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Priesterausbildung der katholischen Kirche
"Eine zu exotische Lebensform"

Knapp 60 Priesterweihen gab es 2017. Ein Tiefstand. Wie wählerisch kann die katholische Kirche da noch sein, wenn ein junger Mann sagt, er fühle sich berufen? Die Kriterien sind streng - auf dem Papier. Denn immer wieder werden Kandidaten geweiht, die dem Amt nicht gewachsen sind.

Von Burkhard Schäfers | 10.01.2018
    David Seibel (r) kniet bei seiner Priesterweihe in Magdeburg 2015. Es war die erste Weihe des Bistums in vier Jahren. Nachwuchs ist nicht in Sicht.
    David Seibel (r) bei seiner Priesterweihe in Magdeburg 2015. Es war die erste Weihe des Bistums in vier Jahren. Nachwuchs ist nicht in Sicht. (picture-alliance / dpa / Jens Wolf)
    "Ich heiße Maximilian Mihatsch, ich bin 22 Jahre alt und seit April 2014 im Priesterseminar hier in München. Ich bin damit vor meiner Entscheidung nicht groß hausieren gegangen. Insofern war auch die Familie da etwas überrascht erst mal. Im Freundeskreis sind die Reaktionen ganz unterschiedlich: von Unverständnis bis hin zu 'Was willst du denn damit?' oder so. Dass nicht jeder diesen Weg nachvollziehen kann, ist aber auch klar. Dafür sind wir einfach dann doch eine zu exotische Lebensform."
    Als angehender katholischer Priester gehört Maximilian Mihatsch zu einer Gruppe, die seit Jahren schrumpft. Die aber eine zentrale Aufgabe in der Kirche hat. Und die trotz aller Säkularisierung die Gesellschaft mitprägt. Vielerorts erfüllt die Kirche soziale Funktionen: Kindergärten, Seniorentreffs, katholische Bildungswerke. Zu besonderen Momenten im Leben gehört in vielen Familien immer noch der Pfarrer: wenn jemand stirbt oder krank ist, an Weihnachten, zu Taufen oder Hochzeiten.
    "Ich möchte zu den Menschen bringen den Herrn, den ich in meinem Leben entdecken durfte. Dass ich erlöst bin, dass ich sozusagen nicht in dieser Welt begrenzt bin, sondern dass mein Weg weitergeht", sagt Maximilian Mihatsch.
    Maximilian Mihatsch (22) ist seit April 2014 im Priesterseminar in München
    Maximilian Mihatsch (22) ist seit April 2014 im Priesterseminar in München (Burkhard Schäfers)
    Was aber, wenn es kaum noch Männer gibt, die Priester werden wollen? Schon heute ist das System gehörig in Schieflage: Als Antwort auf den Priestermangel legt die Kirche ihre Gemeinden zu immer größeren Einheiten zusammen. Sonntags hetzen die Pfarrer von einem Gottesdienst zum nächsten. Zugleich sinkt die Zahl der Neugeweihten weiter. Vor zehn Jahren meldeten die deutschen Bistümer erstmals weniger als 100 Neupriester. Zuletzt schwankten die Zahlen zwischen 60 und 80 Neugeweihten jährlich - und das bei 23 Millionen Katholiken. In den Bistümern Mainz und Osnabrück gab es 2017 überhaupt keine neuen Priester. In ganz Deutschland sank die Zahl der Priester in den vergangenen 20 Jahren um mehr als ein Viertel. Kann es sich die Kirche da leisten, was den Nachwuchs angeht, wählerisch zu sein?
    "Soweit ich Einblick habe, besteht tatsächlich augenblicklich wieder die Gefahr, dass man nicht genauer hinschaut, ob die Betreffenden wirklich die Voraussetzungen erfüllen, die man an jemanden legt, den man zum Priester weiht", sagt Wunibald Müller, Autor, Theologe und Psychotherapeut.
