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Presseschau
"Das Regime in Nordkorea ist bösartiger als jede andere Diktatur"

Der mutmaßliche Hacker-Angriff aus Nordkorea auf das Filmstudio Sony Pictures beschäftigt auch die Internationale Presse. Die New York Times fordert, die Sony-Affäre ernster zu nehmen als andere Debatten über die Meinungsfreiheit im Westen, während für "Le Monde" bereits eine Art Krieg im Netz ausgebrochen ist.

21.12.2014
    Tageszeitungen stecken an einem Zeitungsstand in Drehständern.
    Die Zeitungen kommentieren u.a. die Sony-Affäre. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Die französische Zeitung LE MONDE kommentiert die Entscheidung des Medienkonzerns Sony, den Kinostart der Nordkorea-Satire "The Interview" nach einem Hackerangriff zu stoppen.
    "Hollywood hat schon nachgegeben. Bereits vor der Entscheidung des Filmstudios Sony, den Kinostart von 'The Interview' abzusagen, hatten die großen Filmverleiher angekündigt, den Streifen nicht zu vertreiben. In dieser Komödie bekommen zwei US-Journalisten vom Geheimdienst CIA den Auftrag, Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un bei einem Interview zu töten. Wenn die US-These einer Verantwortung Nordkoreas für den Hackerangriff stimmt, was das kommunistische Land strikt zurückweist, dann kann jeder Staat den Rückzug eines Artikels, Theaterstücks oder Films erreichen, der ihm missfällt. Das bestätigt, dass im weltweiten Netz, wo nichts mehr geschützt ist, bereits eine Art Krieg ausgebrochen ist",
    meint LE MONDE aus Paris.
    Für den Kommentator der NEW YORK TIMES ist Nordkorea als der Urheber des Hackerangriffs ausgemacht:
    "Eins ist sicher: Das Regime in Nordkorea ist zweifelsohne bösartiger als jede andere Diktatur derzeit, der Angriff auf Sony ist ein tödlicher Fall von Cyberterrorismus. Sonys Reaktion darauf, den Film zu stoppen, in dem der nordkoreanische Diktator Opfer eines Attentats wird, ist ein Präzedenzfall. Das ist Grauen erregend für das Kino, zumal die Filmindustrie aus Angst vor möglichen Kontroversen, die den Vertrieb ihrer Blockbuster in Asien behindern könnten, sich nun sicherlich auf den Verkauf von Filmen über Superhelden beschränken wird. Jeder, der in Zukunft erpresst wird, sei es eine Institution oder ein Individuum, wird ähnliche Zugeständnisse machen. Deshalb muss die Sony-Affäre ernster genommen werden als andere Debatten über die Meinungsfreiheit im Westen",
    mahnt die NEW YORK TIMES.
    Die WELT AM SONNTAG warnt vor einer Bagatellisierung des Hackerangriffs.
    "Der Vorgang selbst und seine Bedeutung für die weltweite Geltung von Grundrechten und Meinungsfreiheit werden vielfach kaum ernst genommen. Angesichts einer Attacke, die man getrost als das 9/11 der amerikanischen Filmbranche bezeichnen darf, zeugt das von erstaunlicher Ignoranz – oder Hasenfüßigkeit. Auch die internationale Gilde sogenannter Internet-Aktivisten, die ansonsten aus weit geringerem Anlass alle bürgerrechtlichen Alarmglocken schrillen lässt, übt sich in vornehmer Zurückhaltung oder zeigt sogar offen Häme angesichts des Schicksals des geplünderten Unterhaltungsriesen",
    kritisiert die WELT AM SONNTAG.
    DER TAGESSPIEGEL aus Berlin ist der Ansicht:
    "Die Geschichte erinnert an den Streit um die Mohammed-Karikaturen, die Fatwa gegen den Autor der 'Satanischen Verse' Salman Rushdie, die Absetzung von Mozarts 'Idomeneo' in der Deutschen Oper in Berlin. Damals wie jetzt wird völlig zu Recht die Meinungs-, Presse- und Kulturfreiheit gegen jede Form von Erpressung verteidigt. Die Absetzung des Films sei ein 'Akt der Feigheit' heißt es, Amerika habe seinen 'ersten Cyberkrieg verloren' ein 'beunruhigender Präzedenzfall' sei geschaffen worden. Barack Obama spricht von einem 'Fehler' Schauspieler, Schriftsteller, Intellektuelle und Politiker kämpfen für die westlichen Werte. So soll es sein. Immer dringlicher aber stellt sich die Frage: Wie lässt sich etwas verteidigen, das immer verwundbarer wird? Maus und Tastatur sind längst mächtigere Waffen als Panzer und Rakete. Die NSA kann praktisch jede Onlinekommunikation der Welt abhören",
    unterstreicht DER TAGESSPIEGEL.
