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Private Daten mit politischem Einfluss

Am 31. Mai veröffentlicht das Statistische Bundesamt die Ergebnisse der Volkszählung 2011. Wo werden künftig Schulen geschlossen, Altersheime eröffnet oder Universitäten stärker oder weniger bezuschusst? Der Zensus gibt die Richtung vor.

Von Falk Steiner | 30.05.2013
    Hat Ihre Wohnung eine Dusche? Sind Sie verpartnert, verheiratet, ledig, geschieden? Besitzen Sie ein Gebäude? Welcher Religion gehören Sie an?

    Diese und viele weitere Fragen sind es, die vor zwei Jahren die statistischen Ämter von Bund und Ländern jedem zehnten Deutschen und allen Gebäudebesitzern stellten. Morgen veröffentlicht das Statistische Bundesamt die ersten Ergebnisse des Zensus 2011.

    Der Zensus, die Volkszählung, das ist der Versuch, die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Fülle von Daten wie etwa zu Geschlecht, Wohnsituation oder Gebäudebesitz zu beschreiben.

    Ein Vierteljahrhundert ist die letzte derartige Inventur in Westdeutschland her, in Ostdeutschland sogar noch länger: Acht Jahre vor dem Fall der Mauer, im Jahr 1981, wurde dort das Volk zum letzten Mal durchgezählt. Seitdem mussten sich die Statistiker mit dem sogenannten Mikrozensus, der kleinen Volkszählung, begnügen – bei dem lediglich ein Prozent der Bevölkerung befragt wird.

    Sabine Bechtold ist Direktorin für Bevölkerung, Finanzen und Steuern beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, das die Deutschen inventarisiert:

    "Die Bevölkerungszahlen, die wir derzeit produzieren, die werden ermittelt, indem man Daten aus einer zurückliegenden Volkszählung nimmt und sie mit Daten über Bevölkerungsbewegungen, sprich Umzüge von einem Wohnort in einen anderen, oder Geburten und Sterbefälle, fortschreibt."

    In diesem Prozess summieren sich durch die Jahre kleinere Fehler – sodass aus ihnen größere werden. Davon ging der Bundestag aus, als er 2009 das Zensusgesetz begründete:

    Die amtliche Einwohnerzahl aus der Fortschreibung liegt nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes wohl um etwa 1,3 Millionen Menschen über der tatsächlichen Einwohnerzahl in Deutschland. Die seit der letzten Volkszählung fortgeschriebenen Wohnungszahlen sind vermutlich stark überhöht. Die Zahl der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer ist vermutlich um 500.000 bis 600.000 niedriger als nach der Bevölkerungsfortschreibung angenommen wird.

    Um solche Fehler der kleinen Erhebungen auszugleichen, benötigen die Statistiker Korrekturmessungen, erklärt Sabine Bechtold vom Statistischen Bundesamt.

    "Da ist es üblich, dass man alle zehn Jahre normalerweise einen Zensus durchführt, also eine Inventur, um dann mit diesen Zahlen neu in den Prozess der Fortschreibung zu starten."

    Ein Musterbogen für den Zensus 2011
    Ein Musterbogen für den Zensus 2011 (picture alliance / dpa)
    Basis für politische Entscheidungen
    Mit der Volkszählung 2011 beteiligt sich Deutschland erstmals an einer Zensusrunde, die in der gesamten EU ausgerichtet wird. Dabei ist allen Mitgliedsstaaten vorgegeben, welche Merkmale erhoben werden müssen, wie etwa die Wohnsituation und der Bildungsstand. Weitgehend selbst entscheiden dürfen die Staaten hingegen, nach welcher Methodik und an welchem Stichtag sie diese Merkmale erheben.

    Demografie, Bevölkerungsforschung, ist eine Grundlage für politisches Handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einige der Herausforderungen gleich zur Chefsache erklärt, wie sie beim Demografiegipfel der Bundesregierung Anfang Mai deutlich machte:

    "Wir haben zu schauen, dass wir mit ganz unterschiedlichen Situationen umgehen müssen. Wir haben Regionen, in denen gibt es Zuwachs und Zuzug, wir wissen das aus Süddeutschland zum Beispiel, aber auch aus lokalen Regionen in Sachsen, wo sehr viel junge Leute sind, wo sehr viele Kinder geboren werden. Wo man plötzlich sieht, dass die Schulklassen eher zu groß statt zu klein sind. Und wir haben an anderer Stelle Regionen, in denen sich die Bevölkerungsstruktur völlig verändert, in der sehr wenig Kinder sind."

