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Propagan-DaDa in der Weimarer Republik

Als "Messer an der Gurgel der Unverbesserlichen" hatte der Literat Max Hermann-Neiße das Werk von George Grosz bezeichnet. Der satirische Zeichner und Dada-Künstler übergoss in seinen Darstellungen das Spießertum und Militär mit Hohn. Vor 50 Jahren starb George Grosz.

Von Carmela Thiele | 06.07.2009
    "Nehmen wir mal an, Kempinski, die Zeit ist in den 20er-Jahren. Also ich war gleichzeitig der Portier, der sagt, 'Also meine Herren und so weiter …'. Ich war gleichzeitig der Krüppel, aber ich mit meiner Arroganz, und damals im steifen Hut und Stock und Handschuhen. Ich war gleichzeitig auch der Mann. Und dann sehen sie plötzlich ein sehr merkwürdiges Dada-Bild."

    George Grosz im Juni 1959. Er erzählt über die Zeit der Weimarer Republik, als er nicht nur ein berühmter, sondern auch ein berüchtigter Künstler war, der mehrfach wegen Beleidigung des Militärs und wegen Gotteslästerung vor Gericht stand. Der satirische Zeichner und Dada-Künstler hatte in seinen Darstellungen das Spießertum mit Hohn übergossen. Kurt Tucholsky 1921 in der "Weltbühne" über Grosz:

    "Ich weiß keinen, der das moderne Gesicht des Machthabenden so bis zum letzten Rotweinäderchen erfasst hat, wie dieser eine."

    Doch die radikalste Antwort der Avantgarde auf den Zusammenbruch des Kaiserreichs hieß Dada. Mit von der Partie: der talentierte Mr. Grosz:

    "In Deutschland wurde unter dem Namen Dada plötzlich - man könnte fast sagen - ein Zurückschlagen einer gewissen Sinnlosigkeit. Sie dürfen nicht vergessen, dass damals in dieser Zeit wir alle betroffen waren von einer ungeheuren Sinnlosigkeit."

    Grosz lief mit einer Totenkopfmaske aus Pappmaschee als "dadaistischer Tod" durch Berlin. Mit Richard Huelsenbeck, Raoul Hausmann, Walter Mehring und den Herzfelde-Brüdern veranstaltete er Dada- Soireen, bei denen das Publikum auf das Gröbste beschimpft wurde. Moral, Werte, Überzeugungen - nichts hatte mehr Bestand.

    "Ich hatte mir eine Karte machen lassen: George E. Grosz, Propagan-DaDa; und dann drehte man die Karte um: Wie denke ich morgen?"

    Vorbei war es mit Unschuld und Idylle. Georg Ehrenfried Groß, 1893 in Berlin geboren, wuchs zeitweise auf dem Land auf, in der Garnisonsstadt Stolp in Hinterpommern, wo zunächst sein Vater - und nach dessen Tod seine Mutter - ein Offizierskasino betrieb. Zum Malereistudium ging er nach Dresden, nach dem Diplom besuchte er die Kunstgewerbeschule in Berlin. Ersten Erfolg hatte er mit satirischen Zeichnungen. Um 1913 erschienen Illustrationen im "Ulk" und in den "Lustigen Blättern".

    "Es ist sozusagen, als ob mir einer in meinen Traum reingefunkt hat. […] Ich wollte ja eigentlich schöne Bilder malen, also freundliche Bilder, nicht wahr. Aber das Dämonische und das Geheimnisvolle und das Monströse des Lebens haben mich auch angezogen."

    Obwohl Grosz 1919 in die Kommunistische Partei eintrat, mit spitzer Feder Kriegsgewinnler und Bürokraten karikierte, für Piscator Bühnenbilder entwarf, ging es dem sich als Dandy in Szene setzenden Künstler um individuelle Freiheit. Die wähnte er im fernen Amerika, für ihn Symbol für das unverfälschte Leben: Boxkämpfe, Jazz, der Wilde Westen.

    Mitten im Ersten Weltkrieg amerikanisierte Grosz seinen Namen. Er trug amerikanische Anzüge und sammelte Jazz-Schallplatten. Der "Tanz auf dem Vulkan" währte keine 15 Jahre. Kurz vor dem Aufstieg Adolf Hitlers zum Reichskanzler 1933 geriet Grosz ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten:

    "Und plötzlich komme ich eines Tages in das Atelier rauf und da liegt eine Gasröhre drauf und an dieser Gasröhre ist ein Zettel angebunden: 'Wir werden dich bald bekommen, du alte Judensau!'"

    Noch vor dieser brutalen Warnung hatte der unbequeme Künstler, der kein Jude war, eine Einladung der Arts Students League in New York erhalten, um dort zu lehren. Grosz nahm das Angebot nach kurzem Zögern an.

    "In Amerika muss man den Traum haben, ich hatte ja den Traum."

    Das reale Amerika erwies sich als harte Bewährungsprobe. 27 Jahre unterrichtete George Grosz an einer privaten Kunstschule. Doch konnte er in den USA nicht an seinen Erfolg in der Weimarer Zeit anknüpfen. Erst 1958 wurden ihm offizielle Ehrungen zuteil. Kurze Zeit später entschloss er sich, nach Berlin zurückzukehren.

    Ein wenig wollte der 65-jährige wieder der alte Exzentriker Grosz sein, das "Messer an der Gurgel der Unverbesserlichen", wie es sein Freund, der Literat Max Hermann-Neiße, einmal ausgedrückt hatte. Doch blieb ihm wenig Zeit. Nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Europa ereilte ihn der Tod, plötzlich, am 6. Juli 1959, nach einer durchzechten Nacht im Treppenhaus Savignyplatz Nummer fünf.