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Pro Asyl zur EU-Flüchtlingspolitik
Afrikanische Länder sollen "für Europa die Drecksarbeit machen"

Der Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, kritisiert die Pläne der EU, in der Flüchtlingspolitik enger mit afrikanischen Ländern zusammenzuarbeiten. Es sei der Versuch, sich freizukaufen und andere Staaten aufzurüsten, sagte er im DLF. Von Europa gehe eine "Erosion der Menschenrechte" aus.

Günter Burkhardt im Gespräch mit Thielko Grieß | 29.06.2016
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl
    "Wir können als Europäer nicht die Augen davor schließen, dass wir in der Welt es mit Flucht zu tun haben und die Menschen Schutz brauchen", kritisierte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, im Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am Abend auf ihrem Treffen in Brüssel beschlossen, stärker mit Herkunfts- und Transitländern von Flüchtlingen besonders in Afrika zu kooperieren. Es sollen Anreize geschaffen werden, damit die Staaten Migranten zurücknehmen oder aufhalten.
    Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt betonte: "Jetzt soll die Entwicklungshilfe daran gekoppelt werden, dass die Empfängerländer bereit sind, für Europa die Drecksarbeit zu machen." Das sei moralisch inakzeptabel und untergrabe den Flüchtlingsschutz. Damit blieben zudem Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, in den Händen ihrer Verfolger.
    Burkhardt sprach von einer enthemmten Politik, die als Antwort auf wachsenden Rechtspopulismus und Nationalismus nur die Abschottung kenne. Das finde Nachahmer: So folge Kenia mit der Schließung des weltgrößten Flüchtlingslagers Dadaab dem Beispiel Europas.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Man könnte sagen, dass das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei den von der Bundesregierung anvisierten und vorgesehenen Zweck erfüllt. Die Zahlen der Flüchtlinge, die jetzt noch von der Türkei kommen und in Griechenland ankommen und damit die EU erreichen, die sind stark gesunken, auch wenn die Europäische Union nach wie vor kein Konzept dafür hat, wie die Flüchtlinge dann weiter zu verteilen sind, diejenigen, die doch noch ankommen. Das gehört alles zu dieser Wahrheit.
    Flüchtlinge kommen aber weiterhin auf anderen Routen, an anderen Küsten kommen sie an, aus nordafrikanischen Staaten, aus Ägypten, Libyen vor allem, dann über das Mittelmeer. Dann erreichen sie auch die Europäische Union. Die Grenzschützer der Europäischen Union von Frontex erklären, dass die Zahlen der Fliehenden Rekordhöhen erreichen, und sie rechnen mit Rekordzahlen auf dieser Route für das Mittelmeer auch in diesem Jahr. Allerdings gibt es Streit um diese Zahlen, denn die internationale Organisation für Migration, eine UNO-Organisation, widerspricht. Es gebe gar keine neuen Rekordhöhen.
    Über all das wollen wir jetzt sprechen mit Günter Burkhardt, dem Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl. Guten Morgen, Herr Burkhardt.
    Günter Burkhardt: Guten Morgen!
    "Ein Versagen der Europäischen Union angesichts der weltweit größten Flüchtlingskrise"
    Grieß: Vielleicht haben Sie ja eigene Erkenntnisse. Steigen die Zahlen im Mittelmeer oder nicht?
    Burkhardt: Wir haben zunächst einmal einen sehr dramatischen Rückgang der Zugangszahlen von Schutzsuchenden in Griechenland. Das sind vor allem Syrer, Iraker, Afghanen, die nicht mehr kommen können. Es gibt verzweifelte Menschen vor dem Tor Europas, die in der Türkei festsitzen, oder sogar in Syrien, weil die Türkei die Grenzen dicht gemacht hat. Das ist ein Versagen der Europäischen Union angesichts der weltweit größten Flüchtlingskrise.
    Grieß: Warum ist denn das dramatisch, Herr Burkhardt? Das war doch so gedacht, dass weniger Menschen kommen.
    Burkhardt: Weil wir ja die Situation haben, dass Menschen, die Schutz brauchen, schutzlos sind. Aus Griechenland wurde eine jesidische Familie in die Türkei zurückverfrachtet, die vorm IS-Terror geflohen ist, wo Angehörige tot sind, und die wurden in der Türkei in ein Gefängnis gesteckt und gezwungen, ihrer angeblichen freiwilligen Ausreise zuzustimmen. Die ist jetzt im Irak.
    Grieß: Ist das ein Einzelfall?
    Burkhardt: Ähnlich geht es mit Afghanen. Das heißt: Menschen, die Schutz brauchen, sind schutzlos, und das kritisiert Pro Asyl, das kritisieren alle Menschenrechtsorganisationen.
    "Das ist ein Verrat an den Menschenrechten"
    Grieß: Schauen wir aufs Mittelmeer, Herr Burkhardt, wenn Sie nichts dagegen haben. Warum sind denn diese Zahlen dort hoch und warum wachsen sie mutmaßlich?
    Burkhardt: Die Zahlen auf dem Mittelmeer sind in etwa so hoch wie im letzten Jahr, im zentralen Mittelmeer. Es ist zu erwarten, dass sie steigen, weil der Druck, etwa auf Syrer zu fliehen, hoch ist, und wer Geld hat, zahlt auch höhere Preise für Schlepper. Das ist nicht schön, aber das ist die einzige Möglichkeit für Menschen, um ihr Leben zu retten.