    All das gilt als Gewissheit – oder wird als solche präsentiert. Aber was wissen die politischen Entscheider tatsächlich über die Bevölkerung?

    Daten beschreiben den Zustand unserer Gesellschaft und aus diesen Beschreibungen ziehen Politik und Verwaltung ihre Schlüsse. Je genauer die Daten, umso gerechter können diese Schlüsse sein, erklärt Sabine Bechtold vom Statistischen Bundesamt:

    "Das geht los beim Finanzausgleich, wo die Bevölkerungszahl der Länder, der Kommunen einfließt. Das geht hin zu den Wahlkreiseinteilungen: Die Größe der Wahlkreise hängt an der Bevölkerungszahl, der Anteil der Sitze im Bundestag hängt an der Bevölkerungszahl, auch die qualifizierte Mehrheit im EU-Abstimmungsverfahren hängt an der deutschen Bevölkerungszahl. Und das geht hin bis zu Beispielen wie die Bundeszuschüsse zum Straßenbau, wo auch die Bevölkerungszahl in die Berechnung einfließt."

    Es ist also nicht übertrieben, zu sagen, dass der Zensus die Frage mitbestimmt, wo Steuergelder eingesetzt werden und ob bei der Bundestagswahl am 22. September die Stimmen der Bürger gleich viel wert sind. Wo werden künftig Schulen geschlossen, Altersheime eröffnet oder Universitäten stärker oder weniger bezuschusst? Der Zensus gibt die Richtung vor.

    Gesellschaftliche Veränderungen lassen nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen ein Umdenken erforderlich werden. Auch kleinere und lebensnähere Dinge als das Rentensystem müssen überdacht werden. Wolfgang Schuster, Direktor des Instituts für Nachhaltige Stadtentwicklung und ehemaliger Stuttgarter Oberbürgermeister:

    "Es gibt Spielplätze, warum nicht für Ältere auch entsprechende Geräte aufstellen, dass man auch nicht nur zuschaut, wie die Enkelkinder klettern, sondern dass man sich auch selber mit einbringt."

    Doch noch ist die Gesellschaft auf solche neuen Anforderungen nicht vorbereitet, betont Heike von Lützow-Hohlbein, Vorsitzende der Alzheimergesellschaft:

    "Auf den meisten Spielplätzen steht drauf: nur für Kinder unter zwölf."

    Der Zensus soll der Politik die Grundlagen für ihre Entscheidungen liefern – vom feinen Kleinen in der Kommunalpolitik, wie eben dem Bau von Spielplätzen, aber auch dem von Klärwerken, Kanalisationen und Sozialwohnungen.

    Der Zensus soll aber auch Klarheit bringen im großen Ganzen der Europäischen Union. Deren Bildungs- und Energieversorgungsstrategie wird sich nach den neuen Zahlen ausrichten. Deshalb mussten die Mitgliedstaaten für Klarheit sorgen, wer und wie viele die Europäer eigentlich sind. Im Frühjahr 2014 müssen die Daten aller Länder nach Brüssel gemeldet werden.

    Der Migrationshintergrund wurde 2011 in Deutschland zum ersten Mal erhoben. Das könnte Überraschungen bergen. Denn es gibt keinen Vergleichswert aus vorangegangenen großen Volkszählungen. Sabine Bechtold vom Bundesamt für Statistik:

    "Wir haben den Migrationshintergrund, haben Angaben aus dem Mikrozensus, aber wir haben sie in der Tat noch nicht aus einem Zensus, aus der Volkszählung gehabt aus der Vergangenheit. Das haben wir jetzt flächendeckend in tiefer regionaler Gliederung, also für die einzelnen Gemeinden, erfasst erstmals. Aber wir sind nicht völlig unbeleckt, was die Bevölkerung mit Migrationshintergrund angeht, da wir ja im Mikrozensus seit einiger Zeit dieses Merkmal erheben. Und von daher, durchaus, wenn auch nicht für einzelne Gemeinden scharf, diese Angaben haben."

    Doch hier könnte das erste größere Problem für die Statistik liegen. Die Daten des Zensus wurden erhoben, als die südeuropäischen Länder die ersten Auswirkungen der Finanzkrise zu spüren bekamen. Mittlerweile haben viele, besonders junge, gut ausgebildete Menschen ihre Länder verlassen, um in den Ländern nördlich der Alpen Arbeit zu suchen. Über diese neuen Entwicklungen werden die Daten nur wenig Auskunft geben können.

