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Beschämendes Nichtstun

Viele Zeitungen widmen sich dem Kampf um die nordsyrische Stadt Kobane - und sind empört, weil die Türkei bislang militärisch nicht eingreift. Für "Milliyet" aus Istanbul ist gar das Ansehen des Landes in Gefahr. Außerdem geht es um den Friedensnobelpreis und die deutsche Wirtschaft.

12.10.2014
    Ein türkischer Panzer vor der syrischen Grenze bei Suruc - nahe Kobane am 10.10.2014
    Ein türkischer Panzer vor der syrischen Grenze bei Suruc - nahe Kobane (picture-alliance / dpa / Tolga Bozoglu)
    Die JERUSALEM POST schreibt zum Thema Kobane:
    "Die Welt wartet, während die Terrororganisation 'Islamischer Staat' in Syrien und im Irak Massenmorde begeht. Besonders beschämend ist der Umstand, dass die türkische Armee dem Blutbad in Kobane einfach zuschaut. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spielt ein gefährliches Spiel und benutzt das Massaker an den Kurden für einen Erpressungsversuch. Er hat diese Woche Bedingungen gestellt, zu denen eine Flugverbotszone und Unterstützung für die moderate Opposition in Syrien und im Irak gehören. Ankara glaubt, dass der Islamische Staat den mit der Türkei verfeindeten Kurden den Todesstoß versetzen wird - und dass es die Katastrophe von Kobane dazu benutzen kann, Washington dazu zu zwingen, den syrischen Diktator Assad zu stürzen",
    vermutet die JERUSALEM POST aus Israel.
    "Die türkischen Panzer, die vor Kobane stehen und nichts tun, haben das Ansehen unseres Landes beschädigt",
    bemerkt die türkische Zeitung MILLIYET aus Istanbul.
    "Statt Drohungen auszustoßen, sollte die Regierung den enstandenen Schaden wieder gut machen. Wenn sie rechtzeitig die richtige Strategie verfolgt hätte, wäre es allerdings gar nicht erst so weit gekommen."
    Kurdische Selbstverwaltung verhindern
    Die Zeitung RADIKAL, die ebenfalls in Istanbul erscheint, betont:
    "Diese Woche ist klar geworden, dass die Nato keine Hand rühren wird, um eine Niederlage der Kurden in Kobane zu verhindern. Und die türkische Regierung ist entschlossen, in Sachen Kobane die Augen einfach zuzudrücken, trotz der Gefahr eines Aufstands der eigenen kurdischen Bürger. Sie will eine mögliche kurdische Selbstverwaltung verhindern. Die kurdischen Unruhen der vergangenen Tage und die düsteren Aussichten für Kobane verheißen für die Zukunft nichts Gutes",
    befürchtet die türkische Zeitung RADIKAL.
    "Viele fragen sich, warum die Türkei nichts tut",
    stellt die schwedische Zeitung SVENSKA DAGBLADET fest.
    "Was die Nachrichten in Schweden und anderswo nicht erwähnen ist aber, dass Kobane gerettet werden könnte, wenn der Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in Syrien es nur wollte. Die Hauptursache dafür, dass die kurdischen Streitkräfte unterlegen sind, ist nämlich nicht, dass niemand ihnen hilft, sondern dass sie keine Hilfe annehmen. So stehen sie allein gegen den IS. Das ist unverantwortlich, aber leider nicht verwunderlich - es passt nämlich zur extremen Einstellung der PKK, die andere Organisationen neben sich nicht zulässt."
    So weit SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm.
    Verständliche Entscheidung
    Die dänische Zeitung POLITIKEN befasst sich mit dem Friedensnobelpreis für Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi:
    "Die Kriterien für die Auszeichnung sind oft schwer zu verstehen. Die EU hat den Preis bekommen, Barack Obama und Henry Kissinger. In diesem Jahr allerdings ist die Entscheidung des Nobel-Komitees verständlicher und bedeutender als sonst. Der Preis geht an zwei Menschen, die unter Gefahr für ihr eigenes Leben für eines der wichtigsten Anliegen unserer Zeit kämpfen: Die Rechte von Kindern. Die erst 17-jährige Pakistanerin Malala Yousafzai hat einen Mordanschlag überlebt, der auf sie verübt wurde, weil sie sich für das Recht von Mädchen auf Bildung einsetzt. Der 60-jährige Inder Kailash Satyarthi hat sein Leben lang die Versklavung von Kindern in Minen und Fabriken bekämpft. In einer Zeit ohne Grenzen ist der Einsatz gegen Kinderarbeit grenzenlos wichtig",
    findet POLITIKEN aus Kopenhagen.
    "Die Friedensnobelzyniker von Oslo",
    titelt dagegen die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
    "Malala Yousafzai ist ein Kind. Seit sie klein ist, wird sie benutzt. Vor allem von ihrem Vater. Er will, dass seine Tochter das schafft, was er in seinem Leben nicht geschafft hat: Die Welt verändern. Daher baute er die Kleine systematisch zum Symbol auf. Malala ist eine Marke geworden. Es gibt Malala-Bücher, Malala-Filme, einen Malala-Song. Malala macht alles mit. Niemand will am Bild der unschuldigen Heldin zweifeln. Nur: Ein Kind ist kein Held. Ein Kind ist schwach, unselbstständig und muss geschützt werden. Deshalb gibt es Kinderrechte. Und deshalb können nicht die Kinder selbst diese Rechte einfordern. Das alles war dem Preiskomitee egal. Es konnte dem Gebrauch der Marke Malala nicht widerstehen",
    bemängelt die F.A.S.
    Kein Geld mehr für Straßen und Brücken
    Die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute haben diese Woche ihre Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft gesenkt. Der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG analysiert:
    "Übermütig hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren die Stärke der deutschen Wirtschaft aufs Spiel gesetzt. Sicher, auch das weltwirtschaftliche Umfeld ist jetzt nicht mehr so freundlich wie vor Jahresfrist: der Konflikt in der Ukraine, der Konflikt in Syrien, der Konflikt in China. Doch die Regierung hat viel beigetragen, die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft zu schwächen. Zum Beispiel bei Dienstleistungen. Wer den Mindestlohn fürchtet, geht heute lieber nach Polen. Zum Beispiel bei ihren eigenen Investitionen: Weil der komplette finanzpolitische Spielraum für sozialpolitische Ausgaben verplant wurde, ist nun nichts mehr da, um Brücken und Straßen zu reparieren, Stromtrassen zu bauen, den Abschwung zu bremsen",
    kritisiert der TAGESSPIEGEL AM SONNTAG.
    Die WELT AM SONNTAG meint:
    "Dass Mindestlohn und Rentenpaket 'Gegenwind' für die Konjunktur darstellen, ist das eine. Mindestens so schwer wiegt der Vertrauensverlust, den eine solche Politik in der Wirtschaft auslöst. Zumindest die größeren Unternehmen haben sich fast ausnahmslos Alternativen zum Standort Deutschland geschaffen. BMW baut das Werk im amerikanischen Spartanburg zu seiner weltgrößten Fabrik aus, VW errichtet ein halbes Dutzend Werke allein in China. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Das aber heißt: Eine massive Verlagerung von Jobs ist kein abstraktes Schreckensszenario mehr, sie kann jederzeit stattfinden. Die Große Koalition darf diese Entwicklung gern beklagen. Sie noch länger ignorieren, das darf Berlin nicht",
    unterstreicht die WELT AM SONNTAG, mit der die Presseschau endet.