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Problem Overkill

Medizin. - Manche Krankenhäuser haben inzwischen zu Ballungszentren multiresistenter Erreger entwickelt. Solche Krankenhausinfektionen sind schon lange bekannt, wirksame Gegenmaßnahmen ebenfalls, trotzdem besteht das Problem weiter. Warum das so ist, wollen mehrere europäische Akademien der Wissenschaften wissen und haben deshalb zu einer Tagung nach Berlin geladen.

Von Volkart Wildermuth | 19.09.2008
    Krank durch das Krankenhaus, das ist keine Seltenheit, meint Dr. Andrea Ammon vom Europäischen Zentrum für Krankheitsvorbeugung und –kontrolle in Stockholm.

    "Wir rechnen oder schätzen, dass es jedes Jahr etwa vier Millionen Krankenhausinfektionen in Europa gibt, und dass etwa 0,9 Prozent dieser Patienten direkt an den Folgen dieser Krankenhausinfektionen versterben, das sind ungefähr 37.000."

    Mit Krankenhauserregern stecken sich meist schwerkranke oder besonders geschwächte Patienten an, für die der Gang ins Krankenhaus absolut notwendig war. Nun finden sich in einer Klinik naturgemäß mehr Bakterien als anderswo, Infektionen lassen sich da nicht völlig verhindern. Der Vergleich der europäischen Länder zeigt aber, dass es hier wirksame Strategien gibt. Während sich in Frankreich besonders viele Patienten in ärztlicher Obhut infizieren, ist das Risiko in den Niederlanden deutlich geringer . Dafür gibt es viele Gründe. Zum Beispiel achten dort spezielle Krankenschwestern auf die Einhaltung der Hygienebestimmungen. Theoretisch weiß natürlich jeder Arzt und jede Schwester, dass man sich zwischen zwei Patienten die Hände desinfizieren muss. Doch es hapert an der praktischen Umsetzung. Dass überall Pflegepersonal abgebaut wird, verschärft dieses Problem, davon ist Dr. Martin Mielke vom Berliner Robert-Koch-Institut überzeugt.

    "Wenn weniger Hände mehr Patienten betreuen, dann steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass darüber auch Erkrankungen oder Erreger übertragen werden, das ist einer, aber ein durchaus wichtiger Faktor dabei."

    Um so wichtiger ist, dass Hygiene auch in jeder deutschen Klinik zu einem zentralen Thema gemacht wird. Desinfektion kann die Zahl der Infektionen vermindern, es kommt aber auch auf die Art der Erreger an. Die meisten Krankenhausinfektionen lassen sich gut behandeln, gerade in der Klink gibt es aber auch multiresistente Bakterien, die auf Medikamente kaum noch ansprechen. Besonders problematisch ist ein Keim namens MRSA, der vor allem bei schwerkranken Patienten etwa mit einer Nierenversagen oder nach einem Schlaganfall auftritt. Mielke:

    "Krankenhäuser, die zum Beispiel viele Patienten aus Rehabilitationskliniken behandeln, werden mehr MRSA von außen ins Krankenhaus bekommen und haben dann größere Präventionsanstrengungen zu leisten, als Krankenhäuser, die keinen Kontakt zu diesen Patienten haben. "

    Diese Kliniken, so Mielke, sollten jeden Patienten direkt bei der Aufnahme auf MRSA testen und entsprechend behandeln. Der Keim kommt aber nicht nur von außen ins Krankenhaus zum Teil wird er durch den zu großzügigen Einsatz von Antibiotika geradezu herangezüchtet. In den Niederlanden ist deren Verschreibung daher streng reglementiert. Deutsche Ärzte setzen nicht grundsätzlich zu viele Antibiotika ein, meint Martin Mielke.

    "Was zu beobachten ist, dass Antibiotika verschrieben werden, die besonders breit wirksam sind und die besonders modern sind. Diese Antibiotika haben aber als eine unerwünschte Nebenwirkung, dass sie mehr als alteingeführte zur Ausbildung neuer Resistenzen führen."

    Wo immer möglich sollten die Ärzte deshalb zunächst den Erreger genau bestimmen und dann das genau passende Medikament verschreiben. Normalerweise werden die Bakterien dazu angezüchtet. Diese Methode ist aber bei dramatischen Krankheitsverläufen zu langsam. An der Universität Edinburgh entwickelt Dr. Till Bachmann deshalb einen Schnelltest, der das Erbgut der Bakterien auf einem Chip analysiert.


    "Einmal welche Art es ist oder auch welche Eigenschaften die Bakterien haben, beispielsweise Antibiotikaresistenzen, die dann weiter verfolgt werden können, um die entsprechenden Antibiotika auszuwählen."

    Es wird noch einige Jahre dauern, bis der Chip reif für die Klinik ist. Aber schon heute, so Andrea Ammon, können die Ärzte und Schwestern Krankenhausinfektion mit klassischer Hygiene und Antibiotikadisziplin deutlich zurückdrängen.

    "Man wird es nicht auf Null bringen, aber man kann es sicher auf die Hälfte oder wenigstens ein Drittel runter senken."