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Prostitution in Frankreich
"Freier sollen sich ihrer Verantwortung bewusst werden"

Wenn Kunden mit einer Bestrafung rechnen müssen, nehmen sie Prostitution nicht mehr in Anspruch, begründet die französische Frauenrechtsministerin Najat Vallaud-Belkacem im DLF die geplanten Geldstrafen für Freier. Ziel des Gesetzes sei es, Menschen aus der Prostitution zu holen. Denn diese werde immer unter Zwang ausgeübt.

Najat Vallaud-Belkacem im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.12.2013
    Christoph Heinemann: Das Bundeskriminalamt hat in dieser Woche Zahlen veröffentlicht, die einen wütend stimmen müssen. Fast jedes fünfte Opfer von Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung, man kann auch sagen, fast jede fünfte Zwangsprostituierte war im vergangenen Jahr minderjährig. Insgesamt wurden 491 entsprechende Ermittlungsverfahren abgeschlossen, zwei Prozent mehr als 2011. Fachleute gehen von einer riesigen Dunkelziffer aus.
    Die französische Regierung hat der Prostitution den Kampf angesagt. Ähnlich wie in Schweden sollen Prostituierte entkriminalisiert und ihre Freier künftig bestraft werden: Mit 1500 Euro, wenn sie einmal erwischt werden, im Wiederholungsfall müssen sie 3750 Euro auf den Tisch legen. Die Nationalversammlung hat das beschlossen, die Zustimmung des Senats gilt als sicher. So weit geht die schwarz-rote Bundesregierung nicht. Lediglich diejenigen, die ihre Triebe an Zwangsprostituierten befriedigen wollen, die sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Gemeinsamkeit weisen Frankreich und Deutschland dabei auf: die meisten Prostituierten kommen inzwischen aus dem Ausland, aus Osteuropa, Afrika, von anderen Kontinenten.
    Vor dieser Sendung habe ich mit Najat Vallaud-Belkacem gesprochen. Sie ist französische Ministerin für die Rechte der Frauen. Ich habe sie gefragt, welches Ziel sie durch die geplante Bestrafung der Freier verfolgt.
    Najat Vallaud-Belkacem: Es geht darum, den Blick auf die Prostitution zu verändern. Darum, festzustellen, dass Prostitution Opfer erzeugt, und das sind die Prostituierten. Und dass es dafür Verantwortliche gibt, die verfolgt und bestraft werden. Künftig gelten Freier als die Verantwortlichen. Und Frauen sollen gesellschaftlich geschützt werden. Sie sollen finanziell unterstützt werden, eine persönliche Hilfe bekommen, um eine Arbeit oder Ausbildung zu finden, kurz: echte Alternativen.
    Heinemann: Wenn man Freier bestraft, bestraft man damit nicht Prostitution generell?
    Vallaud-Belkacem: Freier sollen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Ein einfacher Grundsatz muss gelten: Körper von Frauen kauft man nicht. Hier geht es auch um die Würde der Frauen, gegen Vermarktung und Ausbeutung von Frauen. Deshalb wollten wir die Freier zur Verantwortung ziehen, um auf diese Weise die Nachfrage zu verringern. Wenn mögliche Kunden mit einer Bestrafung rechnen müssen, werden sie die Prostitution, die Leben zerbricht, nicht mehr in Anspruch nehmen.
    Heinemann: Die Überwachung der Freier könnte dazu führen, dass Prostitution stärker in den Untergrund gedrängt wird, mit einem höheren Risiko für Prostituierte, Opfer von Gewalt zu werden. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
    Vallaud-Belkacem: In Zukunft kann eine Prostituierte, die dann nicht mehr als Straftäterin gilt, einem Freier, der gewalttätig ist oder einen geschützten Verkehr verweigert, androhen, dass sie die Polizei rufen wird. Denn er begeht die Straftat, indem er eine Prostituierte aufsucht. Die Umkehrung des Rechtsschutzes ist sehr wichtig. Ich möchte aber gleichzeitig betonen: uns geht es vor allem darum, Menschen aus der Prostitution herauszuholen. Es geht nicht darum, Prostitution so gut wie möglich unter besten Bedingungen zu organisieren.
    Heinemann: Was sagen Sie den Prostituierten, die fordern, ihren Beruf ausüben zu können, ohne dass die Freier bestraft werden?
