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Die CDU in Turbulenzen

Ralph Brinkhaus statt Volker Kauder: Hinter dem Wechsel an der Unions-Fraktionsspitze verbirgt sich eine lange Geschichte der Enttäuschungen in CDU und CSU. Angela Merkels Modernisierungskurs hat der Union lange Zeit Mehrheiten gesichert - doch er hat Fraktion und Partei auch einiges zugemutet.

Von Ursula Welter und Ulrike Winkelmann | 26.09.2018
    Ralph Brinkhaus (CDU), Fraktionsvorsitzender, trifft zu einer Veranstaltung "Heimat mit Zukunft"- für starke ländliche Regionen" im Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ein.
    Der neue Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag Ralph Brinkhaus (picture alliance/Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa)
    Ein Mann aus Nordrhein-Westfalen. Ein Unionspolitiker. Ein Wirtschafts- und Finanzexperte. Fraktionsvorsitzender steht ebenfalls in seinem Lebenslauf. Nein, es geht zunächst nicht um Ralph Brinkhaus - um den geht es später. Der Anfang dieser Geschichte soll von Friedrich Merz handeln.
    "Es ist ja hinlänglich bekannt, dass es da schon eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten auch zwischen meiner Partei, ihrer Vorsitzenden und mir gegeben hat." Merz vor zwei Jahren in einem Phoenix-Interview. Im Jahr 2000 war er Wolfgang Schäuble im Amt des Fraktionsvorsitzenden gefolgt, 2002 musste er den Posten wieder räumen - die CDU-Parteivorsitzende wollte damals selbst Oppositionsführerin im Bundestag sein, die Union war gerade mit dem Kanzlerkandidaten Stoiber im Bund gescheitert.
    Friedrich Merz - konservativer Kritiker von der Außenlinie
    Damals knirschte es also zwischen einem wie Merz und Merkel. Persönlich, aber auch in der Sache, ging der Streit über die handelnden Personen hinaus. Viele Mitglieder des Wirtschaftsflügels der Union fühlten sich von Jahr zu Jahr irritierter, ja heimatloser. Kein Zufall also, dass der Gegenwind in diesem Spätsommer 2018 für Merkel auch aus der Ecke der Wirtschaftsfachleute der Unionsfraktion weht.
    Aber zunächst zurück zu Friedrich Merz. Der war 2009 aus dem Bundestag geschieden, ohne Mandat, dafür mit klarer Meinung und von Merkel-Kritikern gerne wahrgenommen, nahm er sich immer wieder den Regierungskurs vor. Beispiel Euro-Rettung:
    "Die zu beschließenden Hilfen für Griechenland sind alternativlos um die Finanzstabilität des Eurogebietes zu sichern", hatte Angela Merkel 2011 formuliert. Friedrich Merz meinte dazu, viele Jahre später: "Na ja, und wir haben ja mittlerweile eine Parteigründung in Deutschland, die vermutlich mit diesem Namen gar nicht stattgefunden hätte, wenn es dieses Wort vorher nicht gegeben hätte."
    Die Kanzlerin als Namenspatin für die AfD, die - nicht nur - der Union die Wähler streitig macht. Wie Merz hatte mancher in der CDU/CSU schwere Bedenken gegen den Euro-Rettungsschirm: "Hätte ich damals gewusst, wie sich die Dinge 20 Jahre später entwickeln, ich hätte die Zustimmung zum Euro mir damals drei, und vier und fünfmal mehr überlegt. Ich hätte wahrscheinlich nicht zugestimmt."
    Und Friedrich Merz ruft in Erinnerung, wie zerrissen die CDU von Beginn an in der Euro-Frage war: "Der Freistaat Sachsen hat damals, genau aus diesen Gründen - damals war Biedenkopf Ministerpräsident, Milbradt Finanzminister -, der Freistaat Sachsen hat im Bundesrat die Währungsunion abgelehnt. Mit genau den Befürchtungen, die wir damals nicht hinreichend ernst genommen haben. Ich auch nicht. Die dann leider alle eingetreten sind."
    Missachtung der EU-Stabilitätsregeln, zunächst durch Deutschland und Frankreich, später durch zahlreiche Südstaaten. "Ja, ist jetzt Rettungspolitik alternativlos, ja oder nicht? Sie ist es natürlich nicht". Friedrich Merz 2016 im Phoenix-Interview. "Ich will es klar sagen, ich wäre das Risiko eingegangen. Ich bin auch der Meinung, unverändert, dass es richtig gewesen wäre vor gut einem Jahr den Griechen weitere Hilfen nicht zu gewähren. Weil, dies wird ein Fass ohne Boden."
    Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Aufsichtsratsvorsitzender des Köln/Bonner Flughafens, beim Neujahrsempfang der IHK Magdeburg
    Ausgewiesener Merkel-Kritiker und früherer Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag: Friedrich Merz (imago / Christian Schroedter)
    Merkels Wechselhaftigkeit
    Das "Fass ohne Boden", die Euro Rettung, der frühere Fraktionsvorsitzende spricht aus, was viele Unionsabgeordnete, Politiker und Anhänger von CDU und CSU, seit Jahren quält. Der konservative Kopf kommentiert also von der Außenlinie, nicht nur die Europapolitik, und trifft damit manchen entzündeten Nerv in der Union. Beim Wirtschaftsrat der CDU in Düsseldorf, so zitiert die "Westfälische Allgemeine Zeitung", formulierte Merz vor Kurzem, ohne den Namen Merkel in den Mund zu nehmen: "Die Strategie, möglichst alle Wähler auf der anderen Straßenseite ins Koma zu versetzten, dürfte sich erledigt haben."
    Die Union, und dafür sorgte auch der bisherige Fraktionsvorsitzende Kauder, folgte der Kanzlerin beim "Wechsel der Straßenseite" nach außen klaglos, und doch stolpernd. An einer ganzen Reihe weitreichender Entscheidungen ist erkennbar, wie stark sich die CDU unter Angela Merkel seit ihrem Amtsantritt als Kanzlerin ändern musste. Die Stichworte lauten Mindestlohn, Wehrpflicht, Atomausstieg, Ehe für Alle - und da ist die Marter der Euro- und Finanzkrisenpolitik noch nicht mitgerechnet und auch nicht die Verwerfungen, die das Thema Flüchtlingspolitik in der Union verursacht hat.
    Von der Kopfpauschale zum Gesundheitsfonds
    Erstes Beispiel, Gesundheitspolitik: Für das gesundheitspolitische Konzept der Kopfpauschale - faktisch ein Einstieg in eine Privatisierung des Gesundheitssystems-, hatte sich Merkel auf dem Leipziger Parteitag Ende 2003 noch als Reformpolitikerin feiern lassen: endlich freier Markt statt Umverteilung. Merkel: "Ich habe der Partei zugemutet, dass wir den Vorschläge von Professor Herzog folgen, das heißt, dass wir einen Systemwechsel vornehmen. Da gibt es natürlich erst einmal Ängste."
    Doch diese Gesundheitsreform verschwand nach der Wahl 2005 schneller in der Versenkung, als ihre Anhänger "Kopfpauschale" sagen konnten. Stattdessen entwickelte die Große Koalition eine für beinahe alle undurchsichtige Konstruktion namens Gesundheitsfonds, die am Umverteilungsprinzip nichts änderte.
    Von der Wehrpflicht zur Berufsarmee
    Zweites Beispiel Wehrpflicht: Mit der FDP unter Guido Westerwelle ging die Union 2009 die vermeintliche Wunschehe ein. Doch Schwarzgelb wurde für große Teile der CDU zur Serie von Enttäuschungen. Noch im Wahlkampf 2009 hatte Merkel sich zur Wehrpflicht bekannt. Auf einem feierlichen Gelöbnis sagte sie im Juli 2009 auf dem Rasen vor dem Reichstag: "Ich bekenne mich zur Wehrpflicht. Die Wehrpflicht ist eine wichtige Klammer zwischen Gesellschaft und Streitkräften."
    Doch kaum ein Jahr später ließ die Kanzlerin ihren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Wehrpflicht abräumen. Es war ein bemerkenswert schneller Abschied einer über Jahrzehnte gehegten Meinungstradition. Im September 2010 sagte Merkel im Bundestag, Dinge müssten nun einmal auf den Prüfstand, etwa… "…wenn wir fragen, ob das, was uns allen lieb ist, die Wehrpflicht - jedenfalls wenn ich einmal für die Unionsteil sprechen kann - weil wir das für richtig befunden haben über viele Jahrzehnte, werden wir heute fragen: Ist das noch notwendig, ist das noch machbar?"
    Der Widerstand blieb gering: Etwa der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, der noch im August erklärt hatte, die Abschaffung der Wehrpflicht sei mit ihm nicht zu machen, sagte wenige Wochen später, die CSU sei die "Partei der Berufsarmee".