    Demonstranten mit Transparenten in der Berliner Innenstadt protestieren gegen die geplante Volkszählung im Mai 1987
    Demonstranten mit Transparenten in der Berliner Innenstadt protestieren gegen die geplante Volkszählung im Mai 1987 (picture alliance / dpa)
    Massenprotest gegen Volkszählung 1983
    1983 erhitzte die Volkszählung die Gemüter. Die Bürger fürchteten, dass die öffentlichen Stellen die Volkszählung als Hintertür nutzen könnten, um einen etwas zu genauen Überblick über jeden einzelnen Bundesbürger zu erhalten. Kriegsdienstverweigerer, Schwule und Lesben, liberale Staatsskeptiker, sie alle einte eines: Sie wollten den 600.000 Zählern, die am 27. April 1983 ausrücken sollten, keine Auskünfte geben.

    Der Journalist Theo Sommer beschrieb 1983 in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" die Stimmung im Land:

    Es darf nicht der höchste Staatszweck werden, Dossiers über die Bürger anzulegen. Der demokratische Staat hat keinen Anspruch darauf, das per Fragebogen zu erfahren, was Eheleute einander verheimlichen. Er muss nicht wissen, ob einer von seiner Erstwohnung oder von seiner Zweitwohnung zur Arbeitsstätte fährt. Die Quadratmeterfläche unserer Toiletten geht ihn nichts an. Zur Freiheit gehört Freiraum.

    Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda:

    "Es ergeht in dieser Sache im Namen des Volkes folgendes Urteil: 1. Paragraph 2, Nr. 1 bis 7, sowie Paragrafen 1 bis 5 des Gesetzes über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung..."

    Einige Bürger zogen damals sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses setzte die Volkszählung zuerst vorläufig aus. Der Jubel war groß, als Ernst Benda, damals Präsident des Bundesverfassungsgerichts, am 15. Dezember 1983 dann verkündete:

    "Volkszählungsgesetz 1983, vom 25. März 1982, Bundesgesetzblatt I, Seite 369, sind mit dem Grundgesetz vereinbar, jedoch hat der Gesetzgeber nach Maßgabe der Gründe ergänzende Regelungen der Organisation und des Verfahrens der Volkszählung Sorge zu tragen. 2. Paragraf 9, Absatz 1 bis 3 des Volkszählungsgesetzes 1983 ist mit Artikel 2 Absatz 1, in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar – und nichtig."

    Das bedeutete: Bundestag und Bundesregierung wurden angewiesen, ihre Neugier an den Lebensverhältnissen der Bundesbürger zu zügeln. Nicht jedes Datum durfte erhoben werden und die Informationen durften nur für den Zweck des Zensus verwendet werden.

    Dennoch: Das Bundesverfassungsgericht befand die Volkszählung für grundsätzlich möglich – unter der Voraussetzung, dass sich der Gesetzgeber an die Vorgaben der Karlsruher Richter hielt.

    Das Karlsruher Urteil zur Volkszählung 1983 ist die Geburtsstunde des Datenschutzes deutscher Prägung. Die Richter stellten klar: Niemand soll in der Ausübung seiner Grundrechte behindert werden, weil er befürchten muss, beobachtet zu werden.

    Insbesondere dem Staat wurden hier Pflichten auferlegt, wie er mit den Daten der Bürger umzugehen hat. Denn allein der Staat kann die Bürger verpflichten, ihm Daten zu überlassen.
    Die damals verankerte informationelle Selbstbestimmung hat Auswirkungen bis heute, auch auf den Zensus 2011. Und zwar vorwiegend positive, findet Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte:

    "Also einmal ist es so dass der Gesetzgeber, aber auch die Stellen, die mit der Volkszählung beauftragt sind, gelernt haben. Das heißt, von vornherein hat man doch sehr viel stärker an Datenschutz gedacht, als dass vor 30 Jahren der Fall war. Und deshalb denke ich, ist auch schon viel von der Skepsis, die da damals noch vorhanden war, heute gar nicht mehr entstanden.""

