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"Probleme mit dem Begriff Völkermord"

Rainer Stinner widerspricht der Forderung des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn nach einem Einschreiten der UNO in Libyen. Wer einen militärischen Einsatz fordere, müsse auch sagen, "welche Soldaten er hinschicken möchte". Der FDP-Politiker gestand aber ein, dass EU und UNO derzeit nicht über geeignete Hebel verfügten, das Morden zu beenden.

Rainer Stinner im Gespräch mit Martin Zagatta | 23.02.2011
    Martin Zagatta: Gaddafi wütet gegen sein eigenes Volk. Der Diktator hat offenbar die Kontrolle über weite Teile Libyens schon verloren, droht aber mit weiterer Gewalt. Inzwischen ist schon von einem Bürgerkrieg die Rede, von regelrechten Gemetzeln. Der italienische Außenminister spricht von 1.000 Toten. Verlässliche Informationen zu erhalten, fällt aber nach wie vor schwer. Die Reisejournalistin und Libyenexpertin Gabriele Riedle ist wohl die letzte deutsche Journalistin, die das Land noch länger bereist hat und am Wochenende ausgeflogen ist. Sie weist darauf hin, wie schwierig es in Libyen ist, für Öffentlichkeit zu sorgen.

    O-Ton Gabriele Riedle: "Das ganze Land ist durchsetzt mit Spitzeln, keinem kann man trauen. Jeder sagt jedem, dass der andere ein Spitzel sein könnte. Jeder hat auch Angst vor jedem. Also die Dienste bewachen sich hier teilweise auch gegenseitig. Also das ist so eine allgemeine Situation von kompletter Einschüchterung an allen Ecken und Enden, und das übrigens natürlich nicht erst seit jetzt. Diese Einschüchterungsstrategie, die gibt es nun in Libyen schon seit Langem."

    Zagatta: Die Journalistin Gabriele Riedle heute Morgen im Deutschlandfunk. – Und hier in unserem Sender hat Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn jetzt auch ein Eingreifen der UNO gefordert.

    O-Ton Jean Asselborn: "Was in Libyen geschieht, ist meines Erachtens Völkermord in höchster Potenz. Das Wichtigste ist, dass wir alles tun in der internationalen Gemeinschaft jetzt, dass dieses Massaker aufhört. Wir müssen uns darauf vorbereiten, glaube ich, wenn das nicht aufhört, dass ein UNO-Mandat zu Stande kommt, um die Menschen in Libyen zu schützen vor diesen Massakern."

    Zagatta: Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hier im Deutschlandfunk, und seine Forderung nach einem Einschreiten der UNOwollen wir gleich an Rainer Stinner weiterreichen, den außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Stinner.

    Rainer Stinner: Hallo! Guten Tag.

    Zagatta: Herr Stinner, sehen Sie das auch so dramatisch? Muss die UNO jetzt schnellstmöglich einschreiten?

    Stinner: Zunächst natürlich ist die Situation in Libyen dramatisch. Ich habe immer ein bisschen Probleme mit dem Begriff Völkermord. Das ist sehr plakativ, beschreibt aber eigentlich ja eine ganz klare systematische Ermordung bestimmter Bevölkerungskreise. Wir haben da schreckliche historische Bilder vor Augen. Die Situation ist eindeutig sehr, sehr kritisch und es ist richtig, dass wir an die Vereinten Nationen rangehen. Das haben ja auch die drei europäischen Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien angeregt und Außenminister Westerwelle hat das ja auch angeregt. Die Vereinten Nationen müssen sich mit diesem Thema unmittelbar beschäftigen. Der Lösungsmechanismus allerdings, der ja auch bei Herrn Asselborn angeklungen ist, dass wir dort UNO-Soldaten hinschicken, da habe ich schon mein Fragezeichen, ob das überhaupt möglich ist und was die überhaupt machen sollen, denn die Lage ist ja in Libyen außerordentlich verworren und auch die Kampfstrukturen sind außerordentlich verworren, und von daher – ich bin kein Fachmann für militärische Falloperationen – würde ich da ein Fragezeichen machen. Aber dass die Vereinten Nationen sich mit dem Thema beschäftigen müssen, ist völlig richtig.