    Von der Laufzeitverlängerung zum Atomausstieg
    Drittes Beispiel: Energiepolitik. Merkels Ansage 2010 war noch: Den rot-grünen Atomausstieg nicht abwickeln, dennoch erhebliche Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke: "In diesem Energiekonzept gibt es Brückentechnologien, ja. Das ist die Kernenergie, das sind die Kohlekraftwerke. Die brauchen wir, und wir tun den Menschen keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob wir das alles nicht mehr brauchen und aus ideologischen Gründen die Kernkraftwerke abschalten. Das ist nicht unser Zugang."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt sich am 10.09.2015 nach dem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Berlin-Spandau für ein Selfie zusammen mit einem Flüchtling fotografieren.
    Mit ihrer Flüchtlingspolitik vertrat Angela Merkel erstmals eine Linie auch gegen Widerstände (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Doch dann bebte im März 2011 die andere Seite der Erde: In drei Blöcken des japanischen Atomkraftwerks Fukushima kam es zur Kernschmelze. Merkel brauchte nur einen Tag den Katastrophennachrichten aus Japan, um die Laufzeitverlängerung für die deutschen AKW wieder abzuräumen. Im Bundestag erklärte sie kurz darauf: "Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen. Das Restrisiko der Kernenergie habe ich vor Fukushima akzeptiert, weil ich überzeugt war, dass es in einem Hochtechnologieland mit hohen Sicherheitsstandards nach menschlichem Ermessen nicht eintritt. Jetzt ist es eingetreten."
    Kehrtwende beim Mindestlohn
    Beispiel vier: Mindestlohn. Auch hier gab es eine Kehrtwende. Als zunächst die Gewerkschaften und dann die SPD die Widerstände gegen einheitliche Lohnuntergrenzen fallen ließen, weil die Folgen der Hartz-Reformen zum Handeln zwangen, grenzte sich die Union zunächst noch ab: Mindestlohn führe zu Arbeitslosigkeit, lautete die Linie. Fraktionschef Volker Kauder sagte im Deutschlandfunk, in Einzelfällen, sprich in manche Branchen, sei man prüfwillig, aber… "….genau damit zeigen wir, dass ein grundsätzlicher, ein allgemeiner Mindestlohn in Deutschland nicht sinnvoll ist".
    Doch ausgerechnet in der schwarz-gelben Koalition nahm Ursula von der Leyen 2011 die Kurve: Eine einheitliche Lohnuntergrenze müsse her, forderte die Arbeitsministerin, die sich zuvor schon in der Familienpolitik einen Ruf als Modernisiererin erarbeitet hatte. "Die Welt hat sich nun mal deutlich verändert", sagte sie im Spiegel mit Blick auch auf die Erschütterungen durch die Finanzkrise. Eine Partei müsse aufnahmefähig sein für Veränderungen. Angela Merkel unterstützte ihre Ministerin - der CDU-Parteitag stimmte Ende 2011 für den Mindestlohn.
    Der Streit um die Homo-Ehe
    Fünftes Beispiel. Die Homo-Ehe. Wohl kein Einschnitt ins Fleisch des Partei-Traditionsbestands schmerzte die CDU herber als diese Frage. Eine "vollständige rechtliche Gleichstellung" der Partnerschaften Homosexueller lehnte die Partei noch im Programm von 2009 rundheraus ab. Doch nicht nur der breite gesellschaftliche Konsens, sondern auch das Bundesverfassungsgericht arbeitete in Richtung einer steuerlichen Gleichstellung homosexueller Paare. 2012 erklärte dann eine Gruppe um die Familienministerin Kristina Schröder und den Abgeordneten Jens Spahn: Warum sich zwingen lassen, wenn man rechtzeitig gestalten und neue Wählergruppen erschließen könne? Zunächst bügelte die Partei sie ab.
    Doch 2013, im beginnenden Bundestagswahlkampf, brach offener Streit in den Führungsgremien aus. Auch Konservative wie Fraktionschef Volker Kauder oder Wolfgang Schäuble schlugen sich auf die Seite der Gleichstellungsbefürworter; man hatte die Bevölkerungsumfragen im Rücken. CSU und große Teile der CDU liefen dagegen Sturm, doch als das Urteil aus Karlsruhe in puncto Steuergleichstellung wie erwartet ausfiel, musste die Union einlenken.
    Lange ruhte das Thema Gleichstellung Homosexueller, jedenfalls öffentlich. Der Reformdruck auf die Union aber hielt an. Und da sorgte Angela Merkel im Wahlkampf 2017 für eine Überraschung und für Verärgerung in den eigenen Reihen - sie gab die Ehe für Alle zur Abstimmung frei und brüskierte die parteiinternen Gegner des Konzepts. Wie sie selbst zwischen äußerem Modernisierungsdruck und Traditionspflege in der Union zerrieben wurde, zeigt ihr eigenes Abstimmungsverhalten im Bundestag: "Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau und deshalb habe ich heute auch diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt."
