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Primor: Auch Israel trägt Verantwortung für Ausschreitungen in Ägypten

Nach den Angriffen auf die israelische Botschaft in Kairo betont Avi Primor: "Wenn wir weiter neue Siedlungen bauen und wenn wir zu echten, ehrlichen Verhandlungen nicht bereit sind, obwohl unsere Regierung es anders behauptet, dann natürlich tragen auch wir eine Verantwortung".

Avi Primor im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.09.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu, sie befindet sich derzeit von mehreren Seiten unter Druck. Die Palästinenser schicken sich an, ihre Anerkennung durch die Vereinten Nationen zu erreichen. Türkeis Ministerpräsident Erdogan kündigt an, Schiffe mit Hilfslieferungen für den Gazastreifen künftig durch die Marine eskortieren zu lassen. Und in Kairo stürmen gewaltbereite Demonstranten die Räume der israelischen Vertretung. Der Botschafter, seine Familie und Mitarbeiter konnten nur mit knapper Not dem Mob entgehen. Außenminister Guido Westerwelle befindet sich derzeit in der Region und kam zunächst in Amman mit Palästinenserpräsident Abbas zusammen, wenige Tage bevor der die Aufnahme Palästinas in die UNO beantragen will.

    Ich hatte die Gelegenheit, vor knapp einer Stunde mit Avi Primor zu sprechen, dem ehemaligen Botschafter Israels in Deutschland. Meine erste Frage an ihn: Wenn israelische Einrichtungen gestürmt werden oder israelische Flaggen brennen, wie jetzt am Wochenende in Kairo, dann wird schnell die Frage nach der Verantwortung der israelischen Regierung dafür gestellt. Ob er das für angemessen hält?

    Avi Primor: Ich glaube, dass man damit rechnen muss. Es gab ja Probleme mit unserer Politik, die dafür verantwortlich sind, dass die Massen in der arabischen Welt so gegen Israel aufgewühlt sind. Das ist ja kein Zufall und das hat ja damit zu tun, dass selbst, als die ägyptische Regierung den Frieden mit Israel schließen wollte und ihn aufrecht erhalten wollte und immer noch will, damit rechnen musste, dass die öffentliche Meinung dem nicht zustimmt, und das hat mit der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern zu tun. Das ist eine Grundlage in dem Nahen Osten.

    Heckmann: Die Regierung Netanjahu, die hat ja in den letzten Monaten, in den letzten Jahren in der Tat einen Hardliner-Kurs verfolgt. Bei der Lösung des Konflikts mit den Palästinensern geht es keinen Schritt vorwärts, und auch eine Entschuldigung für die neuen toten Türken beim Militäreinsatz gegen diese sogenannte Gaza-Hilfsflotte, die ist ausgeblieben. Also die israelische Regierung trägt aus Ihrer Sicht eine Mitverantwortung für die Eskalation der Lage?

    Primor: Ich glaube schon, obwohl ich nicht glaube, dass die Türken so sauber sind. Die Türken haben ja diese gewalttätigen Demonstranten in unsere Richtung geschickt, das war eine Provokation. Ich glaube nicht, dass wir so reagieren sollten, wie wir reagiert haben. Und auch mit den Palästinensern, wie Sie sagen. Wenn wir weiter neue Siedlungen bauen und wenn wir zu echten, ehrlichen Verhandlungen nicht bereit sind, obwohl unsere Regierung es anders behauptet, dann natürlich tragen auch wir eine Verantwortung. Aber die andere Seite ist ja auch nicht viel besser. Dass der Mob in Ägypten unsere Botschaft so stürmen kann, ohne dass die Streitkräfte intervenieren, ist ja auch etwas nicht ganz Normales.

    Heckmann: Das heißt, Sie vermuten dahinter auch, dass der politische Wille der derzeitigen Militärregierung nicht so stark ausgeprägt gewesen ist, das zu verhindern?

    Primor: Nein, das meine ich nicht. Ich glaube nur, dass die Regierung in Ägypten Angst vor dem Mob hat, dass die Regierung unsicher ist, dass die Streitkräfte bis heute halten konnten, weil sie keine Konfrontationen mit den Demonstranten erlaubt hatten, und sie fürchten sich davor. Das ist die Schwäche der Regierung, nicht der Wille.