    "Es gibt ja Fälle, was die politische Gesinnung angeht, wo man oft nicht so genau hinguckt. Es gibt aber auch dieses klerikale Gehabe. Und ich glaube gerade, was die Persönlichkeit, die Fähigkeit der Kommunikation betrifft, dass man auf das weniger Wert legt, als das in den vergangenen Jahren der Fall war."
    "Ich habe zu oft erlebt, dass die Person einen Zentimeter über dem Boden schwebt"
    Wunibald Müller war Mitbegründer und jahrzehntelang Leiter des katholischen Recollectio-Hauses im fränkischen Münsterschwarzach. Dort behandelte er Seelsorger mit psychischen Problemen: Depressionen, Sucht, Narzissmus, sexuelle Störungen. Als im Jahr 2010 der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche öffentlich wurde, rückte Müllers Präventionsarbeit stärker in den Fokus. Unterdessen hat die Kirche verschiedene Instrumente entwickelt, um sexuellen Missbrauch zu verhindern und aufzuklären. Aber gilt das - angesichts des Priestermangels - auch für andere Probleme? Geistliche, die rassistisches Gedankengut hegen. Seelsorger, denen der Katechismus näher ist als die Menschen. Pfarrer, die scharenweise engagierte Gläubige vergraulen.
    "Wenn jemand Pfarrer ist, das ist ja eine solche gefestigte Position, auch kirchenrechtlich. Der muss silberne Löffel gestohlen haben, damit man ihn los wird", sagt Wunibald Müller.
    "Ich hab zu oft erlebt, dass da mit verklärtem Blick von einer Berufung die Rede ist, und schon schwebt die Person so einen Zentimeter überm Boden. Und dem ist dann so schwer beizukommen", erzählt Gerhard Hueck, Pastoralreferent im Erzbistum München und Freising.
    Der Theologe berichtet von Fällen, in denen Selbst- und Außenwahrnehmung nicht zusammenpassten: Ein Pfarrer, verantwortlich für 6.000 Gläubige und Chef von über 20 Mitarbeitern, habe keinen Wert auf sein Äußeres gelegt und direkten Blickkontakt stets vermieden, sagt Gerhard Hueck.
    Gerhard Hueck ist Pastoralreferent im Erzbistum München und Freising
    Gerhard Hueck ist Pastoralreferent im Erzbistum München und Freising (Burkhard Schäfers)
    "Ich hab in dem Fall mal den Vergleich gezogen: Lassen wir mal die Kirche draußen, reden wir mal vom Finanzamt. Wäre der Herr Sowieso Leiter der Behörde, Abteilungsleiter oder normaler Sachbearbeiter? Und dann sagte ein Gegenüber, er wäre Sachbearbeiter ohne Publikumsverkehr - weil: Er kann einem ja nicht mal in die Augen schauen."
    Strenge Anforderungen: "Erfüllen tut das praktisch niemand"
    Priester sein - das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Auch formal sind die Anforderungen an werdende Priester hoch.
    "Da kenn ich so ein paar Papiere, da steht viel drin, und erfüllen tut es praktisch niemand. Ich kann auch jetzt über die Regenten nicht befinden, aber teilweise frag ich mich schon, wo schauen sie hin?", sagt Hueck.
    "Wir arbeiten mit denen, die zu uns kommen. Und dann ist es entscheidend hinzuschauen: Ist grundsätzlich die Frage, dass jemand Priester werden kann geklärt? Ist damit zu rechnen, dass das in der Gemeinde gut geht?", fragt Hartmut Niehues - Ausbilder, Regens des Priesterseminars im Bistum Münster und Vorsitzender der Deutschen Regentenkonferenz.
    Er sagt: "Wir arbeiten mit verschiedenen Dimensionen in der Ausbildung. Da ist die menschliche Reife eine erste und wichtige grundlegende und wichtige Dimension. Da ist dann die theologische Qualifikation, das geistliche Leben und schließlich die pastoralpraktische Befähigung eine wichtige Dimension. Was wir brauchen, sind junge Männer, die bereit sind, sich einzulassen auf andere Menschen, die kommunikativ fähig sind, die kritikfähig sind. Teamfähigkeit ist ein ganz wichtiges Stichwort heutzutage."