    Opportunismus als Erfolgsrezept: "Da wo die Mitte ist, sind wir"
    Merkels Wechselhaftigkeit, ihr Pragmatismus, ihre Ausrichtung am stets sorgfältig gemessenen Mehrheitswillen: All dies hat ihr den Ruf beigebracht, Opportunistin zu sein. Genau dies war allerdings über viele Jahre das Erfolgsrezept, mit dem Merkel für die Union Wahlen gewonnen hat. Sie selbst hat diesen Kurs stets "Mitte" genannt, in einer behaupteten Gleichsetzung von Mehrheit, Union und Mitte:
    "Wir sind offen für Neues und bewahren Bewährtes. Das ist der Kurs der Mitte. Mehr denn je kommt es auf die Union in unserem Lande an. Die Zukunft Deutschlands liegt in der Mitte. Ganz gleich, welche Kapriolen die anderen drehen: Wir halten Kurs. Da wo die Mitte ist, sind wir, und da wo wir sind, ist Mitte."
    Auf diese Weise konnten Positionen des politischen Gegners eingesammelt werden, ohne dass deutlich wurde, wo eigene Substanz auf der Strecke blieb. Lange wurde Merkel genau dafür bewundert, wie sie Mehrheiten erspürte, sie in Unionspolitik verwandelte - und nicht zuletzt dadurch auch alle denkbaren Koalitionsoptionen, ob mit FDP, SPD oder Grünen, eröffnete.
    Während ein Kritiker wie Friedrich Merz formuliert, da würden Wähler auf der anderen Straßenseite eingesammelt, erhielt Merkel von anderer Seite durchaus den Rat genau dies zu tun. So erläuterte der Wahlforscher Matthias Jung kürzlich in einem SPIEGEL-Interview, warum er der CDU-Chefin vor knapp zehn Jahren bereits geraten habe, sozialdemokratische Positionen zu besetzen. Es sei darum gegangen, die Mobilisierung der SPD-Wähler zu bremsen. Jung formuliert: "Wahlkämpfer müssen nicht nur darauf achten, dass sie ihre eigenen Leute für die Wahl motivieren. Sie müssen gleichzeitig darauf achten, dass die Gegenseite nicht zu sehr aufgestachelt wird. Das ist die Kunst."
    Flüchtlingspolitik: Merkel verliert ihr präsidentielles Images
    Der Modernisierungskurs unter Merkel sei notwendig gewesen, sagt der Wahlforscher und vertritt die These, dass ihr die Bevölkerung in dieser "Sowohl-Als-Auch-Linie" auch gefolgt sei: "Ich sehe einfach, dass die meisten Leute sich nach einem konsensorientierten Wahlkampf sehnen. Bürgerliche Wähler haben das Bedürfnis, dass die Regierung die Dinge regelt und sie mit Politik in Ruhe lässt." Und genau deshalb sei Merkels Flüchtlingspolitik so kritisch aufgenommen worden: Plötzlich habe sie eine Linie auch gegen Widerstände vertreten. Dies habe sie den Großteil ihres präsidentiellen Images gekostet, so die Analyse des Wahlforschers.
    Dass es für die Schwesterparteien CDU und CSU in puncto Flüchtlingspolitik um mehr als um "präsidientielles Image" geht, zeigen allerdings die schweren Verwerfungen, die seither in der Union zu besichtigen sind. Die Frage, wann die Zeit für Angela Merkel im Kanzleramt abgelaufen ist, wird seit Monaten in ihrer eigenen Partei gestellt, nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Zweifel am Merkel-Kurs und an ihrer Person sind salonfähig geworden.