    Vallaud-Belkacem: Ich antworte Ihnen, dass es vollständig legitim ist, dass die Gesellschaft Grenzen zieht zwischen Dingen, die hinnehmbar sind und dem Inakzeptablen. In Frankreich wurde die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verkündet. Und die besagt: Freiheit bedeutet das zu tun, was einem anderen nicht schadet. Und es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die Grenze festzulegen, an der einem anderen Schaden zugefügt wird. Wir meinen, dass wenn man Frauen körperlich ausbeutet mit dem Ziele der Prostitution, dies diesen Frauen schadet.
    Die französische Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem in der Nationalversammlung
    Die französische Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem in der Nationalversammlung (dpa / pa / Tesson )
    Heinemann: Dann haben einige diese Erklärung der Menschenrechte nicht gelesen: denn laut einer Umfrage des Instituts CSA lehnen 68 Prozent der Franzosen eine juristische Ahndung für Freier ab.
    Vallaud-Belkacem: Das ist so wie in Schweden vor zehn Jahren, als die Gesetzgebung zur Bestrafung der Freier eingeführt wurde. Das haben damals viele abgelehnt. Zehn Jahre später sehen die Leute, was es gebracht hat, und sie sprechen sich jetzt zu 70 Prozent dafür aus und wollen es sogar verschärfen. Aber es ist klar: wenn man Systeme verändert, die seit grauer Vorzeit bestehen, geht das nicht ohne Widerstand.
    Heinemann: Die Bürgermeisterin von Saarbrücken ist beunruhigt über einen zunehmenden Sex-Tourismus von Frankreich nach Deutschland. Haben Sie das Problem in gewisser Weise ausgelagert?
    Vallaud-Belkacem: Die beste Lösung, die eine Verlagerung verhinderte, wäre eine Lösung auf europäischer Ebene. Die Europäische Union benötigt die erforderlichen Mittel, um dem Zustrom von Netzwerken des Menschenhandels begegnen zu können, die Sie in Ihrem und wir in unserem Land erleben. Aber wie macht man das? Etwa indem man sagt, Prostitution sei eine Tätigkeit wie jede andere, die man frei ausüben können sollte? Wo wir doch wissen, dass 90 Prozent der Frauen Opfer von Menschenhandel sind? Wäre diese eine Tätigkeit wie alle anderen, müsste man die Frauen nicht unter den bekannten Umständen aus Osteuropa, Afrika oder China holen, um sie auf den Straßen unserer europäischen Städte anzuschaffen zu lassen. Wir in Europa tragen eine sehr hohe Verantwortung.
    Heinemann: In Deutschland möchte die Große Koalition lediglich Freier von Zwangsprostituierten bestrafen. Wieso geht Frankreich wesentlich weiter?
    Vallaud-Belkacem: Das ist interessant, weil Deutschland sich dabei auf die Erfahrungen aus Großbritannien stützt. Die Briten geben allerdings inzwischen offen zu, dass diese Regelung ihre Grenzen hat. Woher will man denn wissen, ob die Prostituierte gezwungen wird oder nicht? Ich möchte, dass eins klar ist: auch wenn es keinen körperlichen Druck gibt, wird Prostitution immer unter Zwang ausgeübt. Wenn es kein Zuhälter ist, ist der Zwang wirtschaftlich. Wer auf die Straße geht, meint, dass er in diesem Moment keine andere Wahl hat. Kann man das zulassen? Ich glaube das nicht.
    Heinemann: Sie halten also das deutsche Vorhaben für unzureichend.
    Vallaud-Belkacem: Es ist besser als die gegenwärtige Lage. Aber man stößt mit diesem Ansatz schnell an Grenzen. Und er beantwortet überhaupt nicht die eigentliche Frage: ist Prostitution ein wünschenswerter Zustand für die betroffenen Frauen und Männer? Ich kann diese Frage auch anders stellen: Möchten Sie, dass Ihre Tochter diese Art Tätigkeit ausübt?
    Heinemann: Darüber werden Sie vielleicht mit Ihrer deutschen Amtskollegin diskutieren. Kennen Sie Frau Schwesig schon?
    Vallaud-Belkacem: Nein, aber ich möchte sie gern anrufen, um sie kennenzulernen. Ich freue mich, wir werden viel gemeinsam zu tun haben. Viele Probleme sind die gleichen. Da ist zum Beispiel die berühmte Richtlinie für eine Frauenquote in Vorständen großer Unternehmen. Ich habe gesehen, was der Koalitionsvertrag für die Kinderbetreuung vorsieht. Ich arbeite gerade an einer Reform der Elternzeit in Frankreich, auch das ist im Koalitionsvertrag geplant. Wir werden viel zu besprechen haben, und ich möchte sie rasch kennenlernen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.