Dienstag, 19. März 2024

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Protest in Hamburg
Gemeinsam schockiert über die AfD

In Hamburg hat die AfD ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis erzielt. In einem Park im Schanzenviertel kamen einige Bewohner der Hansestadt zu einem spontanen Treffen zusammen. Sie wollten reden, sich austauschen und darüber nachdenken, was der Erfolg der AfD an anderen Orten für die Gesellschaft bedeutet.

Von Axel Schröder | 26.09.2017
    Auf einem Banner im Hamburger Arrivati Park haben Demonstranten mit einem roten Stift "AfD raus!" geschrieben. Foto: Deutschlandradio/Axel Schröder
    "AfD raus!": Demonstranten im Hamburger Arrivati Park machen ihrem Ärger über den Wahlerfolg der AfD Luft. (Deutschlandradio/Axel Schröder)
    Niels Boeing schüttelt seine Spraydose, legt los. Sprüht auf die zwischen zwei Bäumen gespannte, einen halben Meter breite Frischhaltefolie, die er eben noch schnell im Supermarkt besorgt hat:
    "'Refugees welcome!' Denn die AfD will ja schließlich alle, wie sie meint: 'volksfremden Leute', am liebsten aus Deutschland rausschmeißen. Schrecklich. Was hat Gauland gesagt?: 'Wir holen uns unser Land und unser Volk zurück!' Ich meine, das ist echt Nazi-Jargon. Und der Typ sitzt jetzt im Bundestag!"
    Es ist schon dunkel, als immer mehr junge Leute in den kleinen Park im Hamburger Schanzenviertel strömen. Ab und zu durchleuchten die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos den Park. Das flache Halbrund, eine Art Amphitheater. Kurz vor dem G20-Gipfel entstand die Idee, den Park als Treffpunkt, als Ort des Austauschs für die Nachbarschaft auf St. Pauli zu etablieren. Seitdem hängt an einem Laternenpfahl in der Mitte der Name des Treffpunkts: "Arrivati Park". Nach dem Wahlerfolg der AfD wurde über Facebook zu einem spontanen Treffen im Park aufgerufen. Um sich auszutauschen, um zu reden. Dem Aufruf gefolgt ist auch Marie Kurz. Die junge Frau lebt auf St. Pauli:
    "Mich treibt das Erlebnis hierher, dass ich relativ alleine, geschockt vor dem Fernseher saß. Und die Analyse darüber, was da passiert ist, möchte ich Menschen aus meinem Stadtteil betreiben. Ich möchte mich austauschen, was das bedeutet für unsere Gesellschaft und was wir für eine Antwort finden müssen."
    Demonstrantin: "Deutschland ist ein reiches Land"
    Mittlerweile hängen vier Transparente im Park: "AfD raus" und "Alles allen" steht darauf. Fünf Musiker aus Argentinien stimmen ihre Instrumente.
    "Wenn ich lese, dass 85 Prozent der AfD-Wähler mit ihrer wirtschaftlichen Situation zufrieden sind - worüber sind diese Menschen wütend?"
    Zusammen mit ihrer Freundin ist Mandy Schneider in den Park gekommen. Gleich nach der Demonstration gegen die AfD, bei der gut 500 Menschen vom Hauptbahnhof aus durch die Stadt gezogen waren:
    "Diese ganze Argumentation gegen die Flüchtlinge - es ist so lächerlich! Deutschland ist ein reiches Land. Und wir können, entgegen der Meinung der AfD das schon tragen. Vielleicht nicht alles. Aber es ist tragbar. Und wenn man sich das Parteiprogramm durchliest, ist das einfach schockierend!"
    Drei Streifenpolizisten leuchten mit ihren Taschenlampen auf die Transparente, versuchen vergeblich, den Veranstalter der kleinen Versammlung zu finden. Ärger gibt es zwar nicht, aber die zwischen zwei Bäumen angebrachte Parole "AfD raus" reißen die Beamten ab. Denn die stelle eine Störung der öffentlichen Ordnung dar, erklären die Polizisten und ziehen wieder ab.
    'Urban Citizenship' auch in Deutschland einführen
    Niels Boeing schüttelt den Kopf. Wenn es nach ihm, der zum sogenannten "Recht auf Stadt"-Bündnis gehört, ginge, sollte nicht darüber diskutiert werden, wie die Zahl der ankommenden Flüchtlinge begrenzt werden kann, sondern wie man ihnen das Ankommen in der Gesellschaft erleichtern kann. Niels Boeing gehört zu den Initiatoren einer Hamburger "Urban Citizenship Card": eine solche Karte solle an geflüchtete Menschen vergeben werden, um diesen Zugang zu Bildung oder ärztlicher Versorgung zu erleichtern:
    "New York macht das, San Francisco macht das, Oakland macht das. Wenn New York eine 'Urban Citizenship' einführt und zwar unabhängig von einem Aufenthaltsstatus, warum soll Hamburg das nicht auch machen? Hamburg ist ein Stadtstaat, hat seine eigene Geschichte."
    … und zu diesen Geschichte gehöre Einwanderung schon seit Jahrhunderten einfach dazu, so Niels Boeing. Mit Blick auf den AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl sei er froh, dass die Partei in Hamburg mit 7,8 Prozent ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis erzielte. Und dass in seiner Nachbarschaft die Linke mit über 30 Prozent stärkste Kraft wurde, gefolgt von den Grünen und der SPD.
    "Das linke Parteienspektrum, im weitesten Sinne, hat hier 75 Prozent bekommen. Aber natürlich ist das ein gallisches Dorf, wissen wir alle! Ich fänd's geiler, wenn sich das auch mal wie ein Virus ausbreiten würde…"
    … aber davon geht Niels Boeing nicht aus. Also will er weitermachen. Aufklären und reden über die AfD und werben für die "Urban Citizenship Card".