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Premieren unter schlechtem Stern

Die jüngsten Premieren im Berliner Staatsballett sind zwar nicht schlecht, aber sie scheinen unter der kritischen Situation der Compagnie von Vladimir Malakhov zu leiden. Zusammen mit der Bekanntgabe des Weggangs von Tänzerin Polina Semionova fällt das nahende Karriereende des Ensemble-Leiters.

Von Wiebke Hüster | 28.04.2012
    Seit zehn Jahren leitet Vladimir Malakhov jetzt das Staatsballett Berlin. Als er antrat, kündigte der in der Ukraine geborene Tänzer an, seine Compagnie werde bald zu den besten klassischen Ensembles zählen. Was die Qualität des Tanzens angeht, ist es Malakhov gelungen, ein sehr homogen wirkendes Corps de ballet aufzubauen und technisch einwandfreie Solisten heranzubilden. In den ersten Jahren sorgten die Auftritte Malakhovs an der Spitze seiner Compagnie für Glamour und die sympathische junge Tänzerin Polina Semionova, die erst siebzehn Jahre alt war, als Malakhov sie aus Russland nach Berlin holte, sorgte mit ihrem außergewöhnlichen Tanz für zusätzlichen Glanz.

    Ein paar Jahre hat das gereicht, um in Berlin, dessen glanzvolle Ballett-Jahre lange zurückliegen, für Aufbruchsstimmung zu sorgen, auch wenn das Repertoire von Anfang an einer solchen Compagnie nicht angemessen schien. Nun verblasst der Tänzerstern Malakhovs am Berliner Himmel, Knieoperationen liegen hinter ihm und das Älterwerden fordert seinen Tribut von ihm. Die Prinzenrollen musste er abgeben, das Ende seiner Bühnenkarriere lässt sich nicht mehr viel länger hinausschieben. In diese kritische Situation hinein platzte vor einigen Wochen die Nachricht, dass sein Star Polina Semionova das Staatsballett Berlin verlassen wird, um am American Ballet Theatre in New York und an anderen großen Bühnen zu gastieren.

    Vor diesem Hintergrund betrachtet steht die jüngste Premiere nicht eben in einem besseren Licht. Im Berliner Schillertheater, wo das Staatsballett auftritt, solange die Staatsoper Unter den Linden saniert wird, zeigte das Ensemble eine gewohnt verrätselte Uraufführung des Choreografen Marco Goecke zu Musik von John Adams, ein zwölf Jahre altes absolut belangloses Ballett des Spaniers Nacho Duato und William Forsythes 1992 für das New York City Ballet geschaffenes "Herman Schmerman".

    "Herman Schmerman" hat die übliche Klingklong, Plim Plam – Computermusik von Thom Willems, mit der Forsythe meistens arbeitet, und das Stück ist witzig, vor allem der lange Pas de deux des zweiten Teils, bei dem Mann und Frau zitronengelbe Plissee-Miniröcke überstreifen zu ihren wechselseitigen technischen und erotischen Herausforderungen.

    Duatos "Arcangelo"-Ballett hingegen ist eine sentimentale Abfolge von Duetten, bei denen die Frauen ständig die Beine zum Publikum hin scherenartig öffnen müssen, wozu sie von den Männern in die Luft geschwenkt werden. Am Ende wickelt sich ein Paar in einen herabgelassenen Samtvorhang und lässt sich gen Himmel ziehen.

    Maro Goecke hat sich mit flatternden, zappelnden und zitternden Handbewegungen einen Namen gemacht. Seine nervösen Tanzfiguren leben davon, dass man ihren Händen ein unheimliches Eigenleben zubilligt und es aufregend findet, allein dem Muskelspiel nackter Rückenpartien zuzuschauen. "And the Sky on that Cloudy Old Day" heißt sein neues, ähnlich verschlüsseltes Stück.

    Hier wenden sich die zumeist vereinzelt auftretenden Tänzer doch häufiger dem Publikum zu, das Licht ist heller, und das Ganze macht einen zugänglicheren, wenn auch nicht verständlicheren Eindruck. Das Staatsballett sah in keinem dieser Werke schlecht aus, aber natürlich würde man niemandem in München oder Köln nahelegen wollen, diesen Abend unbedingt zu sehen. Das aber wäre das Ziel einer echten Ballettdramaturgie und Spielplanpolitik einer solchen Compagnie – wirklich zwingende Positionen des zeitgenössischen Balletts zu präsentieren, die niemand, der sich für Ballett interessiert außer acht lassen könnte.