    Heckmann: Erdogan, der türkische Ministerpräsident, hat angekündigt, Kriegsschiffe in das östliche Mittelmeer zu entsenden, um weitere Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu schützen, zu eskortieren. In Ägypten wird immer lauter die Forderung gestellt, den Friedensvertrag mit Israel zu kündigen. Ist aus Ihrer Sicht die Kriegsgefahr in der Region gewachsen?

    Primor: Ich glaube nicht, dass Erdogan tatsächlich es ernst meint. Er hat den Amerikanern auch gesagt, dass man ihn nicht wirklich verstanden hat. Er schickt noch keine Kriegsschiffe. Außerdem: Diese Hilfe für den Gazastreifen ist ja auch nur eine politische Ausrede. Der Gazastreifen bekommt ja alles, was er braucht, heute aus Ägypten. Die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist offen, und die Tunnels funktionieren auch noch weiter. Darum geht es gar nicht. Das ist eine politische Frage und nicht die Frage der Annäherung der Bevölkerung.

    Ich glaube auch nicht, dass Ägypten heute im Stande ist, Krieg zu entfesseln. Das wäre ganz fürchterlich für das ägyptische Interesse, und deshalb will ja auch die ägyptische Regierung und die ägyptische Armee den Frieden mit Israel aufrecht erhalten. Syrien ist ja auch gar nicht im Stande, Krieg zu entfesseln. Also diese ganze Lage sieht gar nicht wie Krieg aus. Aber Turbolenzen und politische Schwierigkeiten gibt es sehr viele. Darüber hinaus steht noch bevor der Antrag der Palästinenser vor den Vereinten Nationen, und keiner weiß, was daraus werden wird und wie die Bevölkerung danach reagieren wird.

    Heckmann: Genau! Das wollen die Palästinenser ja noch im September erreichen, die Aufnahme in die UNO und damit auch die Akzeptanz eines eigenen Staates. Denken Sie, dass sich die Palästinenser von diesem Plan, von diesem Vorhaben noch werden abbringen lassen?

    Primor: Die Palästinenser haben Hemmungen und Zweifel daran. Sie wissen, dass wenn sie das tun, dann werden sie große Schwierigkeiten mit den Vereinigten Staaten haben. Sie werden wahrscheinlich die finanzielle Hilfe der Amerikaner verlieren wegen des amerikanischen Kongresses, in dem die Republikaner die Mehrheit haben. Darüber hinaus wissen sie ganz genau, dass eine Anerkennung eines Palästinenserstaates von der Vollversammlung der UNO vor Ort nichts ändern wird, und das wird in der palästinensischen Bevölkerung zu großen Frustrationen führen, die sich auch gegen die eigene Regierung richten können. Also die haben schon Hemmungen.

    Allerdings möchte ich noch hinzufügen: Es geht ja nicht darum, Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen zu werden, weil das durch den Weltsicherheitsrat gehen muss. Und da werden die Amerikaner ihr Vetorecht in Anspruch nehmen. Das haben sie schon verkündet. Es geht nur um die Anerkennung des Prinzips eines Palästinenserstaates, und das könnte schon zu Schwierigkeiten für die Palästinenser führen.

    Heckmann: Aber wie groß, Herr Primor, ist die Gefahr, dass Israel und auch die USA weitere Sympathien in der Welt gerade dort in der Region verspielen, wenn die USA ihr Veto einlegen?

    Primor: Ich glaube, dass Israel seine Beliebtheit weltweit schon längst verloren hat und weiter verliert, was es noch zu verlieren gibt, wegen unserer Politik, und irgendwie rechnet die Regierung damit gar nicht, sie denkt nur an die Innenpolitik, sie denkt nur an die Koalition und an die Rechtsextremisten in ihrer Koalition, die sie beibehalten will. Das ist fürchterlich. Ich glaube, wenn die Innenpolitik die Oberhand hat, dann sieht es eben so aus, wie es aussieht. Und die Amerikaner sind ja schwach, die Amerikaner sind heute machtlos. Ich glaube nicht, dass in Amerika sich etwas ändern wird vor den Präsidentenwahlen kommenden November, November 2012.

    Heckmann: Herr Primor, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

    Primor: Gerne!

    Weitere Berichte und Reportagen zur Situation in den arabischen Ländern finden Sie in unserem Sammelportal "Der arabische Aufstand".


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.