    Heute sind die Datensammlungen oft umfangreicher als das, was der Staat 1983 von seinen Bürgern wissen wollte. Doch es sind vorwiegend private Datensammlungen. Daten, die Firmen wie Google, soziale Netzwerke wie Facebook oder die Schufa speichern. Diese Daten, so Schaar, sind oft wesentlich genauer und aussagekräftiger. Die Diskussion über solche privaten Datensammlungen ist derzeit in vollem Gange. Die Volkszählung werde von vielen Bürgern da schon nicht mehr als besonders bedrohlich wahrgenommen, erklärt der Bundesdatenschutzbeauftragte:

    "Da kommen also zwei Entwicklungen zusammen: Die Volkszählung ist eine Augenblicksaufnahme, während heute das permanente Datensammeln über alltägliche Lebensvorgänge, sei das mittels Videokamera, seien das Verkehrsdaten, also der Klickstream im Internet oder sonstige Information, die bei der Mobiltelefonie anfallen, eigentlich alltäglich ist."

    Der damalige BVerfG-Präsident Ernst Benda auf dem Weg zur Urteilsverkündung zur Volkszählung
    Der damalige BVerfG-Präsident Ernst Benda auf dem Weg zur Urteilsverkündung zur Volkszählung (AP)
    Daten dürfen nur für den Zensus verwendet werden
    Die Allgegenwärtigkeit der Datenverarbeitung auf der einen Seite, die Datenschutzdiskussionen und die Anpassung der Umstände der Volkszählung auf der anderen Seite: All das hielt die Proteste gegen die Volkszählung 2011 gering. Von Massendemonstrationen wie in den 1980er-Jahren war nichts zu sehen. Auch die Zahl der Verweigerer, denen Zwangsgelder angedroht wurden oder die sogar vollstreckt wurden, soll sich laut Statistischem Bundesamt in einer minimalen Größenordnung bewegen: weit unter einem Prozent der Befragten.

    Für die Chef-Statistikerin Sabine Bechtold liegt das auch am gewählten Verfahren:

    "Zum einen war es ja unser Ziel, dieses Mal einen Zensus durchzuführen, der die Bevölkerung deutlich weniger belastet. Wir haben eben nicht jeden Bürger angesprochen und um Auskunft gebeten, sondern zehn Prozent der Bevölkerung sind zur eigenen Person befragt worden. Und jeder Gebäudeeigentümer ist zu seinen Gebäuden und den darin befindlichen Wohnungen befragt worden, insgesamt werden es etwa ein Drittel der Bevölkerung gewesen sein, die einen Fragebogen bekommen haben und eben zwei Drittel nicht."

    Längst nicht mehr jeder ist also mit der Volkszählung in Berührung gekommen, sagt Sabine Bechtold. Zudem sei seit dem Urteil von 1983 bei Datenschutz und Datensicherheit viel passiert. Bestes Beispiel für sie: das sogenannte Statistikgeheimnis, das aus dem Volkszählungsurteil resultierte:

    "Dass nämlich Daten, die in die Statistik geliefert werden, entweder diese Melderegisterdaten, die wir diesmal genutzt haben, oder auch Befragungsdaten ausschließlich dafür verwendet werden dürfen, statistische Ergebnisse zu produzieren und niemals wieder zurück in die Verwaltung gehen."

    Welche staatlichen Stellen dürfen auf die Daten zugreifen? Genau diese Frage war einer der großen Streitpunkte in der Debatte um die Volkszählung 1983. Damals sollten die Daten aus der Volkszählung auch für andere behördliche Stellen zugänglich gemacht werden. In der aufgeheizten Stimmung der Bundesrepublik, die noch unter dem Eindruck des RAF-Terrors stand und in der 1980 das Wort "Rasterfahndung" zum Wort des Jahres gekürt wurde, schien die Befürchtung nicht unbegründet, dass die Datengier des Staates unendlich erschien.

    Genau das verhinderte das Urteil aus Karlsruhe – die Fachleute nennen es das "Rückspielverbot". Daten aus der Volkszählung dürfen nicht für andere Zwecke als ausschließlich für den Zensus verwendet werden. Nicht mehr die Daten des Einzelnen, sondern die aggregierten, die zusammengeführten Daten stehen heute im Mittelpunkt.