    Wir haben zweitens einen Konfliktherd in Eritrea, in Somalia. Somalia ist ein zerfallener Staat, Eritrea eine brutale Militärdiktatur. Hier versuchen Menschen zu fliehen. Wenn sie Europa erreichen, erhalten sie Schutz. Aber jetzt versucht man - das ist die neue Strategie der Europäischen Union -, sie abzufangen, Libyen aufzurüsten, dass quasi die Küstenwache das Ablegen verhindert, oder besser noch, der Sudan erhält Mittel, 40 Millionen für Grenzsicherung, und der Sudan hat bereits über 400 Eritreer nach Eritrea abgeschoben.
    Grieß: Das ist doch sinnvoller, als sich auf wackelige Boote zu begeben, von denen man nicht ganz genau weiß, ob sie auch ankommen.
    Burkhardt: Sinnvoll würde ich mal anders interpretieren. Sinnvoll ist das nicht. Wenn sinnvoll heißt, dass Deserteure der eritreischen Armee in den Folterlagern landen, dann ist das nicht sinnvoll, sondern das ist ein Verrat an den Menschenrechten. Wir können als Europäer nicht die Augen davor schließen, dass wir in der Welt es mit Flucht zu tun haben und die Menschen Schutz brauchen. Jetzt versucht man, sich freizukaufen und andere Staaten aufzurüsten nach dem Motto, aus den Augen aus dem Sinn, sollen doch andere sich mit Flüchtlingen herumschlagen, Hauptsache nicht wir Europäer.
    "Eine Erosion der Menschenrechte, die von Europa ausgeht"
    Grieß: Es gibt ja tatsächlich konkrete Ideen für Programme, für Investitionen, für Geldzahlungen von Europa an nordafrikanische Staaten. Die Europäische Investitionsbank schlägt vor, sechs Milliarden zu investieren. Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Burkhardt, dann halten Sie das für rausgeworfenes Geld?
    Burkhardt: Was heißt rausgeworfen? Wir hatten bisher den Grundsatz, dass man versucht, den Reichtum in der Welt fairer zu verteilen, dass man versucht, Entwicklungshilfe zu leisten. Jetzt soll diese Entwicklungshilfe daran gekoppelt werden, dass die Empfängerländer bereit sind, für Europa die Drecksarbeit zu machen und Menschen, die Schutz brauchen, aufzuhalten. Das ist moralisch inakzeptabel, das untergräbt den Flüchtlingsschutz und das ist auch die Frage, ob so eine sinnvolle Entwicklungspolitik auf Dauer gemacht werden kann.
    Grieß: Nun sind viele dieser Regime und viele dieser Bürokratien in diesen Ländern derartig korrupt, dass Sie vermutlich auch kein Geld dorthin geben würden, ohne es an Bedingungen zu knüpfen.
    Burkhardt: Die Frage ist doch, an welche Bedingungen. Ist die Bedingung, ihr setzt es sinnvoll ein, dass in diesem Land Wachstum und Wirtschaft sich entwickeln, dass Menschen eine Lebensperspektive haben, oder soll das Geld dafür eingesetzt werden, dass Lastwagen mit Nachtsichtgeräten patrouillieren, dass Schnellboote patrouillieren und Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, in den Händen ihrer Verfolger bleiben.
    Grieß: Die europäischen Staats- und Regierungschefs saßen gestern ja schon in Brüssel zusammen, sitzen heute dort auch noch einmal zusammen, dann allerdings ohne David Cameron. Das spielt aber jetzt für meine nächste Frage keine so große Rolle. Diese Staats- und Regierungschefs halten diese Abkommen, die da ausgehandelt werden sollen mit den nordafrikanischen Ländern, für sinnvoll. Das Ganze soll bis Ende des Jahres kommen. Sie lehnen das rundherum ab?
    Burkhardt: Ja! Es ist eine enthemmte Politik, die auf wachsenden Rechtspopulismus in Europa, auf Nationalismus die Antwort kennt, wir bauen die Festung Europa aus, wir schotten uns ab, und der Rest der Welt soll sich um Verfolgte kümmern. Nur das funktioniert nicht! Kenia hat schon angekündigt, das weltweit größte Flüchtlingslager zu schließen. Das heißt, ärmere Staaten folgen dem Beispiel Europas und weigern sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist eine Erosion der Menschenrechte, die von Europa ausgeht, und nur, weil Europa nicht in der Lage ist, gemeinsam solidarisch eine Flüchtlingskrise, eine Flüchtlingstragödie, besser formuliert, zu lösen.
    "Man muss Menschen legale Wege eröffnen und verhindern, dass sie fliehen müssen"
    Grieß: Aber wie denn, Herr Burkhardt?
    Burkhardt: Wie? - Indem man zum einen mal die Aufnahme aus dem Ausland ausbaut, Resettlement, in einer Größenordnung von mehreren hunderttausend Menschen pro Jahr. Das hat zum Beispiel die Bosch-Expertenkommission gefordert, wo auch der CDU-Vize Laschet drin ist, Arbeitgeber und andere. Man muss Menschen legale Wege eröffnen und man muss vor allem auch verhindern, dass sie fliehen müssen.
    Und das bedeutet, man muss aufhören, Regime wie Saudi-Arabien mit Waffenlieferungen aufzurüsten, wo der Krieg in Syrien angeheizt wird. Man muss eine andere ökonomische Politik fahren. Aber man muss auch Menschen, die verfolgt sind, in Europa Asyl gewähren, und das wird im Moment nicht gemacht, sondern unterlaufen.
    Grieß: Es bleibt die Frage, ob das mehrheitsfähig wäre in einem europäischen Land.
    Burkhardt: Wenn das nicht mehrheitsfähig ist, verabschieden wir uns von den Menschenrechten.
    Grieß: Günter Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Burkhardt, danke!
    Burkhardt: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.