Freitag, 29. März 2024

Archiv


Protest gegen ehemalige Sicherungsverwahrte

Menschen, die in Sicherungsverwahrung sind, können sich nicht frei bewegen, weil sie hinter Schloss und Riegel leben. Und wenn sie entlassen werden, kommen die Nachbarn mit Plakaten wie "Wir sind nicht eure Therapie". Hamburg macht da keine Ausnahme - die Bürger schlagen Alarm.

Von Verena Herb | 19.01.2012
    Jeden Abend stehen sie vor dem Gelände des Holstenhofs im Hamburger Stadtteil Jenfeld: Rund 100 Menschen, die dort gegen die Unterbringung der beiden ehemaligen Sicherungsverwahrten Hans-Peter W. und Karsten D. demonstrieren. So auch Diana Scheuermann. 38 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern:

    "Wir demonstrieren hier zum Schutz unserer Nachbarschaft. Zum Schutz unserer Kinder. Und wir protestieren, weil wir die Gefahr nicht einschätzen können. Weil sich niemand mit uns zusammengesetzt hat und gesagt hat: Passt mal auf Leute, so sieht's aus, so ist das Gefahrenpotenzial. Und die einzigen Informationen, die wir bekommen haben, sind aus der Presse. Und je nachdem, welche Presse man gerade liest, ist das Gefahrenpotenzial auch unterschiedlich einzuschätzen."

    In der "ZEIT" ist zu lesen, psychiatrische Sachverständige, die Hans-Peter W. im Herbst 2011 begutachteten, haben befunden: Seine Gefährlichkeit sei reduziert. Sein Aggressionspotenzial habe sich während der 30 Gefängnisjahre abgeschliffen. "Sex-Monster" und "tickenden Zeitbombe" schrieben die einschlägigen Boulevard-Medien.

    Manche Demonstranten tragen weiße Schilder um den Hals. Darauf zu lesen: "Keine Sicherungsverwahrte nach Jenfeld". Viele sind aufgebracht - so wie Olaf Köpke:

    "Ich würde mir persönlich wünschen, wenn die beiden Herrschaften ihre Koffer zumachen. Mit Inhalt. Ins Auto steigen. Und sich woanders hinfahren lassen."

    Seit vielen Jahren lebt er im Elfsaal, vis à vis des Holstenhofs. Er erinnert sich: In dem Gebäude, in das Hans Peter W. und Karsten D. nun eingezogen sind, haben früher Alkoholiker entzogen. Jetzt sind in dem ockergelben Klinkerbau extra Wohnungen ausgebaut worden.

    Rückblick: Es ist Nikolausabend, der 6. Dezember im letzten Jahr. In die Aula der Bundesuniversität Jenfeld sind mehr als einhundert Anwohner gekommen. Sie haben aus der Zeitung erfahren, dass bis zu vier ehemalige Sicherungsverwahrte in ihre direkte Nachbarschaft ziehen sollen und sind empört. Wütende Gesichter blicken in Richtung Podium, auf denen drei SPD-Senatoren sitzen. Sie wollen sich den Bürgerinnen und Bürgern erklären.

    Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Mai 2010 habe viele überrascht, beginnt Justizsenatorin Jana Schiedek. Es habe länderübergreifende Überlegungen gegeben, die Männer unterzubringen. Doch die seien gescheitert:

    "Insofern mussten wir reagieren und haben uns dann entschlossen, eine eigene Unterbringung in Hamburg zu schaffen. Eine eigene Unterbringungsmöglichkeit vorzuhalten und ein Konzept zum Umgang, zur Betreuung, zur Arbeit und auch zur Sicherheit zu schaffen. Um eben zu verhindern, dass diese Person einfach so entlassen werden."

    Bei den aufgebrachten Bürgerinnen und Bürgern kommen diese Erklärungen nicht an. Als einer der Initiatoren des Protests, Ralf Sielmann, ans Mikrofon tritt, bebt die Menge:

    "Sie werden scheitern. Wir machen Ihnen die Hölle heiß."

    Die Politiker sind überrascht ob der augenscheinlichen Empörung, die ihnen dort entgegenschlägt. Nach und nach verstummen sie. Weitere Erklärungen scheinen an diesem Abend aussichtslos.

    Am 15. Januar zieht Hans-Peter W. im Holstenhof ein, Karsten D. folgt einen Tag später. Ursprünglich hatten sich beide Männer geweigert, nach Jenfeld zu ziehen. Zu groß war ihre Angst vor den Reaktionen der Menschen vor Ort, sagt ihr Anwalt Ernst Medecke. Auch er ist überrascht, als die beiden irgendwann ihre Entscheidung ändern. Warum, vermag er nicht zu sagen. Im Lokalfernsehen erklärte er:

    "Ich weiß nicht, ob das zumutbar ist. Ich persönlich habe Angst, dass meine Mandanten auf lange Zeit keine Möglichkeit haben werden, unbeobachtet dieses Objekt zu verlassen. Das ist meine persönliche Sorge."

    Und sie ist berechtigt: Denn wann immer die beiden Männer von Polizeibeamten in Zivil begleitet das Gebäude verlassen, treffen sie auf Demonstranten. Nach wie vor lauern auch einzelne Journalisten und Fotografen den Männern auf. Probst Matthias Bohl vom evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Hamburg Ost bittet in der Hamburger Morgenpost darum, dass die "Hatz auf die ehemaligen Sicherungsverwahrten" beendet werde.

    Anwalt Ernst Medecke spricht gar davon, dass öffentlich zur "Lynchjustiz" aufgerufen wurde. Die Anwohner sehen das etwas anders. Eine Frau mit kurzen blonden Haaren und einem Hund an der Leine meint:

    "Wenn man die Taten beguckt, dass dieser Mensch auch einfach das Recht auf Mitgefühl verwirkt hat. Also das ist meine Meinung. Natürlich wird er von allen Medien gehetzt, das ist wohl so, aber wie gesagt: Das ist auch Schuld des Senats, dass sie das nun so öffentlich gemacht haben. Aber ich denke, die Presse hätte es doch irgendwann wieder rausgekriegt, und der wäre wieder gehetzt worden."

    Die Anwohner bleiben dabei: Die Informationspolitik des Senats sei miserabel - auch wenn sie dann doch zugeben müssen, dass es Gespräche mit der Behörde gab. Zum Beispiel mit dem Justizstaatsrat Ralf Kleindiek, der vor einiger Zeit in Jenfeld war, um die Fragen der Bevölkerung zu beantworten. Diana Scheuermann:

    "Die Fragen wurden beantwortet. Und Tenor des Gespräches war: Der Typ ist nicht gefährlich. Aber ich kann meine Hand dafür nicht ins Feuer legen. Und mit dieser Aussage sind wir aus diesem Raum gegangen."

    Auch der Erste Bürgermeister, Olaf Scholz, trägt wenig zur Beruhigung der Situation bei. Vehement bleibt der Senat bei der Parole: Es gibt keine Alternative zum Holstenhof in Jenfeld. Die Anwohner fühlen sich provoziert:

    "Unser Bürgermeister sagt: Basta - die kommen dahin. Und es gibt nichts anderes. Tja, da müssen wir uns wehren."

    "Da geht Politik an uns so was von vorbei, weil es nicht darum geht, die beste Lösung für irgendwen zu finden. Sondern einfach nur irgendeine Lösung."

    "Wir stehen. Und wir werden weiter stehen. Und wir stehen so lange, bis sich eine Lösung gefunden hat."