    In diese Logik passt die für viele überraschende Abwahl des Merkel-Vertrauten, Volker Kauder, der nicht nur über seinen Führungsstil gestolpert ist. Mit Kauders Nachfolger im Amt des Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU, Ralph Brinkhaus, verknüpfen die, die ihn gewählt haben, offenbar die Hoffnung auf mehr Klarheit in der Linie und mehr CDU im Portfolio.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz nach dem Wohngipfel im Bundeskanzleramt. Berlin, 21.09.2018. Berlin Deutschland *** Chancellor Angela Merkel CDU recorded at a press conference after the residential summit in the Federal Chancellery Berlin 21 09 2018 Berlin Germany PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xFlorianxGaertner/photothek.netx
    Merkel-Dämmerung: Zweifel am Kurs der Kanzlerin sind salonfähig geworden (imago stock&people)
    Ralph Brinkhaus - ein Merkel-Kritiker als Fraktionschef
    Zweifel an seiner Loyalität zur Kanzlerin will Brinkhaus naturgemäß nicht aufkommen lassen. Dass zwischen ihn und Merkel kein Blatt passe, gab er seit dem Coup in der Fraktion mehrfach zu Protokoll. Sein Vorgänger Kauder hatte der Kanzlerin stets den Rücken freigehalten - zum Leidwesen seiner Kritiker. Bisher klingt Brinkhaus als biete er ähnlichen Service an. Und doch eilt auch ihm der Ruf voraus, jedenfalls in europa- und währungspolitischen Fragen, kritisch auf das Agieren der Kanzlerin zu blicken. Brinkhaus insistiert überall dort, wo es um das Mitspracherecht von Fraktion, Parlament, also den gewählten Abgeordneten geht.
    So wandte er sich im Dezember vergangenen Jahres gegen Pläne der EU-Kommission, die den Fahrplan für die Bankenunion infrage stellen würden. Und er machte sich - bis nach Paris – einen Namen mit einem Papier, in dem er parlamentarische Kontrolle für den geplanten Umbau der Euro-Zone forderte - so sei es schließlich beschlossen. "Wir konnten auch die Aufregung nicht verstehen, die da entstanden ist", sagte Brinkhaus im ARD-Fernsehen. An diesem Tag, dem 19. April, erwartete Berlin den Besuch des französischen Staatspräsidenten.
    "Und im Übrigen ist es nicht richtig, was eben gesagt worden ist, dass ich, dass wir die größten Kritiker von Macron sind. Macron hat Dutzende von Vorschlägen gemacht. Ein Vorschlag ist ein finanzieller Vorschlag. Bei allen anderen Vorschlägen finden wir das sogar toll: Eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Verteidigungspolitik, eine gemeinsame Afrikastrategie, gemeinsame Terrorbekämpfung. Es sind ganz, ganz tolle Vorschläge gemacht worden. Was mich wundert, ist: "Wir reden immer nur über den Teil Finanzen und Umverteilung, alles andere fällt unter die Decke."
    Neue Initiativen, ob die Macrons, oder jene der EU-Kommission, seien gut und schön. Mit gleicher Verve müssten aber die Regeln der Währungsunion eingehalten werden. Die Niedrigzinspolitik der EZB und deren Anleiheankäufe sieht Brinkhaus von jeher kritisch: "Ich glaube, als leidenschaftlicher Europäer muss man Europa kritisieren und muss sich an der ganzen Sache reiben." Für Bankenunion, aber gegen Transferunion, gegen einen europäischen Finanzminister, effizientere Mittelverwendung durch die EU-Kommission. Brinkhaus hält mit Kritik und Forderungen nicht hinter dem Berg.
    Volker Kauder und Ralph Brinkhaus
    Ralph Brinkhaus (r.) hat sich in einer Kampfabstimmung gegen seinen Vorgänger an der Spitze der Unionsfraktion, Volker Kauder, durchgesetzt (Sven Hoppe / Kay Nietfeld / dpa)
    Brinkhaus soll "den Laden zusammen halten"
    Aber, und da hält es der neue Fraktionsvorsitzende mit dem Stil seiner Parteivorsitzenden, Kompromissfähigkeit könne -zuweilen- ein Wert an sich sein, sagt er:
    "Es wird ja momentan in der deutschen Politik sehr viel von Haltung geredet. Das finde ich auch gut und richtig, dass wir über Haltung reden. Und zu unserer Haltung als Union gehört es dazu, dass wir auch dafür kämpfen, dass unsere Positionen durchgesetzt werden, in Respekt vor den anderen. Aber zur Haltung gehört auch für uns, dass wir den Laden zusammen halten, dass wir nicht nur Europa zusammen- halten, weil es ganz wichtig ist. Und das wir nicht nur Europa zusammenhalten, sondern dass wir auch dieses Land zusammenhalten und diese Gesellschaft zusammenhalten. Und vielleicht heißen wir deswegen Union und vielleicht unterscheiden wir uns deswegen von dem ein oder anderen, der hier im Deutschen Bundestag sitzt. Danke schön!"
    Den Laden zusammenhalten. Die, die Brinkhaus in der Fraktion nun unterstützt haben, erwarten offenbar auch das von ihrem neuen Vorsitzenden. Dass da einer ans Ruder kommt, der der CDU - nach dem Verlust des Finanzministeriums an die SPD - das wirtschafts- und finanzpolitische Profil zurückgeben könnte, kommt hinzu.