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Priesternachwuchs
Beten bringt mehr Klicks als Sex

Eine junge, kirchenferne Journalistin begleitet ein ganzes Jahr lang einen Kaplan durch seinen Alltag und bloggt darüber. Jetzt ist das Projekt "Valerie und der Priester" zu Ende. Die Medienresonanz war groß, Seelsorger Franziskus hat viele neue Fans - und blieb doch in einer katholischen Sonderwelt.

Von Matthias Alexander Schmidt | 23.05.2017
    Die Berliner Journalistin Valerie Schönian und der Priester Franziskus von Boeselager stehen am 08.12.2016 in der St. Pantaleon Kirche in Münster-Roxel. (Bild: dpa / Guido Kirchner)
    Valerie Schönian und Franziskus von Boeselager (dpa / Guido Kirchner)
    "Die katholische Kirche hat viele Regeln. Bei vielen geht es dabei um das Beten. Wann, wie oft, mit welchem Text und welcher Haltung. Ich will mit Franziskus über das Beten sprechen. Will ihn fragen, warum er das macht. Und will mit ihm darüber reden, was es bringt, wenn viele Gebete doch sowieso nicht erhört werden. Wenn trotz allen Betens täglich Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa sterben ..."
    Beten ist wichtiger als Sex - jedenfalls, wenn man nach den Klickzahlen der Videos im YouTube-Kanal von "Valerie und der Priester" geht: "Beten - Was bringt das" hat rund 12.000 Aufrufe, "Nie wieder Sex" nur 10000. Nur wenige inhaltlich anspruchsvolle YouTube-Videos, für die die katholische Kirche in Deutschland verantwortlich zeichnet, können so viele Aufrufe vorweisen.
    Ein glückliches Leben als Priester
    Erik Flügge, Ideengeber des Projekts, ist mit der Reichweite zufrieden. Besonders freut ihn, dass viele ausdrücklich nicht-kirchliche Medien über das Projekt berichtet haben, teilweise sogar auf der Titelseite. Die wichtigste Zielgruppe des Projekts war, laut Flügge, das Umfeld von jungen Männern, die gerne Priester werden möchten:
    "Menschen, die im gleichen Alter sind wie potenzielle Priesteramtskandidierende und die ein Gefühl dafür kriegen sollen, dass man als Priester auch ein glückliches Leben leben kann."
    "Ich bin immer weiter auf der Suche nach Gott"
    Als Valerie und der Priester im Mai 2016 startete, hatte Stefan Salzmann aus dem Bistum Limburg gerade die Priesterweihe hinter sich. Der 36-jährige findet, dass das Projekt den Beruf "katholischer Priester" authentisch darstellt, etwa die langen Arbeitstage und vielen Aufgaben neben der Messe. Gut sei: Franziskus wirke, wie viele Kapläne, jugendlich und habe keine Berührungsängste mit normalen Menschen. Allerdings seien seine Antworten auf theologische Fragen und seine Meinungen zu strittigen Kirchenthemen oft zu eindeutig:
    "Zu selbstsicher - zu sehr, ich würde fast sagen, die lehramtliche Keule schwingend. Natürlich haben wir als Kapläne, als Priester, das Lehramt der Kirche studiert und das ist in Fleisch und Blut übergegangen. Trotzdem habe ich ja auch noch nach der Priesterweihe meine Anfragen und Zweifel und bin immer noch weiter auf der Suche nach Gott. Das kommt mir irgendwie nicht genügend raus."
    Katechismus um die Ohren
    Erik Flügge sagt: "Franziskus ist ein sehr frommer Priester, der sehr viel Kraft im Gebet sucht, der sehr wenig Kraft in universitärer Auseinandersetzung mit Theologie sucht, sondern der einfach sehr gläubig ist und, glaube ich, auch ein sehr guter Seelsorger ist."
    Das spiegelt sich auch in den Reaktionen der Follower des Projekts in den sozialen Netzwerken wider. In den Kommentaren outen sich viele als Franziskus-Fans. Nach liberaleren Gläubigen oder gar der Kirche fern stehenden sucht man vergeblich. Am Anfang des Projekts, habe in den Social Media tatsächlich noch eine Begegnung stattgefunden …
    "... zwischen sehr katholischen Menschen und sehr unkatholischen Menschen. Und aus diesem öffentlichen Diskurs haben die unkatholischen Menschen sich zurückgezogen, was auch dran liegt, dass relativ viele von den Kommentierenden, die sehr katholisch waren, den anderen immer den Katechismus um die Ohren gehauen haben und dann Links auf irgendwelche vatikanischen Papiere", sagt Erik Flügge.
    Der Blog als Übersetzung zwischen zwei Welten
    Daraufhin hätten sich die nicht-katholischen Menschen eher in privaten Nachrichten gemeldet. Die Rückmeldungen waren wichtig für sie, sagt die Protagonistin, Valerie Schönian:
    "Mir haben auch viele Katholiken geschrieben, dass sie das ihren Freunden weitergeschickt haben, die eher kirchenfern sind, damit die mal so verstehen, was sie eigentlich glauben und was eigentlich mit ihnen los ist. Ich glaube daher schon, dass der Blog eine Übersetzungsleistung gebracht hat zwischen zwei Welten."