    Zagatta: Die haben das ja auch in der vergangenen Nacht getan, Deutschland war da mit beteiligt. Der UNO-Sicherheitsrat hat in der Nacht getagt und es weitgehend aber bei einem Aufruf belassen, das Blutvergießen zu beenden, internationale Beobachter ins Land zu lassen. Das klingt ja eher, Herr Stinner, nach 0815. Oder kann man da im Moment gar nicht mehr machen?

    Stinner: Ich habe ja schon eben angesprochen, will es noch mal wiederholen: Jetzt unmittelbar zu sagen, was wohlfeil ist, jetzt müssen internationale Soldaten dahin, würde das denn heißen, dass Herr Asselborn sagt, luxemburgische Soldaten sollen jetzt da nach Libyen gehen? Da bin ich mal sehr gespannt, ob er das sagt. Ich hätte jetzt jedenfalls sehr große Probleme damit, deutsche Soldaten nach Libyen zu schicken, denn wenn wir fordern, es sollen Soldaten hin, dann müssen wir ja irgendwo auch ehrlich sagen, wo sollen die Soldaten eigentlich herkommen, und so weit muss man einfach gehen. Also ich glaube, es ist unbefriedigend, das ist keine Frage, dass wir im Augenblick zu wenig Druckmittel haben. Die Europäische Union befriedigt mich auch nicht mit ihrer Haltung dort. Dort ist es ja speziell auch in den südlichen Ländern, speziell Italien – ich will es mal offen ansprechen als Parlamentarier; ich kann da vielleicht offener sprechen als die Bundesregierung -, zum Teil sehr, sehr beeindruckend im negativen Sinne, wie sich Italien noch in den letzten Tagen eingelassen hat, und hier ist es dringend notwendig, dass die Europäische Union auch schlagkräftiger wird, und hier erwarte ich auch und bin auch froh, dass die Bundesregierung das macht, dass die Bundesregierung hier durchaus auch eine Führungsrolle in Europa - ob das von anderen gerne gesehen wird oder nicht, ist mir im Augenblick gleichgültig - entsprechend einnimmt, um die Europäische Union handlungsfähiger zu machen. Das ist dringend notwendig.

    Zagatta: Die Bundesregierung, auch Außenminister Westerwelle haben ja jetzt umgehend Sanktionen gefordert. Der luxemburgische Außenminister heute Morgen hat uns im Interview gesagt, das sei gut und schön, nur das helfe jetzt den Menschen, die dort massakriert werden, so schnell auch nicht weiter. Angesichts dieses Bürgerkrieges, angesichts von 1000 Toten, von denen jetzt gerade der italienische Außenminister schon gesprochen hat, Herr Stinner, müssen wir uns da eingestehen, dass wir ziemlich ohnmächtig sind?

    Stinner: Dass wir unmittelbar keine Hebel haben, um heute Nachmittag das Schießen abzustellen, das müssen wir uns eingestehen. Das ist ein schmerzhaftes Eingeständnis, aber nochmals: Wer jetzt fordert militärischen Einsatz, der muss mir sagen, welche Soldaten er hinschicken möchte. Ich hätte mir von Herrn Asselborn gewünscht, ich will das mal so zuspitzen, dass er dann sagt, und ich bin auch bereit, dass luxemburgische Soldaten dort entsprechend heute Nachmittag hinfliegen und da in die Kämpfe eingreifen. Dann möchte ich mal sehen, was in Luxemburg los ist. Also das muss man auch bis zu Ende dann eben denken. Aber richtig ist: Die Situation ist unbefriedigend, die Einflussmöglichkeiten sind unbefriedigend. Wir sprechen jetzt über einige Sanktionen. Inwieweit die in dieser aufgeheizten Situation tatsächlich kurzfristig Wirkung haben, also das Einfrieren von Guthaben von Herrn Gaddafi oder aber die Einreisebeschränkung für den Gaddafi-Clan, das wird sicherlich heute Nachmittag und morgen früh keinen Schuss weniger geben lassen. Das ist völlig richtig, das ist unbefriedigend. Aber ich sehe mich nicht in der Lage zu fordern, dass deutsche Soldaten da hingehen. Dafür wäre ich nicht!