    Dabei ist es nicht mehr von Interesse, ob ein einzelner Befragter verheiratet ist – sondern wie viele Menschen in Deutschland in welchen Regionen verheiratet sind und ob es hieraus erkennbare Muster gibt. Auch für die Politik stehen diese Muster und Tendenzen im Mittelpunkt. Woher kommen die Zuwanderer, die in Deutschland heimisch geworden sind? Wie viel Wohnraum steht wo zur Verfügung? Und in welchen Branchen arbeiten die Deutschen eigentlich – sofern sie denn arbeiten? Der Gesetzgeber hat festgeschrieben, was der Zensus erfasst. Sabine Bechtold vom Statistischen Bundesamt:

    "Wir werden Daten auswerten, so wie sie uns von den Politikern auch erbeten sind an Auswertungswünschen. Wir werden Daten auch zur Verfügung stellen, auch in einer Auswertungsdatenbank, so dass auch politische Entscheidungsträger selber Daten auswerten können. Aber letztendlich sind statistische Daten kein Selbstzweck, sondern sie dienen dazu, politische Entscheidungen, eine Basis dafür zu bilden, damit die Politik weiß wie ist die Situation, was liegt an Entscheidungen an."

    Dass schon die abgefragten Daten auf politischem Interesse basieren, wird bereits an den Fragebögen deutlich. Immobilienbesitzer mussten dort unter anderem zur Art der Beheizung der Wohnung Auskunft geben. Dies ist etwa für die Energieversorgungsstrategie der Bundesrepublik relevant.

    Auch andere Ergebnisse des Zensus werden den Deutschen und ihren Politikern mehr Klarheit bringen. Etwa was die Religionszugehörigkeit betrifft: Zwar ist die Glaubensrichtung der Bundesbürger dem Staat bekannt - sofern diese den christlichen Glaubensgemeinschaften angehören. Denn für sie erhebt der Staat die Kirchensteuer.

    Doch wenn es beispielsweise um Muslime geht, tappt der Staat derzeit weitgehend im Dunkel. Der Islam kennt keine Kirchensteuer und ist in sich vielfältig. Der Fragebogen fragt nun nicht mehr nur nach christlicher, sondern auch nach sunnitischer, schiitischer und alevitischer Glaubensrichtung – genau wie nach Buddhismus, Hinduismus, Sonstigen oder eben: keiner Religion.

    Beim Zensus 2011 gehörte die Frage nach der Religion zu den wenigen Angaben, die freiwillig waren – für Deutschland nehmen Experten daher keinen Anstieg ungewöhnlicher Religionszugehörigkeiten an. Dennoch: Die Zugehörigkeit zu den Religionen wird einer der erkenntnisreichsten Punkte der Ergebnisse der Volkszählung 2011 sein. Denn dahinter verbirgt sich die Antwort auf gleich mehrere Fragen: Ist die Bundesrepublik, deren christliche Grundlagen einige Politiker gerne betonen, noch christlich? Ist der Islam in Deutschland angekommen, gehört dazu - wie es der damalige Bundespräsident Christian Wulff sagte? Der Zensus könnte hier Antworten geben.

    Nicht nur bei der Erfassung der Daten und ihrer Verarbeitung hat sich viel getan. Auch der Zugriff auf sie wird sich mit dem ersten Zensus des Internetzeitalters ändern, prognostiziert Sabine Bechtold. Eine öffentlich zugängliche Auswertungsdatenbank soll mit der Veröffentlichung der Zensus-Ergebnisse online gehen:

    "Da kann sich jeder Bürger selbst Daten analysieren, Daten anschauen, Tabellen herunterladen. Es gibt auch Datenbestände, größere Datenbestände, die man sich in gängigen Datenformaten herunterladen kann. Das heißt, diese Zensusdatenbanken sind kein Geheimwissen für irgendjemanden, sondern sind für alle Akteure der Gesellschaft zur Verfügung. Natürlich immer unter dem Siegel des Datenschutzes und des Statistikgeheimnisses. Einzeldaten werden sie daraus nie erkennen können, sondern immer nur zusammengefasste Daten, aber die stehen jedem zur Verfügung."

    Es ist mehr als nur ein Zufall, dass offizielle Stellen und Politiker das Wort Volkszählung vermeiden und viel lieber vom Zensus sprechen. Dabei wäre es zum ersten Mal in der Geschichte das zutreffende Wort: Die Ergebnisse der Volkszählung, sie gehören heute nicht mehr allein den Regierungen und ihren Verwaltungen. Die Ergebnisse der Zählung des Volkes werden auch der Bevölkerung erstmals wirklich zur Verfügung stehen.