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Propaganda
Wie Worte Wahrheiten verdrehen

Alternative Fakten - dieses Wahrheitskonzept von US-Präsident Trump hat Tradition. Der Yale-Professor Jason Stanley erläutert diese in seinem Buch "How Propaganda Works". Er analysiert die Gefahren politischer Rhetorik, die rationales Denken blockieren und ausschließlich an Gefühle appelliert.

Von Gregor Peter Schmitz | 28.08.2017
    US-Präsident Donald Trump im Trump Tower in New York City am 15. August 2017
    Propaganda - Yale-Professor Jason Stanley nimmt in seiner Rhetorik-Kritik auch US-Präsident Trump in den Blick. (AP Photo/Pablo Martinez Monsivais)
    Das Magazin Time ist bekannt für seine ikonischen Titel. Einer der jüngeren lautete: "Ist Wahrheit tot?" - und enthielt im Heft ein Interview mit US-Präsident Donald Trump, in dem dieser den Fragestellern den Atem raubte, weil er die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge so kreativ auszulegen schien.
    Folgt man Jason Stanley, einem Philosophieprofessor an der Yale University, und den Thesen seines Buches "How Propaganda Works", ist diese Entwicklung aber keineswegs eine Trumpsche Erfindung - sondern eine logische Fortsetzung dessen, was US-Vorgängerregierungen sich trauten. Stanley erinnert in einer Passage daran, was bereits vor Trump möglich war, nämlich vor dem Irakkrieg im Jahr 2003:
    "Eine Umfrage im September 2003 ergab, dass beinahe 70 Prozent der Amerikaner glaubten, Saddam Hussein sei persönlich an den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York City beteiligt gewesen. Noch ein Jahrzehnt später behauptete etwa Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einfach, die Regierung habe niemals auch nur suggeriert, Hussein sei für Terrorattacken in den USA verantwortlich gewesen - obwohl sie genau dies ständig behauptet hatte. Wie kann Regierungspropaganda also die Mehrheit der Bürger von etwas überzeugen, dass sich später als offensichtlich falsch herausstellte?"
    Diese Frage treibt Stanley in seinem Buch um - und er entwickelt eine Art Gebrauchsanweisung für effektive politische Propaganda. Diese funktioniere nämlich nur, wenn sie genau das Gegenprogramm zu einer umfassenden und gründlichen Abstimmung und Abwägung von Ideen biete.
    Wie Propaganda wirkt
    Propaganda sei darauf ausgerichtet, rationales Denken beim Bürger zu verhindern und direkt an seine Gefühle zu appellieren beziehungsweise diese zu manipulieren. Stanley schreibt:
    "In diesem Buch definiere ich politische Propaganda als Methode, politische Ideale gegen sich selbst zu kehren … jemand, der subjektive Einschätzungen oder gar selbstsüchtige Ziele als objektive und wissenschaftlich belegbare Ideale und Zielsetzungen darstellt, verkörpert damit sozusagen das Paradigma erfolgreicher politischer Propaganda. Gute politische Propaganda lässt sich durch den Mechanismus charakterisieren, dass sich Menschen darüber täuschen lassen, wie sie ihre eigenen Ziele verwirklichen könnten - und das Gegenteil von dem unterstützen, was ihnen selber nutzen würde."
    Diese Definition von politischer Propaganda lenkt den Blick weg von den offenen und plumpen Beleidigungstiraden eines Donald Trump - der schon im Wahlkampf Mexikaner pauschal als Vergewaltiger bezeichnete, offen rassistische Kommentare verwendete, regelmäßig Frauen beleidigte und sogar in einem Video obszöner Kommentare überführt wurde.
    Begriffe werden umgedeutet oder negativ aufgeladen
    Denn aus der Sicht des Autors ist politische Propaganda weit gefährlicher - und effektiver - wenn scheinbar unschuldige Wörter durch sie einen ganz neuen, einen ganz anderen Beiklang bekommen können. Auch hier knüpfe Trump an traurige Traditionen amerikanischer politischer Rhetorik an - so hätten die Republikaner bereits Jahre zuvor einen Begriff wie "Steuer" negativ definiert, etwa mit dem Begriff "death tax" für die Erbschaftssteuer.
    Unter Trump gehe dieser Trend munter weiter - weil es ihm gelinge, eigentlich neutrale Worte wie "Sozialleistungen" oder auch "Immigrant" mit negativer Bedeutung aufzuladen - und sie emotional mit Stereotypen zu verknüpfen.
    Transparenz und Rechenschaft als Gegenmittel
    Bezeichne man Trump nur als Lügner, greife dies zu kurz, so die wichtigste Lehre von Stanleys eindrucksvollem Buch. Denn autoritäre Propagandisten versuchten ja, ihre eigene Realität zu erschaffen. Der Autor schreibt:
    "Leute, denen es gut geht, definieren sich gerne als Leute, die auch verdienen, was sie besitzen - sie sehen sich selbst als eine würdige und berechtigte natürliche Elite an. In diesem Sinn ist die Definition von Elite eine, die aus Männern und Frauen besteht, die sich selbst einen feineren moralischen Charakter bescheinigen - und daher auch gar kein Problem damit haben, diese Privilegien zu genießen."
    Was tun? Die Antwort muss Stanley in seinem Buch, das in Trumps Amerika in den Bestellerlisten nach oben geschossen ist, eigentlich nicht beantworten. Er ist Wissenschaftler, kein Politikberater. Aber Stanley bietet ein Fazit an - dass diese traurige Form der Propaganda gerade in einer polarisierenden, negativ aufgeladenen Umgebung floriere, in der die Wahrheit relativ sei und Fakten nicht mehr viel zählten. Das klingt nach einer Kurzbeschreibung der ersten Monate der Trump-Präsidentschaft. Stanley empfiehlt, nur respektvoller Diskurs, Transparenz und Rechenschaft seien ein effektives Gegengift. Wer nachlesen will, was den Amerikanern - und vielleicht auch uns - sonst drohen könnte, sollte zu seinem Buch greifen.
    Jason Stanley: "How Propaganda Works"
    Princeton University Press, 2017, 376 Seiten, 15,99 Euro