Mittwoch, 24. April 2024

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Premieren in Bremen und Dresden
Faust im Fokus

Sie ist eine Mischung aus Oper, Oratorium und Chorsinfonie: Hector Berlioz' Oper "Fausts Verdammnis", derzeit zu sehen in Bremen. Ferruccio Busoni nannte seinen "Doktor Faust" eine "Dichtung in Musik"; sein unvollendetes Drama hatte jetzt in der Fassung von Anthony Beaumont in Dresden Premiere. Und beide Werke weichen durchaus von Goethes Original ab.

Von Elisabeth Richter | 20.03.2017
    Die Semperoper in Dresden bei Nacht
    Zeigt Busonis "Doktor Faust": die Dresdner Semperoper (dpa / picture-alliance / Thomas Scholz)
    Musik: Berlioz, La Damnation de Faust
    Bei Goethe hat der Held am Ende wirklich Glück. Der Engelschor verkündet: "Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen". Dabei hat Faust im Laufe seines abenteuerlichen Lebens ziemlich herumgewütet: Frauen geschwängert, schändlich sitzen gelassen und zu strafbaren Handlungen getrieben. Natürlich auch zum eigenen Überdruss reichlich studiert und wenig daraus gelernt, exzessive Feste gefeiert und mehr. Schon zu Lebzeiten Goethes gab es Einwände gegen Fausts Begnadigung, und weder Hector Berlioz noch Ferruccio Busoni wollten sich dieser wundersamen Lösung in ihren Faust-Vertonungen anschließen.
    Musik Busoni, Dr. Faust
    Berlioz schickt seinen Faust effektvoll in die Verdammnis, und Busoni hat sich für seinen Dr. Faust etwas Besonderes ausgedacht. In der Stunde seines Todes erscheint ihm die Herzogin von Parma, die ihm sein totes Kind übergibt. Juliane Schunke, Dramaturgin der Dresdner Produktion des Dr. Faust:
    "Der Schluss ist tatsächlich eine ganz originäre Erfindung von ihm, dass Dr. Faust am Ende seines Lebens erkennend, dass Teufel und Gott gleichermaßen zum Leben den Menschen dazugehören, das weitergeben kann an die nächste Generation, indem er sich in seinem eigentlich toten Kind wieder entdeckt, also wieder zu Fleisch wird, re-inkarniert, und in dem Moment, wo er stirbt, dieses Kind wieder zum Leben erweckt, so stehts dann in der Partitur, bzw. in dem, was er sich ausgedacht hat, dass wirklich ein freundlicher, blühender Jüngling aufsteht und in die Welt geht."
    Berlioz unterscheidet sich zwar am Schluss seiner Faust-Vertonung von Goethe, er nahm aber doch Szenen aus Goethes Faust-Version als Vorlage. Busoni dagegen hat sich bewusst von Goethe abgesetzt – aus Ehrfurcht und auch um einen direkten Vergleich zu vermeiden. Seine Hauptquelle war das Puppenspiel, das aus dem Volksstück aus dem 16. Jahrhundert entstand. Er wählte weniger bekannte Szenen aus, die bei Goethe nicht vorkommen. Anfangs überreichen drei Krakauer Studenten ihm ein Zauberbuch, später wählt Faust aus sechs erscheinenden Geistern Mephisto aus, der ihm seine geheimen Wünsche erfüllt.
    Musik Busoni, Dr. Faust
    Gretchen gibt es bei Busoni nicht oder nur indirekt. Ein Soldat, Gretchens Bruder, möchte den Tod seiner Schwester rächen. Mit Mephistos Hilfe kommt er zu Tode. Dafür spannt Faust dem Herzog von Parma seine Gattin in der Hochzeitsnacht aus. Busonis Sicht auf Faust hänge auch, so die Dramaturgin der Dresdener Produktion Juliane Schunke, mit den Zeitumständen zusammen, während derer sich der Komponist mit dem Stoff auseinandersetzte, nämlich zur Zeit des ersten Weltkrieges.
    "Busoni ist jemand, der tatsächlich das Scheitern der Gesellschaft am Ersten Weltkrieg ganz schnell mit dem Scheitern Fausts parallel gesetzt hat. Und dass wiederum nach dem 1. Weltkrieg Faust als eine Figur gesehen wurde, dem man zutraute durch das immer Weitergehen, durch das Wieder-Aufstehen nach einem Rückschlag oder nach einem Scheitern wieder weiter nach vorn gehen zu können, hat man ihn auch da wieder idealisiert, wieder als eine Art Ikone eigentlich benutzt, und in dieser Zeit, muss man sich vorstellen, hat Busoni sich mit Faust beschäftigt."
