Niemals schläft der Rost
Von Torsten Körner
Rost! Sein Leumund ist übel. Eisenfresser. Stahlbezwinger. Seit Jahrtausenden nagt der Rost an den Kriegs-, Kultur- und Arbeitswerkzeugen des Menschen, er gilt als der große Zerstörer und als hinterhältiger Entwerter. Die Angst vor ihm ist sprichwörtlich. Wer rastet, der rostet. Wer rostet, ist tot zu Lebzeiten. So sieht das jedenfalls der ewig junge Rock ’n’ Roll-Apostel Neil Young. Lieber wolle er ausbrennen, sang er 1979 auf dem Album 'Rust never sleeps', als vom Rost gefressen zu werden. Diese Furcht - plötzlich als leblose Rostlaube zu gelten - ist zum großen Traumabild des späten Industriezeitalters geworden. Die Stahlwerke, Industriekomplexe oder Autowerke liegen wie Skelette in der Landschaft herum, der Rost ist die Signatur der Vergeblichkeit und Vergänglichkeit. Der Essay erkundet diese Schreckenspanoramen und zeigt, dass der Rost an der Schwelle zum Informationszeitalter andere Gesichter und Bedeutungen erhält, in Kunst und Kultur, im Alltag und im Bewusstsein des postmodernen Menschen. In der digitalen Ära wird der Rost zum Stempel der Authentizität, zum Ausweis gelebter und bewältigter Zeit. Und plötzlich ist der Rost nicht nur Feind, sondern auch Weggefährte, Erzähler und Identitätsstifter.
Torsten Körner schrieb Bestseller-Biografien über Heinz Rühmann, Franz Beckenbauer und Götz George und ist seit vielen Jahren Juror des Grimme-Preises. Unter anderem wurde er 2010 mit dem Bert-Donnepp-Preis ausgezeichnet, dem Deutschen Preis für Medienpublizistik. Als freiberuflicher Autor und Journalist schreibt Torsten Körner Medien- und Fernsehkritiken.