Donnerstag, 18. April 2024

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"Propaganda spielt hier auf jeden Fall eine Rolle"

Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält es zwar nicht für unmöglich, aber für unwahrscheinlich, dass das iranische Regime einen Bombenanschlag auf den saudi-arabischen Botschafter in Washington geplant hatte. Ein solcher Angriff in den USA wäre eine ungewöhnliche neue Eskalationsstufe, so Perthes.

Nahostexperte hält Teheran nicht für den Ursprung der Washingtoner Anschlagspläne | 12.10.2011
    Mario Dobovisek: Schwere Vorwürfe sind es, die die USA gegen den Iran erheben. Elemente der iranischen Regierung, so heißt es, sollen einen Bombenanschlag auf den saudi-arabischen Botschafter in Washington geplant haben. Die USA drängen jetzt auf eine scharfe Reaktion der internationalen Gemeinschaft und warnen vor weltweiten Terrorakten. Teheran dagegen tut die Anschuldigungen als lächerliche Show ab.

    Am Telefon begrüße ich den Nahostexperten Volker Perthes. Er ist Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Perthes.

    Volker Perthes: Ja! Schönen guten Tag.

    Dobovisek: Der republikanische US-Abgeordnete Peter King spricht von einem Kriegsakt und will militärische Schritte nicht ausschließen. Der Iran dagegen hält mit einem amerikanisch-saudischen Verschwörungskomplott dagegen. Alles nur Propaganda, Herr Perthes?

    Perthes: Also Propaganda spielt hier auf jeden Fall eine Rolle, aber wenn es tatsächlich so wäre, dass der Iran von höchster Stelle, von Regierungsstelle aus einen solchen Anschlag geplant hätte, dann müsste die USA das tatsächlich als einen nahezu kriegerischen Anschlag oder Kriegsakt wahrnehmen und dann müsste die US-Regierung auch anders reagieren, als sie das bisher getan hat. Bisher tut sie das - und ich denke, das ist auch richtig - strafrechtlich, indem sie sagt, sie verhaftet die Leute und stellt die vor Gericht, die Leute jedenfalls, derer sie hier habhaft wird.

    Dobovisek: Trauen Sie dem Regime Ahmadinedschad im Iran solch einen Anschlag zu?

    Perthes: Ich halte es nicht für unmöglich, aber ich halte es für eher unwahrscheinlich, aus zwei Gründen. Zum einen: Es wäre sehr ungewöhnlich, dass man so was in den USA macht. Es hat Terrorakte gegeben, gerade von den Revolutionären Garden, in Argentinien etwa auf das jüdische Kulturzentrum dort, auch in anderen Ländern, im Libanon, in anderen Ländern im Nahen und Mittleren Osten, aber dies wäre ein direkter Angriff in den USA und damit praktisch auf die USA und das wäre eine Eskalationsstufe, die man vorher noch nie gegangen wäre, und deshalb ist es ungewöhnlich.

    Das zweite ist: Gerade wenn man sich zu einer solchen Eskalation hinreißen lassen würde, dann wird man sich fragen, warum so dilettantisch, und das scheint ja sehr dilettantisch angegangen zu sein, indem man eben einen Gebrauchtwarenhändler, der, wie Sie eben sagten, auch schon im Gefängnis gesessen hat, einsetzt, um hier doch eine Operation ungeheueren Ausmaßes vorzubereiten, mit der mexikanischen Drogenmafia zusammenarbeitet, die sicherlich kein verlässlicher Partner ist. Die Revolutionären Garden, die wie gesagt Terrorakte durchgeführt haben, können das im Zweifelsfall wahrscheinlich eher selbst, als dass sie dafür mexikanische Drogenbarone brauchen.

    Dobovisek: Also doch vielleicht ein Aufbauschen seitens der USA, vielleicht sogar Propaganda. Was will, Herr Perthes, Obama damit vielleicht bezwecken?

    Perthes: Ich denke, es gibt schon irgendeine Evidenz, dass hier etwas geplant worden ist, ohne dass unbedingt sicher ist, dass die iranischen höchsten Stellen hier involviert sind. Das können natürlich auch iranische Kriminelle sein, es können sogenannte rogue elements sein, also Elemente möglicherweise sogar mit Verbindungen zu den Revolutionären Garden, die nicht direkt unter der Kontrolle des obersten Führers oder des Präsidenten stehen. Was wir sehen, ist sicherlich, dass die Amerikaner, die amerikanische Regierung es auch für einen guten Zeitpunkt hält, jetzt diesen Plot öffentlich zu machen und darüber den Druck gegenüber Iran zu erhöhen. Da werden wir sicherlich noch mehr sehen, insbesondere auch, was Druck auf die wichtigsten Handelspartner Irans in der Region angeht, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei, von denen man sicherlich will, dass sie Iran weiter isolieren, als das bisher schon geschehen ist.

    Dobovisek: Welche Rolle spielen denn die Revolutionären Garden im Iran, wenn Sie sagen, der Präsident hat darüber gar keine Kontrolle?

    Perthes: Ich sage nicht, der Präsident hat darüber keine Kontrolle. In der Regel ist es so, dass in erster Linie der Religionsführer oder Revolutionsführer, Ayatollah Khamenei, Kontrolle hat über die Revolutionsgarden. Es ist eine paramilitärische Truppe, gut ausgerüstet, auch mit ihren eigenen Geheimdiensten, die eine durchaus hohe politische Bedeutung im System haben. Viele, viele Mitglieder der heutigen Führungsgeneration sind irgendwann einmal durch die Revolutionären Garden gegangen, die eben eine große Rolle gespielt haben im Krieg von 1980 bis '88, im iranisch-irakischen Krieg. Das ist ja der Krieg, aus dem ganz viele aus der Generation Ahmadinedschad stammen, die damals bei den Revolutionären Garden mit dabei waren, heute noch Verbindungen haben. Insofern sind die Revolutionären Garden nicht eine Privatmiliz des Präsidenten oder des Führers, sondern tatsächlich fast eine Generationserscheinung im Iran.

    Dobovisek: Eine andere Generationserscheinung ist die bisher so laut gewesene Opposition im Iran, von der aber in der letzten Zeit nicht mehr allzu viel zu hören ist. Hat es Ahmadinedschad endgültig geschafft, sie mundtot zu machen?

    Perthes: Diejenigen, die 2009 auf die Straße gegangen sind, sind tatsächlich weitgehend frustriert, haben sich zurückgezogen. Die Reformer, die damals angetreten sind, haben ihre Einheit nicht erhalten. Aber es gibt gleichwohl ein erhebliches Brodeln in der politischen Szene des Iran. Alle wissen, dass 2013 die Amtszeit von Ahmadinedschad endet, alle bereiten sich in gewisser Weise schon darauf vor, dass dann neue Präsidentschaftswahlen stattfinden werden, und die politische Auseinandersetzung, die 2009, also bei den letzten Präsidentschaftswahlen, zwischen den Reformern und Ahmadinedschad im Wesentlichen verlief, die verläuft heute innerhalb des konservativen Lagers zwischen Ahmadinedschad und vielen seiner Gegner, die sagen, er macht das eigentlich überhaupt nicht gut.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.