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Protest gegen Stahlkonzern-Fusion
Aus Angst wird Wut

Die Fusion der Stahlkonzerne ThyssenKrupp und Tata Steel stößt bei den deutschen Beschäftigten auf deutlichen Widerstand. Sie fühlen sich vom Vorstand hintergangen. Dabei ist die Frage, wie es in Zukunft um ihre Arbeitsplätze steht, nur ein Grund für die Proteste, zu denen sich Tausende in Bochum versammelten.

Von Jürgen Zurheide | 22.09.2017
    Mitarbeiter von Thyssenkrupp demonstrieren am 22.09.2017 in Bochum (Nordrhein-Westfalen) vor einem Werkstor.
    Fühlen sich von der Konzernspitze verraten: Mitarbeiter der Unternehmens ThyssenKrupp, das still und heimlich eine Fusion mit der indischen Tata Steel eingefädelt hat (dpa /Marcel Kusch)
    Die 7.000, die an diesem Freitagvormittag hier nach Bochum gekommen sind, fühlen sich verraten. Verraten vom Vorstand um Konzernchef Heinrich Hiesinger. Betriebsratschef Günter Back erzählt dazu eine kleine Geschichte und die geht so: Obwohl die Gewerkschafter seit Monaten immer wieder nach den Fusionsplänen gefragt haben, wurden sie hingehalten, um dann plötzlich in dieser Woche von völlig unternehmensfremden Menschen per Flugblatt und bunt produzierten Filmchen vor vollende Tatsachen gestellt zu werden. Dieses Vorgehen hat die Metaller mindestens so provoziert, wie die Inhalte, denn eigentlich zählt die Mitbestimmung im ThyssenKrupp-Konzern zur Tradition und die sehen hier viele mit Füßen getreten. Der ehemalige IG Metall Chef Detlef Wetzel - er sitzt gleichzeitig im Aufsichtsrat bei ThyssenKrupp - schleudert seine Wut über Inhalt und Form wütend heraus:
    "Wir fordern deshalb vom ThyssenKrupp-Vorstand und vom Steel-Vorstand: Standortsicherung, Anlagensicherung, Beschäftigungssicherung, Investitionszusagen und das bis weit in das nächste Jahrzehnt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit weniger können wir uns nicht abspeisen lassen."
    Zusagen ein Muster ohne Wert
    Wetzel kämpft seit Monaten gegen die Informationspolitik des Vorstandes, er sieht jede Menge Hürden und ungedeckte Schecks für die Belegschaft. Da ist die Frage, mit welchen Schulden das neue Gemeinschaftsunternehmen Thyssen Krupp und Tata Steel starten wird. Alleine die Pensionslasten bei ThyssenKrupp liegen über 3,6 Milliarden Euro. Hiesinger muss sie aus seiner Bilanz für den Restkonzern ausgliedern, sonst hat er an der Börse nichts von der Operation. Hinzukommen weitere Schulden für die vielen Abenteuer des Konzerns in Südamerika, die ebenfalls viele Milliarden gekostet haben. Wenn sie aber beim Stahl bleiben, startet das neue Unternehmen mit einer erheblichen Hypothek. Die Arbeitnehmer fragen weiter nach der Arbeitsplatzsicherheit und den Standortgarantien. Mehr als 2020 mag der Vorstand nicht zusagen - das empfinden die Metaller als Muster ohne Wert, denn bis dahin gilt ihr laufender Standortsicherungsvertrag ohnehin. Und dann ist da die Frage der Mitbestimmung, denn bei ThyssenKrupp wurde bisher immer Wert auf die volle Mitsprache der Arbeitnehmer gelegt. Andrea Nahles, die Bundes-Arbeitsministerin, ist eigens nach Bochum geeilt, um auch auf diesen Punkt hinzuweisen:
    "Es wird hier nicht mit offenen Karten gespielt. Deswegen fordere ich ein, dass die Arbeiternehmer umfangreich beteiligt werden. Zweitens soll der Firmensitz verlagert werden nach Holland. Das ist ein ganz großer Angriff auf die Mitbestimmung, die Montan-Mitbestimmung. Das kann ich nicht akzeptieren."
    Unterschiedliche Signale aus der Landesregierung
    Sollte das neue Gemeinschaftsunternehmen seine Holding - wie geplant - in die Niederlande verlegen, wäre die volle Mitbestimmung verloren und alle Hinweise, dass sie ja in Duisburg beim deutschen Zweig erhalten bleiben, stellen die Arbeitnehmer nicht zufrieden. Sie wissen, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen immer auf der Ebene der Holding getroffen werden. Hinzu kommen Fragen, ob und wo Steuern gezahlt werden. Nicht wenige unterstellen den Firmenlenkern Kalkül, weil sie sich für die Unternehmenssteueroase Niederlande entschieden haben. Vor allem die nordrhein-westfälische Landesregierung müsste das schrecken, aber da gibt unterschiedlich Signale. Arbeitsminister Laumann plädiert für den Erhalt von Duisburg als Firmensitz, der freidemokratische Wirtschaftsminister Pinkwart kann sich den Deal so vorstellen, wie ihn Hiesinger jetzt präsentiert hat, und Ministerpräsident Laschet ebenfalls CDU bleibt öffentlich stumm.