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Pressefreiheit
"Turan" ist Aserbaidschans unabhängige Stimme

Es war der erste unabhängige Nachrichtendienst in der Sowjetunion: Im Mai 1990 gründeten sechs Journalisten in Baku die Agentur "Turan". Heute trotzen sie dem notorisch pressefeindlichen Regime von Aserbaidschans Staatschef Alijev. Allein die Methoden der Unterdrückung haben sich gewandelt.

Von Sven Töniges | 15.02.2014
    Die Altstadt der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku mit Minaretten liegt vor dichtbebauten neuen Hochhäusern.
    Das Zentrum von Baku: Im Vordergrund die Altstadt der Kaukasusmetropole. (Deutschlandradio / Sven Töniges)
    Eine Altbauwohnung in einem Hinterhof im Zentrum von Baku, zwei Blocks sind es von hier bis zum Kaspischen Meer. Die Räume mit ihren locker vier Meter fünfzig hohen Wänden beherbergen die Agentur "Turan" – und atmen Zeitgeschichte: Hier entstand der erste unabhängige Nachrichtendienst auf sowjetischem Boden. Mit dabei war Shahin Hajiev, heute der Redaktionsleiter von Turan. "Das war im Mai 1990, also noch vor dem Zerfall der Sowjetunion. Wir haben uns sogar noch vor Interfax etabliert. Wir waren sechs Journalisten. An einer interessanten Geschichte, an Tradition mangelt es uns also nicht. Das wichtigste aber: Wenn wir etwas melden, dann glauben es uns die Leute. Da möchte man meinen, wir sollten gut im Geschäft sein. Das sind wir aber nicht."
    Auf Aserbaidschanisch, Russisch und Englisch bietet die sechszehnköpfige Redaktion ihren Abonnenten News und Hintergründe. Objektiv und fair, der Anspruch damals wie heute. Im Ausland wird das sehr geschätzt als Gegenpol zur dominanten regierungstreuen Berichterstattung. Turan wird in westlichen Medien oft zitiert und bekam unter anderem den Bucerius-Preis für die Freie Presse in Osteuropa. Doch inzwischen sind es auch Gelder westlicher Stiftungen, die die Agentur überhaupt am Laufen halten und den Redakteuren ein zumindest karges Gehalt ermöglichen. Paradox sei das, sagt Shahin Hajiev: "In einem Land, das inzwischen über einen solchen Ölreichtum verfügt, ist die unabhängige Presse heute viel stärker auf Geldgeber aus dem Ausland angewiesen, als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren."
    Politik der Nadelstiche
    Im Reich des seit 20 Jahren autoritär regierenden Alijev-Clans hatte die unabhängige Agentur nie viele Freunde. Die Journalisten von Turan haben nahezu das gesamte Instrumentarium der Repression erfahren müssen. Zwei Kollegen wurden ermordet, etliche andere tätlich angegriffen. Doch seit etwa fünf Jahren beobachtet Shahin Hajiev einen neuen Kurs der Staatsmacht: "Die Politik der Regierung zielt darauf ab, den Spielraum für unabhängige Medien, kritische Stimmen immer mehr zu einzuschränken. Mithilfe aller möglichen Hindernisse. Angefangen damit, dass wir rechtlich keinerlei Ansprüche auf Informationen haben, wir haben keine Chance, Funktionsträger zu treffen oder Statements einzuholen, nicht mal per Telefon. Sie ignorieren uns."
    Shahin Hajiev, Redaktionsleiter der unabhängigen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur "Turan"in seinem Büro im Zentrum von Baku
    "Wie ein Zug, der seit 20 Jahren rollt": Shahin Hajiev ist der Redaktionsleiter der Nachrichtenagentur "Turan" (Deutschlandradio / Sven Töniges)
    Zwar macht die Agentur durch ihre über Jahrzehnte gewachsene Vernetzung gerade mit oppositionellen Kräften viel wett. Trotzdem sank die Zahl der Abonnenten auf 200, lokale Anzeigenkunden wandten sich ab. Durch die staatliche Politik der Nadelstiche wurden kritische Medien wie Turan zunehmend abhängig von ausländischen Geldgebern – was ganz neue Probleme mit sich bringt: "Bevor wir auf Mittel aus dem Ausland zugreifen können, müssen Finanz- und Wirtschaftsministerium das Geld freigeben. Sie können es genehmigen – oder auch nicht, ohne Erklärung. Damit hat die Regierung den Schlüssel in der Hand. Sie können uns jederzeit den Hahn zudrehen. Und das spürt man. Da greift eine Art Selbstzensur."
    "Anti-Verleumdungsgesetz" nach russischem Vorbild
    Im Juni 2013 nun weitete die Regierung ein striktes Gesetz gegen Diffamierungen auch auf das Internet aus. Für jede online veröffentlichte Meinung – etwa auch über Facebook - drohen nun empfindliche Geld- oder Haftstrafen. Als inzwischen zumeist online gelesenes Medium trifft das Gesetz seine Agentur ins Mark, sagt Shahin Hajiev. An der führenden Oppositionszeitung wurde bereits ein Exempel statuiert. 30.000 Euro Strafe wegen Verleumdung musste das Blatt zahlen für einen moderat-kritischen Artikel über Fahrpreiserhöhungen der Bakuer Metro.
    Für den aserbaidschanischen Außenamtssprecher Elman Abdullayev ist das Gesetz dagegen so etwas wie eine journalistische Qualitätsoffensive: "Es geht darum, den Medien Moral beizubringen. Sehen Sie, wir sind erst am Anfang unserer Staatswerdung. In solchen Gesellschaften wird oft Kritik mit Beleidigungen vermengt. Aber Kritisieren und Beleidigen sind zwei paar Schuhe."
    Die EU, der Europarat, die OSZE – einhellig verurteilten sie das Anti-Diffamierungsgesetz als Einschränkung der Meinungsfreiheit. Gut so, meint Shahin Hajiev. Doch zu oft habe er erleben müssen, wie Europa zugleich um die Gunst des Präsidenten mit all seinem Öl und Gas buhle. Erfahrungen wie diese lassen ihn und seine Mitstreiter von der Agentur Turan fast ans Aufgeben denken. Fast: "Wir sind wie ein Zug, der seit über zwanzig Jahren rollt, also sehr schwer zu stoppen. Was man sonst zum Weitermachen braucht, ist eine Gewissheit: Kein autoritäres Regime ist für immer."