    Zagatta: Sie selbst haben schon angesprochen, Sie sind auch recht unzufrieden mit dem, wie einige EU-Länder oder auch die EU dort vorgehen. Die Bundesregierung hat die EU in diesem Zusammenhang auch schon heftig kritisiert. Jetzt hat man ja eine Außenbeauftragte mit Frau Ashton eigens geschaffen, diesen Posten, um mit einer Stimme zu sprechen, um schneller zu reagieren. Warum funktioniert das nicht?

    Stinner: Das funktioniert aus mehreren Gründen nicht. Erstens muss man durchaus auch kritisch sagen, Frau Ashton hat jetzt über ein Jahr Zeit gehabt, sich in die schwierige Materie einzuarbeiten. Wir haben eine neue Situation, das ist alles schwierig und komplex. Aber auch die Art ihres Auftretens ist jedenfalls nicht so, dass man daraus eine kraftvolle europäische Stimme erkennen kann. Zweitens müssen wir aber auch sagen, dass natürlich nach wie vor nationale Außenminister dort versuchen, die erste Geige zu spielen. Wenn wir uns zum Beispiel das Thema Ägypten ansehen: Der Außenminister Westerwelle fliegt ganz bewusst heute erst nach Ägypten, nachdem Frau Ashton jetzt in Ägypten gewesen ist. Hier müssen sich die europäischen Außenminister auch daran gewöhnen, die Kleiderordnung einzuhalten, so schwer das auch sein mag, aber ich verhehle nicht, dass auch ich wie viele Kolleginnen und Kollegen mit der Durchsetzungskraft und dem Durchsetzungswillen und der Gestaltungskraft von Frau Ashton nicht zufrieden sind.

    Zagatta: Im Moment sind ja auch Transall-Maschinen der Bundeswehr daran beteiligt, deutsche Staatsbürger aus Libyen herauszuholen. Ist es da nicht eine schwierige Situation, Herr Stinner, dass wir im Moment einen Verteidigungsminister haben, der derzeit eher mit sich selbst, also mit seiner offenbar gefälschten Doktorarbeit und mit Rücktrittsforderungen beschäftigt ist?

    Stinner: Nein, den Zusammenhang sehe ich nun überhaupt nicht. Ich will mich aber auf diesen anderen Job erst gar nicht einlassen, aber den Zusammenhang sehe ich überhaupt nicht. Die Transallmaschinen fliegen dann hin, wenn sie hinfliegen können, und die Bundeswehr tut alles operativ, das sicherzustellen, dass die Transallmaschinen die Aufgabe erfüllen. Das hat mit dem Minister und wie er dasteht überhaupt nichts zu tun, nachdrücklich überhaupt nichts zu tun. Die Bundeswehr ist handlungsfähig, diesen operativen Auftrag durchzuführen, und ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung insgesamt sofort und unmittelbar gehandelt hat, um das Thema Nummer 1 zu lösen, nämlich die Sicherheit von Deutschen und anderen Staatsbürgern möglichst sicherzustellen, und ich habe gerade eben erfahren, dass auch ein weiterer Airbus der Bundeswehr wohl noch unterwegs ist und dort weitere Deutsche rausholt. Das finde ich sehr gut, das ist sehr richtig. Also Schlussstrich, Ergebnis: Die Bundeswehr ist handlungsfähig.

    Zagatta: Das war Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Herr Stinner, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

    Stinner: Danke Ihnen!