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Pressefreiheit in der Ukraine
Überwachung statt Quellenschutz

In der Ukraine gelten die meisten Parlamentsabgeordneten als korrupt, das gleiche gilt für Verwaltungsbeamte und Richter. Ohne unabhängig recherchierende Medien gäbe es kaum eine Kontrolle der regierenden Oligarchen. Deshalb sorgt eine Maßnahme der Generalstaatsanwaltschaft gegen zwei Journalistinnen landesweit für Empörung.

Von Florian Kellermann | 02.10.2018
    Ukrainian President Petro Poroshenko delivers a speech to Ukrainian lawmakers in the Ukrainian Parliament in Kiev on September 20, 2018. During his speech on the internal and external situation of Ukraine in 2018 Poroshenko raised the questions of NATO and European Union membership, Kremlin media influence ahead of future elections and the creation of the Autocephalous Orthodox Ukrainian Church.
    Nicht wirklich ein Ort der politischen Kontrolle: das Parlament in Kiew (AFP/ Genya SAVILOV)
    Christina Berdynskych arbeitet für das unabhängige ukrainische Wochenmagazin "Neue Zeit". Ihr Thema ist die Innenpolitik - und das heißt in der Ukraine auch: die Korruption bis hinauf zum Präsidenten.
    Deshalb kommt es für sie einer Katastrophe gleich, dass die Staatsanwalt untersuchen will, wie sie ihr Mobiltelefon benutzt hat - und das für einen Zeitraum von anderthalb Jahren. Ein Gericht in Kiew gab dem entsprechenden Antrag der Ermittler statt. Und Chrstina Berdynskych legte Berufung ein.
    "Ich habe bei der Gerichtsverhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt, dass ich seit elf Jahren als politische Journalistin arbeite und dass ich viele Quellen haben, die ich schützen muss. Gerade vor den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr schafft das einen gefährlichen Präzedenzfall. Er zeigt, wie leicht die staatlichen Behörden Zugang zu unseren Telefonen bekommen. Mit diesem Risiko müssen jetzt alle Journalisten leben."
    Dauerfehde zwischen Antikorruptionsbehörde und Generalstaatsanwaltschaft
    Zur Arbeit von Christina Berdynskych gehört es, dass sie Kontakt zur Antikorruptionsbehörde NABU pflegt. Doch genau das brachte den Stein ins Rollen. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft liegt im Dauer-Clinch mit der Behörde - und ermittelt gegen deren Leiter. Sie wirft ihm vor, er habe vertrauliche Informationen an Journalisten weitergegeben, womöglich auch an Christina Berdynskych. Deshalb sei die Überprüfung von deren Mobiltelefon notwendig, erklärte Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko:
    "Im einem Büro der NABU wurden Journalisten intime Details über eine bestimmte Frau mitgeteilt, die deren Ehre verletzen. Diese Frau hat Strafanzeige gestellt. Ich achte die Rechte von Journalisten, aber ich muss hier auch ein mögliches Verbrechen aufklären. Ich will nur wissen, wann sich die Journalistinnen auf dem Gelände des NABU aufgehalten haben."
    Neben Christina Berdynskych ist noch eine weitere Journalistin betroffen - und womöglich sind die beiden nicht die einzigen. Denn in der Ukraine werden Journalisten nicht informiert, wenn ein Gericht die Überprüfung ihrer Handy-Nutzung gestattet. Nur durch Zufall erfuhr Christina Berdynskych, dass sie betroffen ist.
    Proteste gegen die Ausforschung
    Gegen dieses Vorgehen demonstrierten vor einigen Tagen Bürger vor der Generalstaatsanwaltschaft. So auch Oleksij Hryzenko, der vor fast fünf Jahren bei den Massenprotesten in Kiew für Demokratie eintrat:
    "Hinter dem Vorgang steckt ein System, das von Leuten getragen wird, die früher selbst Meinungsfreiheit eingefordert haben. Wie Jurij Luzenko. Die Arbeit seiner Behörde hat einen neuen Tiefpunkt erreicht, wenn er die Telefon-Daten von Journalisten 17 Monate zurückverfolgen lässt. Sie wollen erstens Journalisten einschüchtern und zweitens die Kontrolle über alles haben, was vor sich geht."
    Trotz juristischer Gegenwehr: Vertrauen möglicher Quellen ist erschüttert
    Inzwischen hat Christina Berdynskych einen Teilerfolg erzielt: Das Berufungsgericht hat die Entscheidung der unteren Instanz aufgehoben: Die Staatsanwaltschaft darf das Mobiltelefon der Journalistin vorerst nicht ausforschen. Grund dafür ist allerdings nur ein Formfehler, den das erste Gericht gemacht hat. Das Verfahren beginnt erneut.
    Doch Christina Berdynskych ist skeptisch: Sie habe keine Garantie, dass die Ermittler die Daten nicht längst abgerufen haben. Und manche Informanten begegnen ihr schon jetzt mit Misstrauen:
    "Bei uns in Kiew war gerade eine große internationale Konferenz. Meine Gesprächspartner haben mich oft mit den Worten begrüßt: Ja, wir wissen, die Staatsanwaltschaft hört dich ab. Sie haben gar nicht genau verstanden, worum es geht. Aber das ist für meine Arbeit natürlich negativ."