    Der Vatikan und die jeweiligen nationalen Bischofskonferenzen legen fest, wer Priester werden kann und wie die Ausbildung abläuft. Ist die katholische Kirche bei der Zulassung zu großzügig, weil Alternativen fehlen? Hartmut Niehues sieht das nicht so. Angehende Seelsorger würden - neben der fachlichen Ausbildung - intensiv psychologisch begleitet.
    "Wir haben schon im Aufnahmeverfahren eine Evaluation der psychosozialen Kompetenzen. Es gibt ein Gespräch, das der Interessent bei uns mit dem Chefarzt für Psychiatrie und Psychosomatik führt. Und aus dem Ergebnis des Gesprächs versuche ich dann - wiederum im Gespräch mit dem Seminaristen - zu eruieren, welche Hilfsmaßnahmen gibt es, die wir im Rahmen der Ausbildung besonders in den Blick nehmen müssen. Und wo wir möglicherweise tatsächlich Hilfestellung geben können", sagt Hartmut Niehaus.
    Beispiel 1: Der Antisemit
    Die katholische Kirche gibt sich also selbst strenge Auswahlkriterien. Warum aber weihen die deutschen Bischöfe doch immer wieder Männer, bei denen fragwürdig erscheint, ob sie die Vorgaben erfüllen?
    Schild am Eingang des Priesterseminars in Würzburg.
    Schild am Eingang des Priesterseminars in Würzburg. (picture alliance/ dpa/ Daniel Peter)
    Ein Beispiel: Vor viereinhalb Jahren fliegen zwei Kandidaten aus dem Priesterseminar in Würzburg. Sie sollen judenfeindliche Witze erzählt, im Bierkeller Adolf Hitler imitiert und rechte Musik gehört haben. Zwei Jahre später wird einer der beiden wieder in ein Priesterseminar aufgenommen, diesmal im Bistum Eichstätt. Inzwischen hat ihn der dortige Bischof Gregor Maria Hanke zum Diakon geweiht - und will ihn nach jetzigem Stand in diesem Frühjahr zum Priester weihen. Ein Eklat, der dem Ruf der Kirche schadet und das christlich-jüdische Verhältnis belastet. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, zeigte sich vor einigen Monaten im Deutschlandfunk erzürnt:
    "Man sollte bei der Frage ihres Gedankengutes prüfen, inwieweit sie dazu geeignet sind, um andere Menschen zu führen. Denn was so von der Kanzel über Jahrhunderte gepredigt wurde, gerade im Verhältnis von Christentum zu Judentum, und zu welchen Folgen dies geführt hat, das sollte man bei all solchen Entscheidungen unbedingt mit im Auge behalten."
    Tut die katholische Kirche alles, um zu verhindern, dass Menschen mit antisemitischem Gedankengut Priester werden? In Eichstätt finden sie: Der junge Mann habe sich bewährt und eine zweite Chance verdient. Aus Sicht von Josef Schuster indes hat die Kirche Vertrauen verspielt.
    Er sagt: "Mir drängt sich der Eindruck auf: Die katholische Kirche hat einen Priestermangel. Und ich weiß nicht, ob es wirklich richtig ist, dass der Zweck hier jede Mittel heiligt."
