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Protest mit Phantasie
Russen wehren sich gegen Zensur

Die russische App Zello ist gesperrt worden, damit Regierungskritiker sich nicht darüber austauschen. Allerdings führt das nicht zur gewünschten Funkstille. Eine weitere Einschränkung von großen sozialen Netzwerken könnte Unmut in der Bevölkerung verursachen.

Von Thielko Grieß | 27.04.2017
    Smartphone mit Icons von Sozialen Netzwerken
    Russische Regierungskritiker nutzen soziale Netzwerke, um sich zu verabreden. (dpa/picture-alliance/ Britta Pedersen)
    Die Proteste der Fernfahrer in Russland, die seit einigen Wochen stattfinden, gehen so: Die LKW-Fahrer stellen sich mit ihren Fahrzeugen an den Straßenrand und tun weiter nichts. Lieferungen kommen zu spät, Güter sollen knapp werden, das ist ihr Kalkül. Verabredungen dazu laufen über die App Zello. Sie hat das früher übliche Funkgerät aufs Handy gebracht. Ein Fernfahrer aus Sankt Petersburg:
    "Auf unserem Kanal sind es im Moment mehr als 400 Leute, das sind zu viele eigentlich, um halbwegs komfortabel zu kommunizieren. Besser ist es, wenn auf einem Kanal bis zu hundert Leuten sind."
    Telekommunikationsbehörde reicht Nutzerdaten nicht an staatliche Stellen weiter
    Zello ist vor allem dann praktisch, wenn nebenbei ein 40-Tonner über die nicht immer schlaglochfreien Straßen im größten Land der Erde gesteuert werden soll. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Texas. Die Sperrung in Russland begründet die Telekommunikationsbehörde Roskomnadsor damit, dass Zello seine Nutzerdaten nicht an staatliche Stellen weiter reicht. Das aber verlangt ein russisches Gesetz. Die App hat nach Angaben des Unternehmens rund 400.000 aktive Nutzer. Unter den Fernfahrern glaubt kaum einer an einen Zufall, dass die Sperrung zeitlich mit dem Beginn des Streiks zusammenfiel.
    Aber: Unter den Fernfahrern ist keine Funkstille ausgebrochen, denn Zello funktioniert weiterhin. Programmierer haben einen Weg um die Sperre herum gefunden, erklärt Veronika Saslawskaja, in Sankt Petersburg zuständig für das Geschäft Zellos in Russland, ohne ins Detail zu gehen.
    "Im Großen und Ganzen hat sich nichts geändert. Unser Traffic ist nicht zurückgegangen, die Zahl unserer Nutzer sogar ein wenig gewachsen. Natürlich ist die Situation für uns nicht schön, ich würde nicht sagen, dass es uns Spaß macht. Wir können nichts dagegen tun, aber gehen damit um, dass es so ist."
    Außerdem geben sich die russischen Fernfahrer untereinander den Tipp, auf ihrem Handy ein "Virtuelles Privates Netzwerk", kurz VPN, einzurichten. Prompt kursieren Presseberichte über einen im russischen Parlament vorbereiteten Gesetzentwurf, der solche VPNs verbieten soll. Die Berichte sind nicht bestätigt.
    Dienste werden verboten – unabhängig davon, ob sie funktionieren
    Die Frage steht im Raum, weshalb sich die Telekommunikationsbehörde überhaupt müht, Dienste zu verbieten, die dennoch weiterhin funktionieren. Darauf gibt Alexander Pljuschtschew, Netz-Journalist beim Radiosender "Echo Moskwy" diese Antwort:
    "Die Beamten müssen jeden Tag ihre Existenz unter Beweis stellen, wie alle Beamten. Und also machen sie es so: Wenn es ein Gesetz gibt, verbieten sie eben etwas. Die Tatsache, dass es nicht funktioniert, interessiert sie im Prinzip wenig."
    Pljuschtschew meint, der Messenger-Dienst "Telegram" könnte als nächstes verboten werden, weil sich Ende März die gegen Korruption protestierenden Jugendlichen auch über ihn organisiert haben. Jedoch: Fiele Telegram tatsächlich als Kommunikationsmittel aus, gäbe es andere: Signal, Whatsapp und so weiter.
    Sperrung von Sozialen Netzwerken kann großen Ärger in der Bevölkerung hervorrufen
    "Roskomnadsor und die anderen Behörden wagen es noch nicht, sich an den Großen im Internet wie Facebook oder Twitter zu vergreifen. Oder auch WhatsApp, ein in Russland sehr populärer Messenger in Russland. Wenn der gesperrt wird, kann das großen Ärger in der Bevölkerung hervorrufen. Nicht unbedingt bei unter denen, die sowieso schon protestieren, sondern unter denjenigen, die bislang nicht protestieren."
    Vor einem ähnlichen Dilemma stehen die Behörden, sollten sie den Nutzern den Zugang zu Google oder Facebook erschweren, indem sie die Geschwindigkeit drosseln, sobald ein Nutzer die Dienste der US-amerikanischen Konzerne aufruft. Auch dafür existieren nach Presseberichten Überlegungen. Doch entschlössen sich die Behörden dazu, müssten sie den Unmut einer Gesellschaft fürchten, die es seit Jahren gewohnt ist, deren Dienste ungehindert zu nutzen. Darin liegt ein wichtiger Unterschied etwa zu China. Russlands relativ größere Freiheit im Internet basiert darauf, dass Moskau, anders als Peking, nicht vor Jahren schon eigene, in sich geschlossene Soziale Netzwerke aufgebaut hat.