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Pressefreiheit in der Türkei
"Journalismus ist kein Verbrechen"

Rund 150 Journalisten sitzen in Haft, 156 Medienhäuser sind seit dem gescheiterten Putsch geschlossen worden: Die Pressefreiheit in der Türkei verschlechtert sich laut Reporter ohne Grenzen von Jahr zu Jahr. Das zeigt nicht erst der Fall Deniz Yücel.

Von Reinhard Baumgarten | 03.05.2017
    Ein Mann demonstriert mit einer Ausgabe der "Cumhuriyet" gegen die Festnahmen von türkischen Journalisten.
    Ein Mann demonstriert mit einer Ausgabe der "Cumhuriyet" gegen die Festnahmen von türkischen Journalisten. (pa/dpa/EPA)
    Die Meinungen darüber, wie es um die Pressefreiheit in der Türkei steht, gehen weit auseinander.
    "Ich möchte der ganzen Welt ganz offen sagen, die Medien sind nirgendwo so frei wie in der Türkei”, erklärt im Brustton der Überzeugung Präsident Erdogan.
    "Sie sind so frei, dass sie sich täglich jede Art von Beleidigung, Anschwärzung, Rassismus und Hetze erlauben.”
    Wobei nicht ganz klar ist, ob er die Masse der regierungsnahen, oder aber die wenigen verbliebenen oppositionellen Medien meint.
    "Die Hälfte aller weltweit inhaftierten Journalisten scheint in der Türkei inhaftiert worden zu sein", stellte am Wochenende Zeid bin Ra’ad Hussein, der Hohe Kommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen fest.
    "Das bereitet uns Sorgen. Journalismus ist kein Verbrechen. Die Regierung sollte diesem Punkt mehr Aufmerksamkeit widmen."
    Rund 150 Journalisten sitzen in der Türkei im Gefängnis
    Die nackten Zahlen sollten nachdenklich stimmen: 156 Medienhäuser sind seit dem gescheiterten Putsch im Juli vergangenen Jahres geschlossen worden; 2.500 Medienschaffende verloren ihren Job; rund 150 Journalisten sitzen im Gefängnis.
    Niemand komme ins Gefängnis, weil er oder sie journalistisch arbeite, beschwört Ankaras Justizminister Bekir Bozdağ. Und Regierungschef Binali Yıldırım versichert:
    "Wir werden die Pressefreiheit energisch verteidigen. Aber wir können jene, die sich an strafbaren Handlungen beteiligen, oder Terrororganisationen wie PKK oder die Gülen-Bewegung offen unterstützen nicht für unschuldig erklären.”
    Der Korrespondent der Tageszeitung Die Welt, Deniz Yücel, sei so ein Fall, behauptet die türkische Führung.
    "Ganz und gar ein Agent, ein Terrorist. Von wegen Journalist", urteilt Präsident Erdogan noch bevor überhaupt ein Strafverfahren gegen den 43-jährigen Yücel eröffnet wurde. Und Erdogan legt nach.
    "Wir werden entschieden gegen jene vorgehen, die unter dem Deckmantel eines Medienvertreters für Terrororganisationeno oder als Agent für ausländische Geheimdienste arbeiten. "
    Jedes Jahr steht es schlechter um die Pressefreiheit in der Türkei
    Hier kommt nun die Kunst der Interpretation ins Spiel. Die Staatsanwaltschaft beruft sich im Fall Yücel auf dessen Artikel, die schlecht und negativ konnotiert ins Türkische übersetzt wurden, beharrt Yücels Anwalt. Yücel hat unter anderem über den Konflikt zwischen Staat und PKK geschrieben.
    "Du kannst Journalisten nicht einfach anklagen, weil sie über Dinge schreiben, die im öffentlichen Interesse sind", meint Andrew Gardner von Amnesty International. Wenn Journalisten bei ihren Recherchen zu Erkenntnissen gelangen, die der türkischen Führung nicht passen, kann‘s brenzlig werden.
    "Er wurde inhaftiert, weil er Artikel geschrieben hat, die auf privaten Informationen beruhten. Das ist lachhaft."
    Die Türkei nimmt laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) mittlerweile Rang 155 von 180 bewerteten Staaten ein. Jedes Jahr steht es laut RoG schlechter um die Pressefreiheit in der Türkei.