda.

    Eigenwillig, die Programmphilosophie des Nicolas Altstaedt - im besten Sinne des Wortes. Und dass man mit einem eigenen Kopf und entsprechenden Vorstellungen vielleicht nicht den Weg des geringsten Widerstands nimmt, aber trotzdem hochgesteckte Ziele erreicht - das zeigt ein Blick in Nicolas Altstaedts Biografie. Mit Preisen und Auszeichnungen ist er in seiner jungen Karriere bereits überhäuft worden.

    Er hat internationale Wettbewerbe unter anderem in Lausanne, Stuttgart und Neuseeland gewonnen. Letzterer bescherte ihm die nun vorliegende CD-Einspielung bei dem Label NAXOS in der sogenannten "Laureate Series", einer CD-Reihe, in der junge Preisträger großer Wettbewerbe vorgestellt werden. Das weltweit präsente Label, das den CD-Markt in den 90er-Jahren mit seinen Niedrigpreisen ordentlich aufmischte, es beweist auch hier mal wieder eine gute Spürnase. Die Gelegenheit zu einer CD-Aufnahme lässt sich wohl kein junger Musiker entgehen; und das Label NAXOS kann dafür in seiner "Laureate Series" dem Käufer Erstklassiges anbieten.

    4. MUSIK - Track 7
    Vincent d'Indy: II. Gavotte en rondeau
    aus: Sonate für Violoncello und Klavier, op. 84


    Dass Vincent d'Indy bei seiner musikalischen Großmutter aufwuchs und von ihrem Klavierspiel nachhaltig geprägt wurde, spürt man bis in seine Cellosonate hinein, die er mit über 70 Jahren schrieb. Cello- und Klavierpart tauschen hier gelegentlich die Rollen - das Klavier darf brillieren, und unter den Händen des argentinischen Pianisten José Gallardo tut es das auch. Mit ihm hat Nicolas Altstaedt einen ebenbürtigen Kammermusikpartner gefunden. Ganz uneitel musizieren die beiden miteinander: Die Musik steht im Mittelpunkt, nicht etwa die persönliche Profilierung.

    Uneitel - dieses Adjektiv trifft auch auf die "Trois Pièces" von Nadia Boulanger zu. Beim ersten Hören klingen sie womöglich harmlos, doch nach mehrmaligem entfalten sie ihren Zauber. Drei kleine Stücke, jedes für sich besitzt einen starken eigenen Ausdruck: Das erste melancholisch-träumerisch, das zweite volksmusikalisch, und das dritte überschwänglich-temperamentvoll.

    Nadia Boulanger war eine begnadete Pädagogin, bei der Größen wie Leonard Bernstein, Aaron Copland und Elliott Carter ihr Handwerkszeug lernten. Sie lehrte Komposition, doch ihr eigenes Oeuvre ist überschaubar: Mit nicht mal 40 Jahren beendete sie ihre Komponistinnenlaufbahn. Umso wertvoller die "Trois Pièces", drei kleine, perfekt proportionierte Stücke.

    5. MUSIK - Tracks 2-4 (Ausschnitt)
    Nadia Boulanger: Trois Pièces für Violoncello und Klavier


    Französische Kammermusik für Violoncello und Klavier - Werke von Nadia Boulanger, Gabriel Pierné und Vincent d'Indy. Diese Raritäten finden sich auf der neuen CD des Cellisten Nicolas Altstaedt und des Pianisten José Gallardo. Erschienen bei NAXOS in der sogenannten "Laureate Series" und Ihnen wärmstens empfohlen von Maja Ellmenreich.
    Gabriel Pierné:
    Sonate für Violoncello und Klavier fis-moll, op. 46
    Expansion, op. 21
    Caprice, op. 16

    Nadia Boulanger
    Trois Pièces

    Vincent d'Indy:
    Lied, op. 19
    Sonate für Violoncello und Klavier, op. 84

    Nicolas Altstaedt, Violoncello
    José Gallardo, Klavier

    NAXOS 8.572105, LC 05537