    Beispiel 2: Der Narzisst
    Ein weiteres Beispiel aus einem Pfarreiverband in Süddeutschland. Auf den ersten Blick wirkt der Pfarrer umgänglich. Wer allerdings regelmäßig mit ihm zu tun hat, merkt bald: Hier geht es weniger um Fragen, die die Gläubigen beschäftigen. Nicht um ihre Ideen von Kirche. Vielmehr stehen die Vorstellungen des Pfarrers im Mittelpunkt. Eine frühere Pastoralreferentin berichtet (aufgrund ihrer jetzigen Tätigkeit möchte sie anonym bleiben):
    "Er weiß, wo es langgeht. Die Leute in der Gemeinde sind dazu da, dass sie ihm helfen. Natürlich erlebt er auch Widerstand. Und dann teilt er ein in seine Unterstützer und die, die ihn nicht unterstützen. Ich habe den Eindruck, er reduziert die Menschen darauf."
    Offenbar stößt der Geistliche immer wieder Menschen vor den Kopf: Leute die ein Anliegen haben, engagierte Gemeindemitglieder, Mitarbeiter. Obwohl die gesamte Firmvorbereitung in den Händen der ehemaligen Pastoralreferentin lag, war diese im festlichen Firmgottesdienst plötzlich nicht mehr gefragt:
    "Alles was ich schlussendlich durfte, war vor dem Einzug für Ruhe zu sorgen. Den Rest hat der Pfarrer gemacht. Ob ich im Gottesdienst da bin oder nicht, spielte keine Rolle."
    Ein kleiner Junge gähnt am Samstag  im Priesterseminar der Piusbruderschaft in Zaitzkofen  während der Priesterweihe zwischen Geistlichen.  Foto: Armin Weigel / dpa
    Priesterweihe der Piusbruderschaft (dpa / Armin Weigel)
    Oder der Dialog mit denen, die sich in ihrer Freizeit für die Kirche engagieren: Als vor einiger Zeit die zwei Gemeinden, in denen der Pfarrer tätig ist, fusioniert wurden, mussten die Pfarrgemeinderäte etliche Fragen diskutieren: Wie arbeiten wir künftig zusammen? Inwiefern ändern sich die Gottesdienstzeiten? Wie werden die Ehrenamtlichen unterstützt?
    Die ehemalige Pastoralreferentin sagt: "Natürlich hat der Pfarrer die Letztentscheidung. Aber nach dem Statut muss er die Pfarrgemeinderäte hören. Bloß, er hat seine Entscheidung schon getroffen, und nach stunden-, tage-, manchmal monatelangen Diskussionen in den Gremien kommt es dann doch so, wie er es will."
    Der Ärger entlud sich schließlich in einem Brief der Pfarrgemeinderäte an die Bistumsverwaltung. Die habe dem Pfarrer nahegelegt, die Gemeinde zu wechseln. Das aber habe dieser abgelehnt, berichtet die Pastoralreferentin. Also blieb alles beim Alten. Die lapidare Reaktion des Personalchefs des Bistums: "Wir kennen das schon, wir wissen, dass dieser Pfarrer schwierig ist."
    Die Bilanz der Betroffenen: "Das ist es, was mich bei den Personalverantwortlichen stört: Wie jemand mit Menschen umgeht, scheint keine große Rolle zu spielen. Trotz schlechter Erfahrungen an anderen Orten bekam der Pfarrer wieder eine Leitungsstelle. Die Personalnot ist wohl einfach zu groß."
    "Das rührt an die Grundstruktur unserer Kirche"
    So groß, dass die Kirche letztlich jeden braucht - egal wie er sich verhält? Priesterausbilder Hartmut Niehues, der Vorsitzende der Deutschen Regentenkonferenz, blickt sorgenvoll auf die sinkende Zahl der Neupriester.
    Das Foto vom 05.12.2015 zeigt acht Männer bei ihrer Weihe zum Diakon in Teublitz (Bayern).
    Das Foto vom 05.12.2015 zeigt acht Männer bei ihrer Weihe zum Diakon in Teublitz (Bayern). (dpa/picture-alliance/Bistum Regensburg)
    "Das bereitet mir schlaflose Nächte", sagt er. "Wenn wir keine Priester mehr haben, dann bedeutet das, dass wir von der sakramentalen Struktur unserer Kirche - ich will nicht sagen Abschied nehmen müssen - aber dass diese sakramentale Grundstruktur unserer Kirche mindestens in Frage steht."
