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Projekt "Space Refugee"
Flüchtlinge auf dem Mars

Der türkische Künstler Halil Altindere ist bekannt für seine Tabubrüche. Im Rahmen der Berlin Art Week stellt er an gleich drei Orten seine neuen Arbeiten vor - darunter die Ausstellung "Space Refugee". Für dieses Projekt spielt er mit dem Gedanken, syrische Flüchtlinge in einer Kolonie auf dem Mars anzusiedeln.

Von Marie Kaiser | 13.09.2016
    Ausstellungsansicht des Exponats "3 Cosmonaut Family Costumes" von Halil Altındere, Neuer Berliner Kunstverein 2016
    Ausstellungsansicht des Exponats "3 Cosmonaut Family Costumes" von Halil Altındere, Neuer Berliner Kunstverein 2016 (Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe)
    Ein Raumschiff wird kommen, sie in ein in ein neues Leben in Freiheit und Würde auf dem Mars bringen. Wenn es auf dieser Erde nicht genug Solidarität mit den syrischen Flüchtlingen gibt, dann müssen diese eben ins Weltall ausweichen. Halil Altindere nimmt die Sache ernst: Für seine "Space Refugees" hat er eigens Raumanzüge entworfen. NASA-Experten haben ihm verraten, dass er für seine Mars-Mission eine halbe Million Dollar Startkapital bräuchte. Und dass die Menschen auf dem Roten Planeten in unterirdischen Städten mit langen Lüftungsschächten leben müssten, die an Termitenbauten erinnern. Doch der Weltraum als Zufluchtsort für Flüchtlinge? Wer diese Idee für vollkommen absurd hält, dem entgegnet Halil Altindere:
    "Es ist so nah an der Wirklichkeit dran, wie es nur sein kann. Im Moment leben in der Türkei drei Millionen syrische Flüchtlinge. Sie wollten in der Türkei eigentlich nur einen Zwischenstopp einlegen, um in ein demokratischeres Land wie Deutschland zu gelangen. Aber viele sterben auf dem Weg dorthin oder werden wegen des Abkommens, das Merkel und Erdogan geschlossen haben, einfach zurück in die Türkei geschickt. Kein Land in Europa möchte sie wirklich aufnehmen. Der Gedanke meiner Ausstellung ist: Wenn niemand die Flüchtlinge haben will, dann sollten wir sie vielleicht ins Weltall schicken. Zusammen mit ihrem Commander Muhammed Faris."
    Astronaut Muhammed Faris will Landsleute auf den Mars fliegen
    Muhammed Faris war einst ein syrischer Nationalheld - der erste Syrer im All ist 1987 mit einem sowjetischen Raumschiff zur Raumstation Mir geflogen. Die vergrößerten Ehrenbriefmarken im Neuen Berliner Kunstverein erinnern an diese Zeit. Die heroischen Ölporträts des Kosmonauten im Stil des sozialistischen Realismus hat Halil Altindere extra für die Ausstellung malen lassen. Doch im Bürgerkrieg hat sich der Held Muhammed Faris gegen Assad aufgelehnt und der Opposition angeschlossen. Mittlerweile lebt er selbst als Flüchtling in der Türkei und möchte seine Landsleute auf den Mars fliegen, wie Faris in einem Video erzählt:
    "Viele Länder haben uns Syrern Asyl und sogar Schutz und Sicherheit für Kinder verweigert. Ich hoffe, dass wir Städte für diese Menschen bauen können da draußen im Weltall, wo es noch Freiheit und Würde gibt, wo keine Ungerechtigkeit und Tyrannei herrscht."
    Wie sich so ein Leben auf dem Mars anfühlen könnte, erfahren die Besucher der Ausstellung, wenn sie eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen. Einen Moment lang können sie die Schwerelosigkeit genießen. Doch es dauert nicht lang und der Schwindel setzt ein und die Orientierung geht verloren. Mit jedem unbeholfenen Schritt wächst die Angst, auf dem fremden Planeten in einen Krater zu fallen und abzustürzen.
    "Das Publikum soll sich in die Lage der Flüchtlinge hineinversetzen. Und deswegen habe ich diese virtuelle Realität geschaffen, damit sie erfahren, wie es ist, ganz allein da draußen zu sein, verloren zu sein. Seine Heimat zu verlassen, das fühlt sich an, so glaube ich, als würde man allein durch den Weltraum schweben - immer mit der Angst, gleich herunterzufallen.
    Halil Altindere will zeigen, wie es den Flüchtlingen wirklich ergeht. Alle seine Arbeiten auf der Art Week folgen dieser Logik. Für seine Installation "Köfte Airlines" setzt Altindere dutzende Flüchtlinge auf das Dach eines Flugzeugs, um deutlich zu machen, wie absurd er es findet, dass sie nicht einfach in ein Flugzeug einsteigen können, sondern den lebensgefährlichen Weg übers Meer nach Europa nehmen müssen.
    In seinem Video "Homeland", das von der Ästhetik an einen Musikclip erinnert, spielt er die Flucht des syrischen Rappers Mohammad Abu Hajar nach: von der Türkei bis nach Berlin. Aber Abu Hajar ist nicht gekommen, um zu bleiben, wie er uns trotzig entgegenschleudert:
    "Flüchtlinge stehlen, Flüchtlinge vergewaltigen und werden sich nie integrieren", rappt Mohammad Abu Hajar. "Zwing mich, Currywurst zu essen und Tabouleh zu vergessen. Ich habe eine Heimat, ich habe eine Heimat, in die ich zurückkehren werde, auch wenn es noch so lange dauern wird."
    "Das echte Leben ist auch oft übertrieben und absurd genug"
    Und Halil Altindere führt uns vor Augen, wie verrückt diese Welt ist, in der wir leben: Da prallen im Video "Homeland" am Strand meditierende Touristinnen auf Flüchtlinge in Rettungswesten und Kinder mit Schwimmgürteln aus leeren Plastikflaschen:
    "Auch wenn es in meinen Arbeiten oft so aussieht, als würde ich den Humor nachträglich hinzufügen und Dinge erfinden, bediene ich mich meistens einfach nur bei dem, was wirklich passiert. Denn das echte Leben ist auch oft übertrieben und absurd genug."
    Doch auch wenn Halil Altindere es immer wieder bestreitet, überspitzt und übertreibt er die Wirklichkeit natürlich immer noch ein bisschen. Nicht nur, wenn er Flüchtlingen in "Homeland" Superkräfte verleiht und sie wie Kämpfer aus Martial-Arts-Filmen im Salto hüpfen lässt - über die Zäune, mit denen Europa sich abschotten will. Eine Übertreibung mit der Halil Altindere vor allem eins zeigen will: Wie übertrieben die Ängste vieler Menschen sind - vor einer Invasion der Flüchtlinge.
    Hinweise: Am 13.09.16 wird die Art Week in Berlin eröffnet, die u.a. Projekte von Halil Altindere zeigt. Sein Video "Homeland" ist in der Akademie der Künste zu sehen. Die Installation "Köfte Airlines" im Hebbel am Ufer sowie die Ausstellung "Space Refugee" im Neuen Berliner Kunstverein werden am 14.09.16 eröffnet.