Rätselhaft und unbeugsam
Der Pianist Sviatoslav Richter (1915 -1997)
Von Christoph Vratz
Der Begriff Mythos ist mit Vorsicht zu genießen. Doch dem Pianisten Sviatoslav Richter ist es gelungen, sich selbst zu einer Art Mythos zu stilisieren: Er holte bei seinen Konzerten im Westen fast jenen Ruhm ein, der ihm aus seiner russischen Heimat vorausging. Und er ließ sich, gern in Pelz gehüllt, rein äußerlich zum exotischen Objekt abstempeln und bestaunen. Richter betrat mit vorgeschobenem Kinn die Bühne, setzte sich mit zackiger Grazie ans Klavier und spulte dort mit größter Selbstverständlichkeit, aber auch mit der Aura eines hart Arbeitenden, ein ungeheuer breites Repertoire zwischen Bach und Prokofjew ab. Besonders wohl hat er sich gefühlt, wenn er Komponisten spielte, die historisch zwischen Beethovens Sonaten-Gesetz und Wagners Kunst der Ambiguität liegen: Als Schumann- und Schubert-Interpret hat man Richter, der seine Krisen und die Schatten des Ruhmes immer zu verbergen suchte, stets eine gewisse Modernität zugeschrieben.