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Protest gegen Lohndumping

Als eines der ärmsten Länder in Europa erleben die Bulgaren die Schattenseiten eines näher zusammenrückenden Europas: Westliche Investoren üben Druck aus, um das Lohnniveau niedrig zu halten. Und so ist Arbeit nirgendwo in Europa so billig wie in Bulgarien. Das Durchschnittseinkommen liegt bei gerade mal 220 Euro. In der Textilfabrik eines deutschen Investors haben die Angestellten nun wochenlang für mehr Lohn gestreikt. Simone Böker war dabei.

31.07.2007
    In der südbulgarischen Stadt Gotze Deltschev: Die Sonne brennt vom Himmel, auf dem Hof der Textilfabrik "Pirin Tex" haben sich die Menschen in den Schatten geflüchtet. Stefka Mangusheva tupft sich den Schweiß von der Stirn. Seit zwölf Jahren arbeitet sie hier, sie näht Konfektionshosen für die großen westlichen Modefirmen, sechs Tage die Woche - für 150 Euro im Monat. Das ist nicht genug, finden sie und ihre 1600 Kolleginnen. Seit drei Wochen bestreiken sie den Betrieb, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Stefka erzählt:

    "Im Moment bezahlt Herr Rollmann den Arbeiterinnen zirka 150 Euro Gehalt. Wir wollen nur 50 Euro mehr. Da drinnen in der Halle sind im Moment Millionen Euro in der Produktion. Und wenn wir da jetzt wieder reingehen und weiter nähen, dann produziert jede von uns einen Gewinn von 500 Euro in der Minute. Und er bezahlt uns 150 Euro Gehalt. Das ist die größte Schande für einen deutschen Arbeitgeber. Komisch ist das."
    Stefka weiß, dass sie nicht dieselben Löhne verlangen kann wie in Griechenland, wo die Firma Pirin Tex vorher ihren Sitz hatte. Bis dem Investor auch dort die Produktion zu teuer wurde. Doch das Geld muss zum Leben reichen, findet die kleine dunkelhaarige Frau. Das aber sei in Bulgarien immer weniger der Fall, mischen sich weitere Näherinnen ins Gespräch ein.

    "Für uns ist Bulgarien jetzt sehr teuer. Die Lebenshaltungskosten steigen ständig, aber die Gehälter nicht. Strom, Wasser, alles wird teurer. Wir haben viele Ausgaben. Wir produzieren gute europäische Qualität. Doch wir verdienen 55 Stotinki in der Stunde - umgerechnet 30 Cent. Das reicht gerade mal für eine Flasche Wasser."
    Eine andere Kollegin meint:

    "Viele Leute wollen jetzt mehr Geld. Weil das Geld einfach nicht reicht. Schauen Sie sich nur meine Situation an: Mein Mann ist arbeitslos, ich habe drei Kinder. Von 300 Leva - also 150 Euro - kann ich mir nichts leisten. Deswegen streiken wir. Um Brot zu haben für unsere Kinder."
    Doch Pirin Tex-Besitzer Betram Rollmann will die Forderungen nicht erfüllen. Eine Kostensteigerung von 30 Prozent - das sei zu viel für den deutschen Unternehmer, der im Textilbereich mit anderen Dumpinglöhnen um den Weltmarktpreis konkurrieren muss, wie er sagt.

    "Es muss was geschehen mit den Löhnen. Aber es kann nicht in den Schritten geschehen, wie es jetzt bei mir geschieht. Man kann nicht die Löhne um 20 Prozent erhöhen wenn die Volkswirtschaft nur um sechs Prozent wächst. Ansonsten wird der Aufschwung dieser Wirtschaft ein sehr, sehr schnelles Ende finden."
    Unterstützung erhält Rollmann von der Deutsch-Bulgarischen Handelskammer. Bei schnellen Lohnsteigerungen würden die Investoren fernbleiben, heißt es dort. Doch geht es nicht nur um ausländische Firmen. Ärzte, Krankenschwestern, Minenarbeiter, Lehrer und Busfahrer sind in Bulgarien in den letzten Monaten für mehr Geld auf die Straße gegangen. Die bulgarische Wirtschaft verzeichnet zwar eine traumhafte Wachstumsrate von sechs Prozent, doch der Aufschwung ist für große Teile der Bevölkerung nicht spürbar. Konstantin Trenchev, Präsident der bulgarischen Gewerkschaft "Podkrepa":

    "Die Dinge entwickeln sich sehr langsam. Und die Leute wissen, dass andere Länder viel weiter sind und man fragt sich warum. Ich sage nicht, dass die Gehälter dieselben wie in Westeuropa sein sollen, weil ich weiß, dass das unmöglich ist im Moment. Aber dennoch muss es eine Tendenz geben, diesen enormen Unterschied zu verringern. In Bulgarien gibt diese Tendenz nicht. Und die Leute wollen das ändern."
    Bis dahin bleibt für viele Bulgaren nur eine Alternative: zum Arbeiten ins Ausland zu gehen. Über eine Million Bulgaren haben aus diesem Grund bereits das Land verlassen. Bei Pirin Tex hat man nach den zähen drei Verhandlungswochen schließlich einen Kompromiss gefunden: 40 Euro netto im Monat werden Betram Rollmanns Arbeiterinnen demnächst mehr bekommen. Ein Sieg für die Näherinnen. Auf dem Fabrikgelände herrscht ausgelassene Stimmung, die Arbeiterinnen feiern ihren Erfolg.

    "Wir wollten von ihm nur einige Krümel vom Brot. Das ist nicht viel. Aber selbst das wollte er uns erst nicht geben. Jetzt sind wir ein Teil der EU, und wir wollen Europäer sein. Wir müssen jetzt Europäer werden."