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Programm "School Turnaround"
Wie eine Berliner Problemschule die Wende schaffen will

Wenn Schüler Weltkugeln aus Filz nähen, ist das der Versuch, Theorie und Praxis fachübergreifend zu unterrichten. Das ist neu im Curriculum der Albrecht-von-Graefe-Schule, die als eine von zehn Berliner Problemschulen am Programm "School Turnaround" teilnimmt. Das Ansehen der Schule habe sich seitdem verbessert, meint der Rektor.

Von Verena Kemna | 10.02.2017
    Siebtklässler strecken am 23.11.2016 während des Deutschunterrichts in einem Gymnasium in Friedrichshafen (Baden-Württemberg) ihre Hände nach oben.
    Viele Eltern würden ihre Kinder lieber in einem Gymnasien sehen als in der Graefe-Schule, sagt Schulleiter Guido Schulz. (dpa/ picture alliance / Felix Kästle)
    Die Albrecht-von-Graefe-Schule liegt nur wenige hundert Meter vom Kottbusser Tor entfernt, mitten in Berlin-Kreuzberg. Fast alle der etwa 200 Schüler sprechen zu Hause Arabisch oder Türkisch, sie kommen aus der Grundschule mit einer Empfehlung für die Sekundarschule. Viele Eltern würden trotzdem ihre Kinder lieber in einem der nahegelegenen Gymnasien sehen als in der Graefe-Schule, erklärt Schulleiter Guido Schulz.
    "Der Ruf nach Abitur ist ganz, ganz groß, daran wird eine Schule erst einmal gemessen: Hat eine Schule die Möglichkeit das Abitur anzubieten oder nicht."
    Eine Schule, die lediglich den Abschluss nach der neunten oder zehnten Klasse anbietet und die sich außerdem mit praktischen Unterrichtseinheiten als berufsorientierte Sekundarschule aufstellt - das kam bei vielen Eltern zunächst nicht an.
    "Das war also sehr schwierig, diesen Anspruch, der von außen kam, mit den eigentlich guten Ideen, die hier existierten, in Übereinstimmung zu bringen. Dazu kam noch, dass unsere Schule sechs Jahre lang Baustelle gewesen ist. Also eine sehr schwierige Gemengelage, die ich hier angetroffen habe und die dazu beigetragen hat, dass die Schule als 'Turnaraound'-Schule ausgesucht wurde und dann in das Programm mit aufgenommen wurde."
    "School Turnaround" hilft der Schule dabei, ihr Profil zu schärfen
    Wie neun andere Berliner Schulen profitiert die Graefe-Schule seit fast vier Jahren von einem Pilotprojekt, unterstützt von Robert-Bosch-Stiftung und Senatsverwaltung. Das bedeutet, dass Pädagogen von außen als Moderatoren die Schulen beraten. Sie helfen dabei, das Profil zu schärfen. So hat sich in den vergangenen Jahren in der Graefe-Schule einiges geändert. Der Internetauftritt ist bunt und informativ. In den frisch gestrichenen Fluren hängen aufwendig gestaltete Glasvitrinen, in denen die Schüler ausstellen, was sie im praktischen und theoretischen Unterricht erarbeitet haben. Denn auch das ist neu im Curriculum der Graefe-Schule: Theorie und Praxis werden fachübergreifend unterrichtet. Marianne Liebich, Lehrerin der Textilwerkstatt, steht vor dem Klassenzimmer neben einem Schaukasten und deutet auf eine aus Filz genähte Weltkugel. Ihre Schüler haben genäht, was sie im Geografieunterricht gelernt haben.
    "Sie haben mit verschiedenen Farben die Klimazonen eingearbeitet. Dahinten haben sie den Schalenaufbau der Erde genäht und gefertigt mit Filz, eine Filzkugel bezogen. Dann haben sie einfach den Aufbau der Erde durch verschiedene Farben gekennzeichnet."
    Anfangs sei sie skeptisch gewesen, wie die meisten ihrer Kollegen. Doch inzwischen ist sie überzeugt, dass der fachübergreifende Unterricht von Geografie und Textilwerkstatt bestens funktioniert.
    "Es hat sich entwickelt und die Schüler kommen ja auch mit Ideen und die Ideen kommen aus dem Geografieunterricht. Das arbeitet alles im Kopf, und insofern muss ich jetzt sagen, den Schülern macht es Spaß und ja, ich bin jetzt positiv dazu eingestellt. "
    Schlechtes Image? Nicht bei den Schülern
    Im Klassenzimmer der Textilwerkstatt sind die Schülerinnen und Schüler beim Aufräumen. Emre sitzt neben einer Nähmaschine. Diese Schule soll ein schlechtes Image haben? Der 15-Jährige schüttelt den Kopf:
    "Bei mir ist erstmal meine Schwester hergekommen, danach meine Schwester hat gesagt, hier ist gute Schule, wenn du willst, kannst du auch herkommen. Dann habe ich mit meinen Eltern überlegt, die haben gesagt, ok, wenn du willst, kannst du herkommen, dann habe ich mir das Ziel gesetzt und bin hierhergekommen. "
    Ein Stockwerk tiefer sitzt Guido Schulz im Rektorenzimmer. Wir haben schon viel erreicht, sagt er. Die Schule hat an Ansehen gewonnen. Der Rektor erwartet gespannt die Anmeldungen für das nächste Schuljahr. 60 neue Schüler wären schön, wahrscheinlich werden es aber höchstens 40, meint er. Dabei werden vor allem diejenigen mit der Note "Sehr gut" gesucht.
    "Da würde ich mir wünschen, dass es zu einer Drittelung kommt, von sehr guten, guten und vielleicht etwas schwächeren Schülern. Das ist in Schulen ohne Oberstufe im Moment überhaupt nicht gegeben. Das bräuchten wir aber dringend, um noch weiter voranzukommen."
    Es gibt viele Pläne für die Zukunft, etwa die Kooperation mit einem Gymnasium. Fest steht, dass die Graefe-Schule im nächsten Schuljahr zur Staatlichen Europaschule wird. Auch das ist gut fürs Image.