    Schon vor knapp zwei Jahren sorgte Niehues für Aufsehen, als er sagte, das bisherige System sei am Ende. Zuletzt konnte sein Seminar in Münster nicht einmal ein Propädeutikum anbieten, weil sich nur vier Interessenten meldeten, aus den vier Diözesen Münster, Osnabrück, Aachen und Essen, die beim Einführungskurs ohnehin schon kooperieren.
    Treten nur noch die besonders Linientreuen ins Priesterseminar ein? "Dieser Eindruck, der womöglich in der Öffentlichkeit da ist, dass es so ein uniformes Bild von Priesterkandidaten gibt, dieser Eindruck ist verkehrt", sagt Hartmut Niehus. "Die Bandbreite ist wirklich sehr groß. Allein schon von der Altersstruktur her. Wir haben kirchenpolitisch welche, die sich auf der einen Seite oder auf der anderen Seite einordnen. Ganz unterschiedliche Leute, also da möchte ich wirklich sagen, die Vielfalt ist insofern auch gegeben."
    "Der Priester ist kein Eigenbrötler und Einsiedler"
    Im Münchner Priesterseminar haben sich 30 Leute zum Abendgebet in der Kapelle versammelt: Junge Männer, einige Theologie-Studentinnen, drei Ordensschwestern. Für Maximilian Mihatsch, den angehenden Priester, unterscheiden die Gebetszeiten das Priesterseminar von einem normalen Studentenwohnheim:
    "Eben dadurch, dass wir hier auf diesem geistlichen Weg sind, ist der Alltag dann doch ein großes Stück anders als bei einem Medizin- oder einem Jurastudenten. Bei uns hier im Haus ist natürlich der Anspruch, dass das geistliche Leben einen Großteil des Alltags auch einnimmt."
    Seine Hobbys hat der 22-Jährige nicht aufgegeben: als Bayern-Fan ins Stadion gehen, lesen, schafkopfen. Auf eines allerdings muss er mit Blick auf den Zölibat verzichten: auf die Beziehung.
    "Keine sexuelle Beziehung - auf jeden Fall. Aber nicht - keine Beziehung", erklärt Maximilian Mihatsch. "Der Priester ist kein Eigenbrötler und Einsiedler, sondern es ist ganz wichtig, dass er reichhaltige Beziehungen hat. Aber natürlich ist der Verzicht auf die Ehe ein sehr existenzieller Verzicht. Ich glaube, man kann das nur ehrlich und aus vollem Herzen bejahen, wenn man weiß, wozu man es macht."
    Der Psychotherapeut Wunibald Müller kritisiert den Pflichtzölibat: "Ich hab zu viele erlebt, die reiben sich ein ganzes Leben lang daran. Und die Kraft, die eigentlich da sein sollte für die Gemeinde, wird verbrannt durch das Aufreiben oder durch Notlösungen."
    "Servierte Suppe, Stoffservietten: So lebt ja sonst kein Student"
    Ein ehemaliger Seminarist erklärt sich bereit, einen Einblick in seine Priesterausbildung zu geben. Mit Blick auf seinen Arbeitgeber möchte er anonym bleiben (die Aussagen sind deshalb nachgesprochen). Was meint er zum Zölibat?
    "Ich bin mir nicht sicher, ob man in diesem Setting heute überhaupt eine solche Entscheidung treffen kann. Später, außerhalb des Seminars, ist man ja mit ganz anderen Anfechtungen konfrontiert. Diese Sonderwelt schützt sicherlich manche vor einer richtigen Auseinandersetzung mit den Folgen des Zölibats."
    Der frühere Seminarist hat noch mehr Fragen an die Priesterausbildung, etwa: Wie sehr schotten sich die angehenden Seelsorger ab? Verfestigen sich durch das homogene Umfeld - männlich, katholisch, theologisch-wissenschaftlich - vielleicht allzu schnell bestimmte Positionen, ein traditionelles Kirchenbild?