    Gut und Böse, positive und negative Aspekte seiner eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen – so könnte man Busonis Botschaft mit seinem Dr. Faust beschreiben, und hier lassen sich auch Parallelen zu Berlioz’ Sicht auf den Stoff ziehen, auch wenn das Werk zu anderer Zeit und in anderen gesellschaftlichen Strukturen entstanden ist, in Frankreich um 1840. Bei Berlioz ist Faust eine Figur der französischen Romantik, erklärt Ingo Gerlach, Dramaturg der Bremer Produktion von "Fausts Verdammnis".
    "Die unterscheidet sich sehr stark von einem positiv gezeichneten Faust bei Goethe eben zu einem lethargischen, fast depressiven, französischen romantischen Helden. Der eben am Überdruss krankt, der diesen Ennui hat, der für die französische Romantik so entscheidend war, der sich durchzieht bis zu Hyusmans, zur Decadence usw."
    Berlioz sieht Mephisto – anders als Goethe, aber ähnlich wie Busoni – eher positiv.
    "Bei Goethe ist es der Geist, der stets verneint, bei Berlioz ist es der "Esprit de la vie", der Geist des Lebens, viel weniger dialektisch, weniger intellektuell, und viel mehr ... so ein Zauberkünstler, der eben ihn im fliegenden Teppich von A nach B bringt, ihn dann in Schlaf versetzt und im Traum Marguerite zeigt."
    Musik: Berlioz, La Damnation de Faust
    Dass Faust und Mephisto eigentlich Doppelgänger sind und zwei Facetten ein und derselben Persönlichkeit verkörpern, zeigte Regisseur Paul-Georg Dittrich in seiner in einem weißem Labor spielenden Bremer Inszenierung von Berlioz’ "La Damnation de Faust" anschaulich, beide tragen dasselbe Kostüm. Die Szene spielt auch auf einem in den Zuschauerraum ragenden Laufsteg. Mit Videokameras wurde Faust live gefilmt und auf eine Leinwand über der Bühne projiziert, seine Gefühlsregungen konnten so nah erlebt werden. Der nicht nur exzellent singende Tenor Chris Lysack spielte dies auch eindrücklich. Überhaupt gelang Regisseur Paul-Georg Dittrich ein spannungsvolles schauspielerisches Agieren mit allen Sängern. Vorherrschend war eine virtuelle Atmosphäre, denn sowohl Faust als auch Marguerite lieben ja eigentlich mehr ihre eigenen Vorstellungen vom Gegenüber, als das Gegenüber selbst. Beim Duett Faust-Marguerite etwa finden die Liebenden nicht wirklich zueinander, sie gehen immer nur auf die Bilder des anderen zu, die auf große mobile Wände projiziert waren. Besonders bleiben auch Theresa Kronthaler als Marguerite und Claudio Otelli als Mephisto mit ihren sängerisch ausgefeilten Rollen in Erinnerung. Markus Poschner sorgte am Pult der Bremer Philharmoniker für anhaltende Dramatik und musikalische Spannung.
    Musik: Berlioz, La Damnation de Faust
    Busonis Dr. Faust in Dresden erzählte Regisseur Keith Warner dagegen viel geradliniger. Bei ihm erlebt man in Kostümen und Ausstattung eine Zeitreise von der Renaissance ins 21. Jahrhundert. Dominierend war bei ihm eine Säulenhalle, die sich je nach Szene mit verschiedenen Versatzstücken – vom alten Buch bis zum Laptop – verändert. Problematisch war, dass zum Beispiel die Beleuchtung zu wenig variabel war und vorwiegend im düsteren Ambiente spielte. Auch hätte man sich weit mehr szenische Aktion gewünscht. Zugegeben, Busonis Faust ist durch de eher analytisch-spröden intellektuellen Zugang schwerer zu inszenieren, aber das sollte für einen Altmeister wie Keith Warner eigentlich kein Problem sein. So wurde der Abend in Dresden dann doch ein wenig lang. Exzellent war allerdings die musikalische Leistung: Lester Lynch als Faust und Mark Le Brocq als Mephisto ergänzten sich blendend, Manuela Uhl überzeugte als Herzogin von Parma. Tomas Netopil brachte die oft auch impressionistisch schillernde Musik Busonis mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden eindrücklich zum Leuchten.