    Von einer "Blamage für die Traumfabrik" spricht die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG:
    "Mit Sonys Rückzug ist nun die Niederlage des Goliaths gegen den David perfekt. Er ist auch eine Absage an die künstlerische Freiheit, bereits hat die Produktionsfirma New Regency einen Nordkorea-Film mit Steve Carrell auf Eis gelegt. Er torpediert auch die Meinungsäußerungsfreiheit. Nach diesem Präzedenzfall von Selbstzensur kann jede Minorität, die mit einer Satire nicht einverstanden ist, mit Anschlägen drohen. Nicht zuletzt ist dies eine Niederlage für die USA, die sich in ihrer Nationalhymne als 'land of the free and home of the brave' rühmen und dessen Präsident bei Geiselnahmen keine Lösegelder zahlen will. Im Unterschied zu der dänischen Zeitung 'Jyllands-Posten', die trotz realerer Bedrohungslage an den Mohammed-Karikaturen festhielt, ist Hollywood, der wichtigste Multiplikator des American Dream, eingeknickt",
    heißt es in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz.
    Hören Sie nun noch Kommentare zur Wirtschaftskrise in Russland. BERLINGSKE TIDENDE aus Kopenhagen notiert:
    "Viele im Westen hatten gehofft, die Wirtschaftskrise in Russland könnte Präsident Putin milder gestimmt haben: Immerhin hat sich der Wert des Rubels inzwischen halbiert, und die russische Zentralbank warnt vor einem deutlichen Schrumpfen der Wirtschaft. Natürlich weiß Putin, dass er von einem guten Verhältnis zum Westen profitieren würde. Aber seine mangelnde Kompromissbereitschaft kommt daher, dass sich Russland seiner Ansicht nach in einer Art Überlebenskampf gegen einen aggressiven Westen befindet. Natürlich wird auch im Westen der Sinn der Sanktionen hinterfragt, denn noch paranoider können Putin und seine Bevölkerung kaum noch werden. Ein verwundeter Bär ist gefährlich, und das könnten nach der Ukraine bald noch weitere ehemalige Sowjetrepubliken zu spüren bekommen. Aber gerade hungrige und verwundete Bären akzeptieren am Ende nur ein Argument: den Respekt und die Angst vor ihrem Gegner. Es wäre naiv zu glauben, Russland werde von selbst zur Einsicht kommen. Nein: Es muss am eigenen Leib zu spüren bekommen, dass es sich nicht lohnt, in fremden Jagdgründen zu wildern",
    unterstreicht die dänische Zeitung BERLINGSKE TIDENDE.
    Die Zeitung SCHLESWIG-HOLSTEIN AM SONNTAG sieht Putin am Ende:
    "Man kann gegen vieles anregieren, nicht aber gegen Adam Riese. Propaganda ersetzt keine ökonomische Vernunft. Viele Russen scheinen allmählich zu erkennen, dass Zar Putin in Wirklichkeit nackt ist. Dass nicht Amerika und die Nato eine Gefahr für die Souveränität des Landes sind, sondern die Neu-Russland-Träumer, die das riesige Reich ins Chaos stürzen. Sanktionen und der drastisch sinkende Ölpreis legen die Unfähigkeit der russischen Staatswirtschaft nur gnadenlos offen. Hamsterkäufe gegen den dramatischen Verfall des Rubel, wilde Gerüchte über einen möglichen Putsch: Das sind auch Zeichen der Hoffnung. Im Kreml flackern bereits die Lichter. Es sind die letzten Irrlichter."
    Mit diesem Kommentar der Zeitung SCHLESWIG-HOLSTEIN AM SONNTAG, die in Flensburg herausgegeben wird, endet der Blick in die Sonntagspresse.