    "Das ist halt eine eigene Situation im Seminar. Es leben nur Männer zusammen, was ja nicht unseren heutigen Lebensgewohnheiten entspricht. Zudem die geschlossenen Mauern, da kann sich schon ein elitärer Zirkel ausbilden. Aber irgendwann muss man ja raus in die normale Welt."
    Unser Gesprächspartner hält es durchaus für angemessen, dass sich die Priesterausbildung von anderen Ausbildungswegen unterscheidet. Das jetzige Modell allerdings stellt er in Frage - spricht von der "Laborsituation Priesterseminar". Hohe Gewölbe, lange, leere Gänge, eine manchmal fast unheimliche Stille: Wie wirkt so ein Priesterseminar auf Außenstehende?
    Er erzählt: "Am Sonntagmittag, Punkt zwölf am gedeckten Tisch mit weißen Tischdecken und Stoffservietten zu sitzen, ein Menu mit Suppe, Hauptgericht und Nachtisch serviert zu bekommen, so lebt sonst ja kein Student. Die feste Tagesstruktur, die Ausstattung, das Lebensgefühl, das kann schon viele abschrecken. Und im Gegenzug die anziehen, die leben wollen wie unsere Großeltern. Oder diejenigen, die von der komplexen Welt überfordert sind und klare Strukturen brauchen."
    "Diese starre Festlegung, die kann ich nicht so erkennen", sagt Michael Maas, Direktor des Zentrums für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz.
    "Das ist auch so etwas, was auch abschrecken soll, wenn's heißt, die leben da in einem ganz anderen Leben, in einer ganz anderen Welt. Ja sicher, sonst hat man wahrscheinlich nicht jeden Tag eine Messfeier und hat Gebetszeiten in dieser Gemeinschaftsform. Aber ich kann tatsächlich keine besonderen Merkwürdigkeiten erkennen."
    Weniger Glauben, weniger Priester
    Michael Maas ist so etwas wie der Markenbotschafter der Bischöfe in Sachen Nachwuchsgewinnung. Er nennt andere Ursachen dafür, dass kaum noch Männer in die Priesterseminare eintreten:
    "Man sieht, dass es leider einen ganz breiten Rückgang des Glaubens in Deutschland gibt. Und dass es logischerweise dann am Ende auch weniger Priester geben wird."
    Leere Kirchenbänke, leere Priesterseminare - das hat Folgen für die Ausbildung. Gibt es in einem Bistum zu wenig Studenten, muss sich der Bischof überlegen, wie lange er das Priesterseminar am Leben erhalten kann. Aus dem Vatikan kam zuletzt die Empfehlung, Seminare mit weniger als 17 bis 20 Kandidaten zu schließen.
    "Ich denke, dass es darauf hinauslaufen wird, dass es Konzentrationen geben wird an mehreren Orten", sagt Michael Maas. "Das ist aber natürlich immer auch eine sehr schmerzhafte Sache für eine Diözese, weil es nicht umsonst heißt, dass das Priesterseminar auch das Herz der Diözese ist. Und das reißt man nicht so leicht raus."
    Der Schmerz ist groß bei den Verantwortlichen. Wo aber sind die konkreten Ideen, um den Abwärtstrend zu stoppen oder umzudrehen? Ratlosigkeit macht sich breit.
    Und was ist mit dem Verdacht, dass die Kirche angesichts der niedrigen Bewerberzahl bei der Zulassung zum Priesteramt nicht so genau hinschaut? Michael Maas versichert:
    "Sie kann an der Stelle keine Kompromisse machen. Denn wenn dann jemand Priester wird, der diese Fähigkeiten, die man braucht als Priester, nicht erfüllt, dann wird dadurch so viel kaputt gemacht, dass das viel schlimmer ist, als dann einen Priester am Ende mehr oder weniger zu haben."