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Pro und Kontra eines NPD-Verbotes

Mehrere Ministerpräsidenten fordern erneut ein Verbotsverfahren gegen die NPD. Und das ungeachtet der im Jahr 2003 kläglich gescheiterten Verbotsinitiative. Die Debatte ist wieder eröffnet - und wird auch in den politischen Zeitschriften und Blogs ausgetragen.

Von Norbert Seitz | 20.08.2012
    Kaum war die Debatte um einen neuen Verbotsantrag gegen die NPD angestoßen, schon wartete der Journalist und Jurist Heribert Prantl mit einer moralischen Vorgabe auf. In der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" deklamierte er:

    Das Verbot der NPD ist in einem Land, in dem Millionen Menschen leben, die den Rechtsextremisten als minderwertig gelten, ein Beitrag zum inneren Frieden. Für inneren Frieden zu sorgen, ist die höchste Aufgabe des Rechts. Und der Verfassungsschutz hat im Rahmen des Verbotsverfahrens die Chance, sich zu rehabilitieren.

    Doch davor ist erst noch das Bundesverfassungsgericht. Dieses könnte nicht nur in Sachen Europäischer Stabilitätsmechanismus – kurz ESM - und Fiskalpakt sondern auch in der misslichen Angelegenheit eines erneut betriebenen NPD-Verbots unter Zeitdruck geraten.

    Mit diesem grundsätzlichen Problem setzt sich auch Udo di Fabio, langjähriger Richter in Karlsruhe, in der Zeitschrift "Cicero" auseinander. Er befürchtet, dass die Politik mit dem Zeitargument die Richter vor sich hertreiben könnte, um damit überfällige Sachentscheidungen zu verhindern und unliebsamen Debatten aus dem Wege zu gehen:

    "Es besteht der Verdacht, dass aktionistische Szenarien grell ausgeleuchtet auf die Bühne gebracht werden, damit langfristige Sach- und Zeitzusammenhänge in den Schatten geraten."

    Im Fall der NPD hieße dies: Ein ausgesprochenes Verbot könnte eine tief ergehende und engagierte Auseinandersetzung mit Alltagsrassismus und rechtsextremer Gewalt weiter blockieren. Diese Vermutung legt auch der Bericht der Amadeu Antonio Stiftung nahe, die sich mit rechtsextremistischer Alltagskultur befasst. Der Bericht beklagt ein Dreivierteljahr nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie die Verharmlosung rechter Gewalt bei deutschen Behörden. Tenzin Sekhon vom Internetportal "Netz-gegen-Nazis", kommentiert den Bericht in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit." Sein Fazit ist ernüchternd:

    Viele Kommunen verzichten auf Solidarität mit engagierten Bürgern, um den Ruf der Stadt oder der Institution zu wahren und zu vermeiden, als problematische Gegend zu gelten. Anstatt sich konkret mit der rechtsextremen Bedrohung auseinander zu setzen, wird sie ignoriert und stillschweigend zur Kenntnis genommen.

    Die Gegner eines NPD-Verbots befürchten ein weiteres Abtauchen des Milieus in den Untergrund und die Wiederkehr in Gestalt einer neuen rechten Partei. Versuche dazu gibt es bereits. Felix M. Steiner vom Göttinger Institut für Demokratieforschung kommentiert in der Online-Ausgabe der "Zeit" den aussichtslosen Versuch, unter dem Titel "Die Rechte" eine neue Partei aufzuziehen.

    Die Führungsriege besteht fast ausschließlich aus abgehalfterten DVU-Funktionären. Eben jenes Personal, das trotz der Fusion mit der NPD bis zum bitteren Ende am Erhalt der DVU festhielt.

    Ebenso hat die linksliberale Vierteljahreszeitschrift "Vorgänge" in ihrem Themenschwerpunkt über "die rechte Gefahr" darauf hingewiesen, warum neben der NPD auch der parteiförmige Rechtspopulismus in Deutschland so erfolglos sei.

    Der Bonner Politologe Frank Decker gibt dabei zu bedenken, dass es solchen Positionen zwar an sozialem Nährboden und an thematischen Gelegenheiten nicht mangele. Gegen einen Parteiaufbau sprechen aber neben der organisatorischen Unfähigkeit des rechten Protestmilieus die hierzulande erfolgreichere Eingliederung von Zuwanderern, verglichen mit der Situation in Frankreich:

    Die hohen publizistischen Wellen, die Sarrazins Intervention geschlagen hat, stehen (...) in einem eigentümlichen Kontrast zu ihrer politischen Folgenlosigkeit (...) Ursächlich dafür sind erstens die günstigere Zusammensetzung der Zuwanderungsbevölkerung, zweitens bessere sozialräumliche Voraussetzungen und drittens die geringere Virulenz kultureller Anerkennungskonflikte.

    Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die rechte Online-Szene. Dort wird der Spieß zumeist umgedreht. Die parlamentarische Demokratie sei nicht vom Rechtsextremismus bedroht, sondern von ihren Verteidigern. Im Blog des Leitmediums der sogenannten "Neuen Rechten", der "Jungen Freiheit" versteigt sich der Soziologe, Robert Hepp, zu der bizarren These:

    "Beim Verfassungsschutz kommt offenbar niemand auf die Idee, dass die liberale Demokratie nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte vor sich selbst geschützt werden muss. In Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs von wilden Rechtsextremisten auf die demokratischen Institutionen, starren die Hüter der Verfassung wie hypnotisiert in die immer gleiche Himmelsrichtung."

    Sollten die Hüter es tatsächlich tun, käme es gewiss nicht von ungefähr, solange in derart zynischer Weise wie im vorliegenden Fall die Verhältnisse verkehrt werden und die überwältigende Parlamentsmehrheit für den ESM mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 verglichen wird.