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Problem an der Außenlinie

Viele Facetten des Jugendfußballs sind eigentlich nicht jugendfrei, weil von Ehrgeiz zerfressene Mütter und Väter alle Regeln des Fair Plays vergessen. Lange beobachteten die Verbände ziemlich ratlos, wie sich Entgleisungen häuften. Doch vor zwei Jahren wurde ein Konzept entwickelt, mit dem zumindest Teile des Jugendfußballs befriedet werden sollten.

Von Daniel Theweleit | 06.10.2013
    "Ihr guckt nur zu! Da ist der Ball, da ist der Ball."

    Der Ton ist rau auf den zahllosen Jugendfußballplätzen in Deutschland. Oder vielleicht sollte man besser sagen: an den Außenlinien. Denn im Spiel auf dem Platz geht es meist fröhlich zu. Das Problem befindet sich am Spielfeldrand. Überall kursieren erschreckende Geschichten von pöbelnden Eltern, die Schiedsrichter beleidigen. Die ihre Kinder wüst beschimpfen. Die drohen, die handgreiflich werden. Oliver Zeppenfeld, der Jugendkoordinator des Fußballverbandes Mittelrhein ist immer wieder entsetzt über die destruktive Kraft an der Außenlinie.

    "Ohne Eltern geht Kindesport, Kinderfußball nicht. Ob es allerdings eine positive Begleiterscheinung bei der Entwicklung von Kindern ist, sei dahingestellt. Oder ich würde es sogar deutlich verneinen. Denn die Emotionen sollen ja in erster Linie die Kinder haben, sowohl die Positiven als auch die Negativen. Leider haben da viele Eltern Probleme mit und versuchen Einfluss auf das Spiel zu nehmen, so dass die Kinder gar nicht ihre eigenen Erfahrungen sammeln können."

    In Berlin wurde im vorigen Jahr der Trainer einer B-Jugendmannschaft niedergestochen. Ausgelöst durch eine Schiedsrichterentscheidung kam es erst im vergangenen Sommer während eines F-Jugendspiels im baden-württembergischen Holzmaden zu einer Massenschlägerei unter aufgebrachten Eltern, ein 47-Jähriger wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Und an fast jedem Wochenende werden irgendwo Spiele abgebrochen, weil Eltern die Kontrolle verlieren. Helmut Sandrock, der Geschäftsführer des Deutschen Fußball-Bundes, hat angesichts der Auswüchse im Kinderfußball vorige Woche im Sportgespräch des Deutschlandfunkes gesagt:

    "Wir haben Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die auch nur bedingt mit dem Fußball zu tun haben, in dem wir, glaube ich, ja alle einer gewissen Überemotionalisierung, vielleicht eine immer stärker werdende Grundaggressivität haben"

    Die Zukunft sähe also düster aus, gäbe es nicht das Erfolgskonzept der FairPlay-Liga, das ein ehrenamtlich engagierter Vater und Hobbytrainer erfunden hat. In der F- und E-Jugend, also bei den 6- bis 10-Jährigen, wurde der Schiedsrichter abgeschafft. Die Kinder entscheiden seit zwei Jahren vielerorts selbst, wer einen Einwurf, Freistoß oder Elfmeter bekommt. Die Trainer stehen in einer gemeinsamen Coaching-Zone und treten als vermittelnde Instanz ein, wenn die Kinder sich mal nicht einigen können. Und der wahrscheinlich wichtigste Aspekt: Die Eltern befinden sich in einer so genannten Fan-Zone, möglichst weit vom Spielfeld entfernt.

    "Der Abstand alleine zum Spielfeld bewirkt einen emotionalen Abstand. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Eltern noch mit Regenschirmen und Spazierstöcken direkt Einfluss aufs Spiel genommen haben. All diese Dinge sind ja heute gar nicht mehr möglich. Und Eltern nehmen durch den Abstand zum Spiel weniger laut am Spiel teil, insofern glauben wir schon, dass eine positive Entwicklung stattgefunden hat."

    Zeppfenfelds Verband hat gerade Teile des Erfolgsmodells in einem Pilotprojekt auch auf Spiele von D-Jugendlichen, die bereits in die Pubertät kommen, ausgeweitet. Es ist ein sonniger Herbsttag in Köln, die DJK Südwest tritt gegen die Spielvereinigung Flittard an. Ein Schiedsrichter ist zwar da, aber nur für die problematischen Entscheidungen. Wer Einwurf, Eckball oder Abstoß bekommt, müssen die Kinder selbst entscheiden. Und das funktioniert wunderbar, findet Timo, der elfjährige Kapitän von der DJK.

    "Wir können damit sehr gut umgehen, meine Mannschaft und ich und auch unsere Gegner. Wir finden das sehr toll, dass das in Gang gesetzt wurde."

    Am Ende gewinnt DJK Südwest mit 5:0. Nur einmal gibt es eine kleine Auseinandersetzung über einen Eckball, die der Schiedsrichter klären muss. Die Meinungen der Eltern sind allerdings geteilt. So meint Gerd Brüggen:

    "Das Problem war bei den Eltern früher, dass zehn Trainer am Spielfeld standen, die dann immer reingebrüllt haben. Es ist angenehmer zu schauen. Die Kinder sind jetzt nicht mehr so aufbrausend im Spielfeld."

    Während Jens Urban sagt:

    "Es wurde mir gesagt, dass man 15 Meter weit weg sein solle, und das ist mir direkt aufgestoßen. Weil die Eltern, die leisten so viel an Fahrten an Waschen, manchmal machen sie Schiedsrichter, oft sammeln sie noch andere Kinder ein, dass ich das einfach unfair gegenüber den Eltern finde."

    Er wird sich vermutlich an die schlechtere Perspektive gewöhnen müssen. Denn in einer Zeit, in der Jürgen Klopp, Deutschlands beliebtester Trainer, Übergriffe auf Schiedsrichter durch sein Verhalten immer wieder legitimiert, gibt es keinen besseren Vorschlag zur Befriedung des Jugendfußballs. Wer in der Bundesliga geschickt betrügt, Einwürfe oder Freistöße herausschindet, gilt als schlau. Durch die neuen Regeln entsteht auch unter Eltern ein Bewusstsein, dass die Profis auf dieser Ebene keine Vorbilder sind, sagt Zeppenfeld.

    "Wir haben das Gefühl, dass wir seit der Einführung der FairPlay-Liga eine größere Akzeptanz des pädagogischen Rahmens im Kinderfußball entwickeln konnten. Das heißt, dass Trainer bereiter sind, nicht mehr nur auf das Ergebnis zu achten."

    Er hat die Vision, dass das Modell irgendwann vielleicht sogar in höheren Alterklassen oder bei den Erwachsenen zur Anwendung kommen wird, aber daran glaubt der DJK-Trainer Rainer Niedworok eher nicht.

    "Die Eltern sind sehr fokussiert auf ihr Ding, die Begeisterung geht manchmal durch und der Enthusiasmus der Eltern ist oft eingleisig. Ich glaube, da wird kein Umdenken stattfinden Was stattfinden kann ist, dass die Kinder eventuell länger fair zueinander bleiben."