    Erik Flügge erzählt: "Unter jungen Katholiken kennt fast jeder dieses Projekt. Es ist aber auch so, dass Valerie Schönian abends in einem Kellerclub in Berlin auf der Tanzfläche angesprochen wird, ob sie nicht diese Valerie von Valerie und der Priester sei."
    Besonders die 18- bis 35-Jährigen hätten die Facebook-Seite des Projekts genutzt und positive Rückmeldungen gegeben, sagt Michael Maas, Leiter des Freiburger Zentrums für Berufungspastoral, der Auftraggeber des Projekts. Aktive Katholiken hätten ihm außerdem erzählt, dass ihre kirchenfernen Freunde sie auf "Valerie und der Priester" angesprochen haben:
    "Ja wir haben da ein Interview gelesen oder was mitbekommen zum Thema Gebet. Und jetzt wollen wir mal von Dir wissen, wie ist denn das eigentlich, Du bist doch katholisch. Und da habe ich natürlich gemerkt, dass es in die Tiefe gegangen ist auch nochmal. Die Leute haben nicht nur geklickt, sondern es hat auch 'Klick' gemacht."
    Menschen, die mit der Kirche wenig zu tun haben, erwarten von ihr eher selten Antworten auf religiöse und spirituelle Fragen. Auch Valerie bediente oft die – kirchlicherseits – sogenannten Reiz- und Randthemen:
    "Valerie: 'Wieso kann es denn nicht einfach Spaß sein?' - Franziskus: 'Natürlich soll Sex Spaß machen!' - Valerie: 'Wieso kann es denn nicht für sich stehen, aber es hat ja auch einen Selbstzweck? - Franziskus: 'Hört sich für mich ziemlich animalisch an, ehrlich gesagt ...'
    Valerie: Nie wieder Sex, das ist das erste, woran die meisten bei einem Priesterleben denken. Vermutlich, weil es sich keiner vorstellen kann ..."
    "Kein Verzicht, sondern ein Geschenk"
    Heinrich Némeczek hat keinen persönlichen Bezug zur Kirche, ist aber mit gläubigen Katholiken befreundet. Zufällig stieß er auf Valerie und der Priester, als einer seiner Freunde das YouTube-Video "Nie wieder Sex" auf Facebook teilte. Aufmachung und Titel des Projekts sagten ihm zu, inhaltlich war es ihm aber nicht innovativ genug:
    "Und es wirkt eben auf mich nicht stark pointiert genug. Es hätte mich sehr viel stärker gereizt, wenn die Reibung sehr viel stärker gewesen wäre. So wirkte es ja immer so, als würde da eben eine unbedarfte Person herantreten, die dann relativ triviale Ansichten zu der Angelegenheit hat und dann auch eben herantritt und den Priester fragt. Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Das interessiert mich nicht."
    Ihr sei es weniger um pointierte Kritik an der Kirche gegangen, sagt Valerie Schönian. Sie hatte mit ihren Fragen an den Priester etwas anderes im Sinn:
    "Für mich war das Ziel, einen Menschen zu verstehen. Wie man als jemand, der alles hätte machen können, sich dafür entscheidet, Priester zu werden, sich also für ein Leben in Verzicht entscheidet, ohne Frau, ohne freie Sonntage, ohne Sex. Ich würde jetzt einfach sagen, ich hab es schon verstanden: Dieses Leben ist für Franziskus kein Verzicht, sondern ein Geschenk - es gibt für ihn kein besseres Leben als dieses. Über diese Länge des Projekts war es eben möglich, dass das auch bei mir ankommt, dass diese Entscheidung keine irrationale ist aus seiner Perspektive."
    Priester Franziskus von Boeselager steht am 08.12.2016 neben der St. Pantaleon Kirche in Münster-Roxel. (Bild: dpa / Guido Kirchner)
    Franziskus von Boeselager: "Da habe ich einiges gelernt" (dpa / Guido Kirchner)
    Franziskus von Boeselager wollte sich nicht von Blog, Videos oder Facebook in seinem Verhalten und seinen Antworten beeinflussen lassen. Daher hat er erst ganz am Schluss den Blog gelesen und die Videos angeschaut. Seine Perspektive habe sich durch Valeries Fragen geweitet, resümiert er im letzten Video des Projekts:
    "Auf verschiedenen Ebenen wurde ich sensibilisiert, in der Art und Weise, wie wir verkündigen in der Kirche, um die frohe Botschaft weiterzugeben. Welche Sprache sprechen wir? Wie weit ist das verständlich? Und welche Mittel verwenden wir dafür? Dinge, die zu ihrer Welt gehören - Vegetarismus, Feminismus, bestimmte politische Ansichten - da hab ich sicher einiges gelernt und relativiert, würde es anders definieren als vorher."