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Prokofjews "Der Spieler" in Wien
Aufreibend-faszinierendes Musiktheater

In einen Strudel aus Ängsten, Hoffnungen und Besessenheit reißt Regisseurin Karoline Gruber das Publikum der Wiener Staatsoper. Ihre Neuinszenierung von Prokofjews "Der Spieler" verlangt Spielern wie Zuschauern höchste Konzentration ab - und bietet musikalisch wie dramaturgisch einen packenden Opernabend.

Von Franziska Stürz | 05.10.2017
    Opern- und Schauspielregisseurin Karoline Gruber
    Von Opern- und Schauspielregisseurin Karoline Gruber an der Wiener Staatsoper inszeniert ist "Der Spieler“ zum ersten Mal neu auf die Bühne gekommen (dpa/Claudia Esch-Kenkel)
    Prokofjews "Der Spieler" beginnt mit einer großen Eruption aus dem Orchestergraben und über zweieinviertel Stunden wird man von der pulsierenden, malmenden Musik mitgerissen in einen emotionalen Strudel aus Ängsten, Hoffnungen und Besessenheit. Albtraumhaft sind die Szenen dieser Oper um den spielsüchtigen Alexej, der in Polina verliebt ist. Die Gesellschaft der fiktiven Stadt Roulettenburg besteht aus undurchsichtigen Charakteren, die sich alle ebenfalls entweder nach Geld oder Liebe oder beidem sehnen. Verletzte Ehre treibt in dieser Welt Männer wie Frauen an, und alle sind irgendwie miteinander verbunden.
    Verzerrte Gesichter wir in Horror-Videos
    Darum konzentriert sich Regisseurin Karoline Gruber auf das Ringelspiel. Ringelspiel ist der österreichische Begriff für Karussell, und die Drehbühne der Wiener Staatsoper ist ordentlich in Bewegung an diesem Abend. Im Hintergrund hängt ein zerbrochener Spiegel, schwarze Türen öffnen den Blick ins das Unterbewusstsein und bisweilen erscheinen die Gesichter der Darsteller verzerrt wie auf Gemälden von Francis Bacon oder in Horror-Videoclips. Ein Kompliment an die Maskenbildner.
    Enorme Dichte erfordert höchste Konzentration
    Das selten aufgeführte Stück verlangt von den Musikern, aber auch vom Publikum höchste Konzentration. Text und Musik stürzen in enormer Dichte und teilweise nur fragmentarisch auf das Ohr ein. Wer des Russischen mächtig ist und nicht die Übertitel mitlesen muss, hat einen klaren Vorteil und kann die Feinheiten in Karoline Grubers Regie besser wahrnehmen. Simone Young kostet die Wildheit und das Sprunghafte der Komposition wunderbar aus. Die Dirigentin lässt das Wiener Staatsopernorchester sich teilweise beinahe überschlagen, um dann in fahlem Klang der Seelenqual Ausdruck zu geben. Das ist großartig - und auch wie sie die Sänger trägt, von denen Misha Didyk als Alexej die konditionelle Höchstleistung bravourös meistert. Seine angebetete Polina ist Hausdebütantin Elena Guseva mit herrlich strahlendem, vollem Sopran.
    Alexej als zombieähnliches Monster
    Kammersängerin Linda Watson glänzt mit ihrem dramatischen Sopran als reiche Großtante und hat einen originellen Auftritt in ihrem eigenen fahrbaren Zugabteil. Der junge ukrainische Bass Dmitry Ulyanov kann als unglücklich in die aufreizende Blanche verliebter General ebenfalls ein beachtliches Wiener Staatsopern-Debüt feiern. Die Regisseurin Karoline Gruber spitzt das Ende der Oper noch weiter zu, als Prokofjew es ohnehin schon in seiner Bearbeitung von Dostojewskis Vorlage getan hat: Im letzten Akt mutiert Alexej beim Roulette-Spiel auf dem kaputten Karussell immer mehr zu einem der dort hausenden zombieartigen Monster mit großer Greifkralle. Als er Polina trotz seiner Glückssträhne nicht mit einem Goldregen für sich gewinnen kann, endet diese Version des "Spielers" für Polina tödlich. Die Wiener Prokofjew-Neuproduktion ist packendes, aufreibend-faszinierenderes Musiktheater!