Zwei Texte aus dem Band ,Heinz Strunk trifft Wilhelm Raabe' (2/2)
Göttinger Wallstein Verlag
Heute wird die ‚Lesezeit’ ausnahmsweise zwei literarische Texte vorstellen. Sie stammen aus dem jüngst erschienenen Buch ,Heinz Strunk trifft Wilhelm Raabe’. Darin sind Texte rund um die Verleihung des Raabe-Preises an den Autor Heinz Strunk und seinen Roman ,Der goldene Handschuh’ im Herbst 2016.
Es hat schon Tradition, dass nach der Wahl des Raabe-Preisträgers die Juroren zusammen beim Abendessen sitzen, und man spricht über die Verbindungen des geschätzten Buches zu Raabes Büchern, zu Büchern anderer zeitgenössischer Autoren oder zu historischen und aktuellen Schreibweisen überhaupt. Aber im vergangenen Jahr, nach der Wahl von Heinz Strunk zum Preisträger, war alles anders. Nicht nur war allen Beteiligten klar, dass der Roman über einen Hamburger Frauenmörder, den Serientäter Fritz Honka, mit dem Titel ,Der goldene Handschuh’ aus der Reihe fiel, weil er ein sozial unerhörtes Thema hatte, in ein abgründiges Milieu führte und sich von den erzählten Schrecklichkeiten literarisch keineswegs distanzierte.
Was an unserer Strunk-Runde am meisten überraschte, war eher das freigesetzte Interesse an Mord und Totschlag, an grausamen Tätern, am Unheimlichen und an kolportierten Ungeheuerlichkeiten. Neben Honka, immer wieder Fiete Honka, waren das Der Zingerle, Jürgen Bartsch und Erwin Hagedorn; der Krankenpfleger Niels H. (Högel); der Vampir von Düsseldorf, Peter Kürten; Theo Berger, der Al Capone aus dem Donaumoos; der im Schwarzwald wesende Heinrich Pommerenke: der Frauenmörder Horst David …, um nur die unvermittelt in die Kindheit oder die Ahnungslosigkeit einbrechenden Namen zu nennen, von den mythischen Randfiguren der Kolportage, des Films oder der Literatur ganz zu schweigen, wie Fritz Haarmann mit dem kleinen Hackebeilchen, genannt der Totmacher, Christian Moosbrugger bei Musil, Mädchenmörder Hans Beckert mit dem ‚M’ auf seinem Mantel bei Fritz Lang … und es nahm kein Ende, man würde sagen wollen: das Schwelgen, wenn nicht immer mal wieder ein Gesprächsteilnehmer innegehalten hätte, um sich kurz die Dimension des Schreckens in ihrer unvermittelten Wirkung zu vergegenwärtigen. So entstand die Idee, statt Aufsätzen zu literarischen Werken - von Heinz Strunk und Wilhelm Raabe - Geschichten über Mörder zusammenzutragen. Jeder Erzähler auf seine Weise erinnernd und zugreifend, und dann zu sehen, zu hören, wie es zusammenklänge. Ob sich etwa eine dunkle Alternativgeschichte Deutschlands destillieren ließe, wie Philipp Felsch und Frank Witzel es versucht hatten in ihrer kleinen kulturgeschichtlichen Bestandsaufnahme ,BRD Noir’ , in der sie die kriminellen Grausamkeiten auf die verdrängten Untaten der Nazi-Zeit zurückführten. Oder ob sich so etwas wie eine memoriale Entgrenzung zeigte, wie eben in dieser Situation, beim Erzählen mit Rotweinanimation …
Und tatsächlich haben alle geschrieben und noch einige befreundete Autoren mehr. Und in der heutigen ‚Lesezeit’ werden wir zwei weitere davon hören. Wir beginnen mit Anja Hesses Text ,Der Mappenmann’, gefolgt von Matthias Sträßners ,Die Chronik der Löwengasse. Der Mordfall Joachim Göhner im Jahr 1958’.